•Opfer•

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Leise schluchzend ging Kina mit Finn in den Besprechungsraum, in dem Magnus, Adrian und Jacob bereits auf sie warteten.

Als Finn hinter ihr die Türe geschlossen hatte, fing Adrian an, zu sprechen. „Er wird immer unterbrechbarer, untragbar für unser Rudel." Zustimmendes Nicken. 

Kina sass bedrückt in ihrem Stuhl und war nicht in der Lage, an dem Gespräch teilzunehmen. Die Schuldgefühle erdrückten sie und raubten ihr den Atem. Dumpf hörte sie, wie Adrian und Finn wild diskutierten.

Plötzlich merkte sie, wie jemand ihre Hand drückte. Jacob. Er beugte sich zu ihrem Ohr und flüsterte: „Es ist okay." Kina schloss die Augen und legte den Kopf nach hinten.

Es ist okay, zu fühlen. Das wusste sie, aber auch schon früher, hatten sie all die Emotionen oftmals überfordert. Sie wünschte, Jacob würde verstehen, was in ihr vorging. Aber er würde sie hassen, für das was Lilac, und nun dem Rudel, angetan wurde.

Ohne die anderen zu beachten, erhob sich Kina und ging aus dem Raum. Sie war nicht in der Lage länger dort zu bleiben.

Während sie die schrecklichen Schuldgefühle in sich spürte, wünschte sie sich gleichzeitig, in die Arme von Alpha Elis fallen zu können. Ihrem zuhause. Warum erkannte er sie nicht?

Plötzlich fand sie sich an dem kleinen Teich im Wald hinter dem Rudelhaus wieder. Sie setzte sich auf die Bank und spürte, wie kleine Regentropfen ihr Gesicht befeuchteten, die Tränen waren ihr in den letzten Tagen ausgegangen. Ihre Augen brannten von all dem Weinen. Sie zog die Beine zur Brust, umklammerte sie, legte den Kopf auf die Knie und wiegte sich beruhigend. In der Ferne hörte sie ein leises Zwitschern.

Ihr Handy vibrierte in ihrer Hosentasche. Sie zog es hervor. Marisa.

Schniefend nahm sie den Anruf an und krächzte eine Begrüssung in das Handy.

„Ach Kindchen, dann ist ja gut, dass ich dich angerufen habe.", meinte Marisa mütterlich.

„Ich hatte heute einen Traum von dir und einem wunderschönen schwarzen, grossen Wolf mit grünen Augen. Wenn ich tippen müsste, dann ist das dein Mate! Er ist ganz nah!", meinte Marisa fröhlich. Kinas Schluchzen verstärkte sich.

„Kina, was ist den los? Das ist doch eine gute Nachricht!", sagte Marisa entsetzt. „Ja, das ist eine gute Nachricht.", zwang Kina sich zu sagen.

War es wirklich eine gute Nachricht? Eher eine tragische Nachricht, der Wolf, der ihr Rude, zerstören wollte, war ihr Mate. Traurig schloss Kina die Augen.

„Und wenn er nicht das ist, was er sein sollte? Wenn er nicht liebend und unterstützen ist, wie Mom und Dad es waren?"

„Ach Kindchen, was redest du denn da? Natürlich wird er liebend und unterstützend sein. Auf seine Weisen."

Ja, auf seine Weise. Aber war das eine Weise, die Kina akzeptieren konnte?

„Deine Mom und dein Dad, sie haben sich so unglaublich geliebt. Aber kannst du dir vorstellen, am Anfang konnten sie nichts miteinander anfangen. Klar, Mates sind dafür geschaffen, zusammen zu finden und zusammen zu gehören. Aber oftmals, finden wir unseren Mate und unsere Lebensumstände sind so verschieden, dass man erst einen Weg finden muss, zusammen grossartig sein zu können. Und das braucht Zeit. Aber davon solltest du dich nicht abschrecken lassen. Die Mondgöttin hat jemand grossartigen für dich geschaffen! Du wirst schon sehen.", meinte Marisa.

Nach einiger Zeit beendeten sie das Telefonat und Kina sah, wie sich die Sonne über den Wald senkte.

Die Mondgöttin hat jemand grossartigen für dich geschaffen.

Kina fragte sich, ob es wirklich eine Entscheidung für ihren Mate und somit gegen ihr Rudel war. Gab es nicht auch die Möglichkeit, beides zu haben und zu erhalten. Auch wenn ihr klar war, würde sie sich für ihren Mate entscheiden, würde sie das Vollmondrudel, ihr Zuhause, hinter sich lassen müssen. Aber selbst, wenn sie es hinter sich lassen müsste, dann nicht in Schutt und Asche. Sie wollte das Rudel, welches ihre Vorfahren aufgebaut hatte, erhalten. Würde Kina sich überhaupt gegen ihren Mate entscheiden können und somit für das Rudel? Würde das Rudel ohne sie bestehen können? Finn würde irgendwann auf sich selbst gestellt sein, ohne Magnus und Kina an seiner Seite.

Noch immer raubten ihr die Schuldgefühle den Atem.

Schuldgefühle gegenüber Finn, der über seine wahre Identität angelogen wurde.

Schuldgefühle gegenüber Jacob, der seit seiner Kindheit Teil des Geheimnisses war.

Schuldgefühle, aber auch Wut, gegenüber Lilac, die von ihrem Mate geküsst wurde.

Schuldgefühle, gegenüber den verstorbenen Werwölfen.

Schuldgefühle gegenüber ihrem Rudel, das Teil des Chaos geworden war.

Schuldgefühle gegenüber Alpha Elis, dass er sie suchen musste.

Schuldgefühle gegenüber sich selbst, dass sie keine Entscheidung treffen konnte.

Die Atemnot wurde immer stärker, Tränen traten in ihre Augen. Kina schrie vor Schmerzen laut auf. Sie wusste, wie sie das Gefühl ersticken könnte.

Sie brauchte ihren Mate.

Auch wenn es für sie schwer war, sich dies einzugestehen, ein Werwolf brauchte seinen Mate. Sie brauchte Alpha Elis. Zumindest ein Teil der Schuldgefühle würde dann von ihr fallen und vielleicht konnte sie auch ihr Rudel so retten. Sie würde Alpha Elis darum bitten, sogar verlangen können, das Vollmondrudel zu verlassen und in Frieden zu lassen. Es würde nicht in einen Krieg hineingezogen werden und könnte so überleben. Ohne sie.

Könnte sie dieses Opfer machen?

War der Grund überhaupt wichtig? Zählte nicht nur das Resultat?

Kina würde sich für ihr Rudel und ihre Familie opfern.
Sie würde dem Chaos ein Ende setzen können. So hoffte zumindest, als sie von der Bank aufstand und ihre eingefrorenen Arme und Beine von sich streckte.

Bereit, sich zu opfern.

Alphablut - Legends of AlikanteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt