•Wahrheit•

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Jacob sass wieder ein Mal in der Küche und blätterte in einem Buch.
„Jacob, können wir reden?", fragte Kina vorsichtig.
Seine blauen Augen glänzten sie fröhlich an. „Natürlich Kina, immer.", antwortete er ruhig.
Sie setzte sich auf den gegenüberstehenden Stuhl und kaute nervös auf den Fingernägeln. Jacob streichelte über ihren Unterarm und nahm ihre Hände in seine. Einige Minuten sassen sie so da, bis Kina den Mut gesammelt hatte, ihm die Wahrheit zu sagen.

„Elis ist mein Mate." platze sie heraus. All die langen Reden, die sie sich die ganze Nacht über überlegt hatten, waren wie gelöscht aus ihrem Kopf. Sie wartete auf den erschrockenen Blick von Jacob, dass er die Hände von ihr wegziehen würde und die Wut in seinen Augen aufsteigen würde. Doch nichts passierte, sein freundlicher Gesichtsausdruck änderte sich nicht für eine Sekunde.
„Ich weiss." sagte er.

Kinas Augen weiteten sich. „Du fragst dich woher.", sprach Jacob ihren Gedanken laut aus. Kina nickte.
„Du weisst woher." antwortete er schulterzuckend. Ihre innige Verbindung hatte sie verraten, vom ersten Tag an. Ihre innige Alpha-Beziehung.

Du hast es die ganze Zeit gewusst?", fragte Kina ungläubig. Jacob nickte mit dem Kopf. „Ich glaube, ich habe es gewusst, bevor du es selbst wusstest.", meinte Jacob.

Kina erzählte ihm von allem, was mit Elis vorgefallen war.

„Ich versteh dich, Kina, und ich bin froh, dass du dich mir anvertraust.", schloss Jacob ehrlich. Kina lächelte erleichtert.

„Bist du sauer auf mich?", fragte sie ihn. „Was, ich sauer?", antwortete er entsetzt. „Kina, ich könnte niemals sauer auf dich sein! Der einzige, auf den ich sauer bin, ist Alpha Elis! Er ist egoistisch, selbstzentriert und gefährlich!" „Ich weiss.", antwortete Kina traurig.

„Was wirst du tun?", fragte Jacob sie. Ihr Blick wanderte auf den Boden und dann wieder in seine blauen Augen.

Vertrauen.

„Ich habe überlegt, es Finn zu sagen. Aber wenn ich es ihm sage, kommt es mir so vor, als würde ich die Verbindung akzeptieren und ich weiss nicht, ob ich das schon kann. Kann ich einen Mate akzeptieren, der dabei ist, mein Rudel, meine Familie zu zerstören und dazu noch so egoistisch war, eine andere Frau zu markieren. Und diese Markierung hat dazu geführt, dass er mich vielleicht nie als seine Mate erkennen kann. Möchte ich das?"

„Diese Frage kannst nur du dir beantworten. Es steht mir nicht zu, meine Meinung dazu zu äussern.", antwortete Jacob.

„Kina, du weisst, was dein Leben noch so viel komplizierter macht, ist dieses grosse Geheimnis, das du schon dein ganzes Leben mit dir herum schleppst. Ich werde dich niemals dazu drängen, dieses Geheimnis offen zu legen. Aber wenn du ehrlich bist, Alpha Elis, Elis dürfte davon schon etwas bemerkt haben. Finn kann nichts davon bemerkt haben, er ist kein Alpha. Aber jeder andere in diesem Rudel dürfte etwas, zumindest zu einem Zeitpunkt in deinem Leben, bemerkt haben. Das ist keine Frage für oder gegen Elis oder für oder gegen Finn. Das ist eine Frage, für oder gegen dich. Es geht darum, was für ein Leben du leben möchtest. Im Schatten deines Bruders, als die Schwester des Alphas, oder im Schatten von Elis, als Mate des Alphas. Du wirst nie die Alpha sein, auch wenn du und ich uns das so sehr wünschen. Deine Liebe und Treue zu den Menschen, die dir wichtig sind, hält dich davon ab. Du trägst zwar Alphablut in dir, aber zu viel andere Werte, die dich davon abhalten eine Alpha zu sein, die von allen anderen als das akzeptiert wird und deinen Platz einzufordern. Nicht, dass das etwas Schlechtes wäre, das will ich damit überhaupt nicht sagen. Aber du musst dir klar werden, um was es dir hier wirklich geht. Geht es um deine Identität, deine Familie oder um deinen Mate? Und Kina, du musst auch für die einstehen.", schloss Jacob traurig, die Tränen traten in seine Augen. „Kina, du musst in erster Linie auf dich aufpassen. Du wirst irgendwann daran kaputt gehen."

Jacob zeigte ihr den grossen Riss in ihrem Herzen auf. Sie nickte. Still weinten Kina und Jacob miteinander. Sie trauerten um die Kina, die sie eigentlich sein sollte, aber niemals sein konnte. Die Wahrheit schmerzte.

Eine Woche verkroch sich Kina in ihrem Zimmer, wieder. Immer und immer wieder lass sie ihre Lieblingsgeschchte. Das Echo der Zeit. Eine tragische Geschichte über zwei Liebende, welche immer wieder füreinander starben und in einem neuen Leben zueinander fanden, dabei aber ihre Familien in Schutt und Asche zurückliessen.

Kina wollte auch zu Elis finden. Aber nicht für den Preis ihrer Familie.

Sie blieb mit ihren Gedanken allein, weder Finn, Jacob noch Elis, welcher drei Mal an der Türe geklingelt hatte und von Jacob abgewiesen wurde, durfte in ihr Zimmer kommen. Kina musste mit ihrem Schmerz und der Wahrheit alleine sein.

Eines Nachts schlich sie sich aus dem Haus und ging zum Tempel, wie immer war er durch Kerzen beleuchtet. Sie setzte sich vor das Grab ihrer Mutter und starrte mit ihren geröteten Augen auf die Schrift. Sie fuhr mit dem Fingern die Buchstaben ab.

Luna Cadinca vom Vollmondrudel, geboren im Halbschattenrundel

Geliebte Gefährtin, Mutter, Freundin und Luna - viel zu früh musstest du uns verlassen

„Kann ich das Mom? Kann ich auch eine geliebte Gefährtin, Mutter, Freundin und Luna sein? Kann ich das alles sein und gleichzeitig noch eine gute Schwester? Wenn ich mich für Elis entscheide, entscheide ich mich dann nicht automatisch gegen Finn?" Verzweifelt blickte sie auf das Grab und wartete auf eine Antwort, die nicht kommen würde. „Gibt es nicht eine Möglichkeit, in der ich alles sein kann? Eine gute Gefährtin, Schwester, Freundin und Luna? Ich kann ihn nicht alleine lassen, aber wenn ich nicht gehe, wird Elis hier bleiben und das Rudel und Finn zerstören. Da bin ich mir sicher."

„Ich werde Elis in mein Geheimnis einweihen. Ich werde mit Elis aus dem Vollmondrudel gehen, mit der Gefahr, dass Finn es nicht verstehen wird und mich für sogar immer hassen wird. Finn wird niemals die Wahrheit erfahren. Dad, Adrian und du werdet ihn unterstützen können, damit er Alpha bleibt oder zumindest ein gutes Leben führen kann. So bin ich doch auch eine gute Schwester, oder?", fragte Kina in die Nacht.

Womöglich war die Wahrheit ihr Weg, um zu Elis zu finden, ohne ihre Familie dabei zu verlieren.

Alphablut - Legends of AlikanteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt