•Zuhause•

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Mit zittrigen Beinen betrat Kina das Rudelhaus und ging die Treppen in der Dunkelheit bis in den obersten Stock.
Alpha Elis hatte das grösste Zimmer am Ende des Gangs erhalten.
Als sie vor der Türe stand, musste sie all ihren Mut sammeln, um zögerlich an der Türe zu klopfen.

Als keine Reaktion aus dem Inneren des Zimmers folgte, konzentrierte Kina ihr Gehör auf die Geräusche um sie. Sie konnte ein fernes Schnarchen hören, ein langsames Herzklopfen aus dem Zimmer nebenan, weit entfernte Gespräche. Aber aus dem Zimmer von Alpha Elis kam kein einziges Geräusch.

Er war nicht da.

Überzeugt drückte Kina die Türklinke hinunter, in der Hoffnung, dass die Türe nicht abgeschlossen war. Sie trat in den Raum ein, eine Duftwolke von frischem Schnee und Lagerfeuer umgab sie. Unmerklich sackten ihre Schultern nach unten und sie atmete tief ein und aus, ihr Körper entspannte sich.

Es roch wie zuhause.

Als sie die Türe hinter sich geschlossen hatte, ging sie zu dem Sessel, welcher vor dem Fenster stand, und setzte sich. Sie schloss die Augen und genoss den Moment. Alles um sie war ruhig, ihr Gedankenkarussell hatte aufgehört und sie konnte wieder frei atmen.
Freiheit.

Sie wusste nicht, wie lange sie in seinem Zimmer gesessen hatte, als sie Schritte hörten, welche die Treppe hochkamen und dann auf das Zimmer zusteuerten. Kraftvoll wurde die Türe geöffnet, jemand stand wie angewurzelt in der Türe und knurrte wütend.

Alpha Elis.

Kina legte ihren Kopf schief und betrachtete ihn. Seine dunklen Haare lagen zerzaust auf seinem Kopf, sein Hemd war verrissen und seine grünen Augen funkelten grün. Unter seinen Augen waren tiefe Augenringe und sein Gesicht hatte mehr Falten als sonst. Kinas Herz begann schneller zu schlagen.

„Was willst du hier?" fragte Alpha Elis mit einem giftigen Unterton. Er machte zwei Schritte in den Raum und knallte die Türe hinter sich zu. Kina lächelte traurig. Er erkannte sie nicht.

„Du hast mich gesucht, Alpha Elis.", begann Kina vorsichtig.

Alpha Elis lachte. „Was sollte ich von dir wollen?" „Du musst aufhören, dein psychopathisches Verhalten zerstört das Vollmondrudel!"

„Und warum glaubst du, kannst du mir Vorschriften machen? Nur weil du die Schwester des Alphas bist?" lachte Alpha Elis erneut. „Ich mache mit diesem Rudel, was ich will, weil ich es kann!", rief Alpha Elis und ging zwei Schritte auf Kina zu. Doch Kina wich nicht wie erwartet zurück, sondern richtete sich noch mehr auf und sah Alpha Elis in die Augen. Er erkannte sie tatsächlich nicht.

Ein Stich brannte in ihrem Herzen.

Nur die Schwester des Alphas. Sie war so viel mehr, Kina, erstgeborenes Alphakind und Mate von Alpha Elis. Sie war die wahre Alpha des Rudels, die sich für den Frieden opfern würde. Immer wieder wurde sie auf die Tatsache reduziert, dass sie die Schwester von Alpha Finn war. In Zukunft würde sie die Mate von Alpha Elis sein, aber sie wollte mehr als das sein.

„Ich bin deine Mate!", spuckte Kina wütend hervor und ging einen grossen Schritt auf Alpha Elis zu. Wütend schnaufend standen sie sich nur wenige Zentimeter voneinander entfernt gegenüber. Kina konnte seinen beschleunigten Herzschlag hören und wahrscheinlich auch die wirbelnden Gedanken in seinem Kopf.
„Beweise es mir.", flüsterte Alpha Elis leise. Seine Schultern waren resigniert in sich zusammengesackt und er sah Kina traurig an.

„Vor ein paar Tagen warst du im Wald. Du hast eine braune Wölfin mit grauen Augen verfolgt, sie angerempelt und dann vorsichtig ihre Nase gestupst. Dann ist sie weggelaufen. Du hast sie erkannt, du hast mich erkannt." Erwartungsvoll blickte sie zu Alpha Elis.

Erkenntnis und Freude blitzte in seinen Augen auf. Sein Blick wurde weich und zum ersten Mal konnte sie ein willkommenes Lächeln auf Alpha Elis Gesicht sehen. Er öffnete seine Arme und wollte Kina in eine Umarmung ziehen, doch sie wich zurück.

Er griff nach ihrer Hand, ein angenehmes Kribbeln bildete sich dort, wo er sie berührte. „Bitte.", hauchte Alpha Elis und Kina liess ihn gewähren.

Sie standen sich gegenüber, einen grossen Schritt voneinander entfernt. Alpha Elis hielt Kinas Hand und sah ihr tief in die Augen. Kina konnte die vielen Emotionen in seinen Augen sehen, die wild an der Oberfläche wirbelten.

Einige Minuten verharrten sie in dieser Position, tief verloren in den Augen des anderen, in Gedanken an eine gemeinsame Zukunft. Es fühlte sich nicht wie ein Opfer an.

Das Kribbeln hatte sich mittlerweile auf Kinas ganzen Körper übertragen und sie genoss jeden Atemzug.

„Wie heisst du, Liebes?", fragte Alpha Elis Kina leise mit einer rauen Stimme.
„Kina.", antwortete Kina leise, ohne den Blick von Alpha Elis zu lösen.
„Meine Mate, Kina.", murmelte Alpha Elis, als könnte er nicht glauben, dass er sie tatsächlich gefunden hatte.
„Ich bin Elis.", sagte er leise und strich mit seinem Finger über ihren Handrücken.

Kina ging einen Schritt auf Elis zu, der automatisch seine Arme öffnete und sie in eine lange, warme Umarmung zog. Er drückte mit einer Hand ihren Kopf gegen seine Brust, mit der anderen hielt er sie am Rücken fest an sich gedrückt. Er legte seinen Kopf auf ihren ab und drückte ihr einen vorsichtigen Kuss auf den Scheitel.

Kina war zuhause angekommen.

Alphablut - Legends of AlikanteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt