•Zerrissen•

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Je weiter sie sich von dem Rudelfest entfernten, umso mehr liess die Übelkeit, die sich im Magen von Kina gebildet hatte nach. Stattdessen trat nun ein neues Gefühl an die Oberfläche. Die unbeschreibliche Wut, die Kina gemeinsam mit all den anderen Emotionen die letzten Jahre unterdrückt und versteckt hatte, gruben sich unerbittlich ihren Weg an die Oberfläche. Der Zusammenbruch von Kina auf dem Rudelfest war ein Auslöser gewesen. Ihre Emotionen brachen wie eine unaufhaltsame Lawine herunter und rissen alles mit sich, was sich ihnen im Weg stellte.
Wut.

Sie blickte in Jacobs Augen und alles, was sie sah, war das Konstrukt aus Lügen das sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hatten. Sie lebte ein Leben im Abseits und in den Schatten, aus der Liebe für ihre Familie und für ihr Rudel. Und auch wenn Jacob nicht schuldig dafür war, dass sie dieses Leben führen musste, so verkörperte er dennoch die Erwartungen an sie, Kina zu sein, die Schwester des Alphas. Und auch wenn sie das Leben noch tausendmal gelebt hätte, sie hätte sich jedes Mal für ihre Familie und für ihr Rudel aufgeopfert. Doch im Moment überkamen sie all diese Emotionen die Wut und Schuldgefühle. Die Wut auf alle, die ihr ihr Leben raubten und Schuldgefühle dafür, dass sie sich beraubt fühlte. Sie fühlte das tiefe Loch in ihrem Herzen, das durch die Anwesenheit ihres Mates gefüllt werden würde. Die Sehnsucht nach einem Mate mit dem sie sich vollständig fühlen konnte und endlich sie selbst sein durfte verzerrte sie.
Sehnsucht.

«Ich halte es hier nicht aus.", sagte Kina flehend und blickte dabei mit großen Augen zu Jacob. Sie fasste sich an den Kopf, um den Druck der sich in ihrem Kopf bildete standhalten zu können. Ihre Augen brannten vor Wut. Es war eine Wut auf die Welt und alles was darin existierte. „Ich muss mir hier raus. Jacob ich weiß du kannst das nicht verstehen, aber in diesem Moment halte ich es hier keine weitere Sekunde mehr aus. Ich fühl mich gerade so gefangen, in dem was ich bin und was ich sein soll und das möchte ich nicht mehr. Noch nie in meinem Leben, hab ich mich so falsch am Platz gefühlt, als würde ich hier nicht hingehören. Und das schlimme ist, dieses Rudel ist, meine Familie, und ich sollte hier ich sein können. Und ich weiß nicht warum es mir heute so schwer fällt ich zu sein, die Kina zu sein die alle erwarten, dass ich bin. Aber das möchte ich heute nicht sein, ich möchte einfach wieder Kina sein, die mit ihren Eltern und mit ihren besten Freunden und ihrem Bruder gemeinsam am roten Strandhaus ist und einfach das Leben geniessen kann."

Jacob sah sieverzweifelt an, die Sorge stand in seinen Augen groß geschrieben. „Dann geh, aber ich werde dich begleiten."

Lilac kreischte histerisch. „Du wirst ganz bestimmt nicht mit ihr jetzt einfach so weggehen. Was erwartest du eigentlich? Dass ich den ganzen Abend zuschaue, wie du dich um sie kümmerst und mich einfach so ignorierst? Ich sollte die wichtigste Person in deinem Leben sein, nicht sie! Ich bin deine Mate." Sie drehte sich um und rannte in den oberen Stock. Kina und Jacob hörten wie sich eine Tür öffnete und dann schwungvoll wieder zugeschmissen wurde. Kina blickte verständnisvoll zur Treppe und schüttelte traurig den Kopf.

Lilac wusste, dass sie Teil eins Gesprächs war, dessen Sinn und den Inhalt des sie nicht verstehen worde. Ihr Mate war unerwartet in ihr Leben gestolpert und brachte seine eigene Vergangenheit mit.

Es war ein Gespräch, das die Grundmauern der Beziehung zwischen Jakob und Kina erschüttete. Das Gespräch stand symbolisch für all die Missstände, die Kina in den letzten Jahren toleriert hatte und über sich ergehen liess.

„Du solltest nicht meinetwegen Probleme mit Lilac haben. Jacob, du warst mein ganzes Leben für mich da, aber es gibt auch Dinge, die muss ich einfach alleine tun und alleine durchstehen. Und natürlich wünschte ich mir, dass du und Finn und Adam immer bei mir seid und mich immer unterstützen könnt. Ich glaube einfach, dass das jetzt eine Sache, die muss ich alleine durchstehen." Sie blickte in die glasigen Augen von Jacob und flüsterte leise.
Dankbarkeit.

„Ich kann dich einfach nicht alleine lassen. Ich habe dir immer geschworen kann man dass ich immer an deiner Seite kämpfen werde, dass ich dich immer unterstützen werde. Und das habe ich damals ernst gemeint und das ist heute auch immer noch so. Bitte, Kina verlass uns nicht. Wir können die so viel Freiraum geben wie du brauchst und so viel Freiheiten für dich schaffen wie du brauchst, aber du darfst nicht gehen!" flehte Jacob sie an.
Versprechen.

„Ich muss doch einfach nur hier raus!", murmelte sie. Sie stand von dem Sofa auf warf die Decke auf den Boden. „Es tut mir leid Jakob komme aber im Moment glaube ich nicht, dass du oder irgendwer sonst mir helfen kann. Auch wenn das das erste Mal in unserem ganzen Leben ist, ich ertrage die Anwesenheit des Rudels und für was es steht einfach nicht. Ich hab dich lieb Jacob, aber bitte lass mich einfach in Ruhe.". Ohne einen weiteren Kommentar von Jacob abzuwarten, wandte sich Kina zu Haustüre und trat hinaus.
Abstand.

Jacob blieb bestürzt und besorgt zurück und fragte sich ob und wann sie wieder zurückkommen würde. Er konnte nicht nachvollziehen, was in den letzten sechzig Minuten passiert war, das sich Kinas Leben so sehr auf den Kopf gestellt hatte. Er hatte gross Angst, dass sie all das was sie sich aufgebaut und beschützt hatte, hinter sich lassen würde.
Er hatte Angst, dass sie ihn zurück lassen würde.

Mit genickten Kopf trottete er nach oben, um zu versuchen die Wogen zwischen sich und seiner Mate, welche er erst vor wenigen Stunden endlich gefunden hatte, zu glätten. Lilac hatte sich schluchzend auf sein Bett geworfen und sah ihn mit ihren geröteten Augen. Ihre violetten Haare lagen verwuschelt auf ihrem Kopf.

„Was ist sie für dich?", fragte sie ihn. Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand in seine. „Das würdest du niemals verstehen.", antwortete er. Ein Geheimnis, so gross, dass seine Mate nicht Teil davon sein durfte.

Alphablut - Legends of AlikanteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt