Kapitel 9 - Stumme Tränen

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TW: Blut, Gewalt, Tod, Trauer, sexualisierte Gewalt, Mord

Dannielle weinte. Stumme Tränen und lautlose Schreie der Verzweiflung. Es konnte nicht sein. Durfte nicht sein. Er hatte sie allein gelassen. Sie! Obwohl er wieder und wieder geschworen hatte, sie zu beschützen, wie es alle großen Geschwister tun sollten. Immer. Bis zum Ende ihres Lebens.

Ein weiterer Schluchzer entrang sich ihrer Kehle. Sie beide! Nicht nur ihr Vater, sondern auch ihr Bruder. Sie war allein. Kraftlos schlug sie mit ihrer geballten Faust neben sich in den Schnee.

Für einen kurzen Moment hatte sie ein unbestimmtes Gefühl. Sie konnte einfach aufstehen und in den Fluss gehen. Ihre Röcke würden sich vollsaugen mit dem eisigen Wasser. Sie würde es nicht schaffen, zu schwimmen. Taubheit würde sich in ihren Gliedern niederschlagen. Nach nur ein paar Minuten der Kälte würde sie das Bewusstsein verlieren. Und ertrinken.

Aber sie schaffte es nicht, aufzustehen. Jean-Jacques Hand, die sie noch immer hielt, wurde immer kälter. So wie ihre eigene. Vielleicht würde sie einfach hier bleiben. Vielleicht würde sie einfach warten, bis sie kalt und reglos war. So wie ihr Bruder.

Sie fürchtete, ihn loszulassen. Sie konnte ihn nicht gehen lassen. Noch nicht.

Eine Stimme durchbrach die Stille um sie herum.

Dannielle verstand die Worte kaum, die gesprochen wurden. Ihre Bedeutung drang nicht zu ihr durch.

Am Rande ihres starren Blickfeldes sah sie zwei Männer wie im Streit.

Sie nahm einen tiefen Atemzug von der kalten Winterluft und hob den Kopf ein wenig von der regungslosen Brust ihres Bruders, um besser sehen zu können.

Dannielle beobachtete, wie Jared den Arm um die Schulter des Räuberhauptmanns legte, als würde er einen alten Bekannten treffen und ihm etwas zuflüstern. Sie konnte kaum ein Wort verstehen, das gesprochen wurde, sie erhaschte nur Fetzen wie Cousine ... Kloster... armer Landadel.

Der Bärtige lachte auf. Er streifte Dannielle mit seinen Blicken, die sie zu ihrem Entsetzen bestenfalls noch als lüstern beurteilte, ehe Jared jenen ein paar Schritte weiter abseits zog, um in Ruhe mit ihm zu verhandeln. Hastig schlug sie die Augen nieder. Mit einem Mal erinnerte sie sich, in welcher Situation sie sich befand. In welchem Augenblick ein Tod sie aus dem Jetzt gerissen hatte. Ein Jetzt, das nun mit voller Wucht und seiner ganzen Tragweite auf sie zurückfiel. Sie war in Gefahr.

Angst machte sich in ihr breit. Sie hatte keine Kraft und doch musste sie aufstehen. Die Räuber standen noch immer um sie herum, warteten noch immer auf ihren Anteil für das Überqueren der Brücke und das Benutzen des Weges.

Was, wenn Jared sie als Pfand eintauschen würde, um seine eigene Haut zu retten?

Ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Als würde es sie unendlich viel Kraft kosten, setzte sie sich auf. Der Schnee unter ihr war rot von Blut und erstreckte sich in einem Halbkreis bis zum Saum ihres Mantels. Die Räuber waren zurück gewichen, als würden sie nicht wagen, den verfärbten Schnee zu berühren.

Schweigend legte sie die Hände aneinander und begann, still zu beten.

Zwei weitere Augenblicke vergingen, in denen sie nicht wagte, aufzusehen oder sich vorzustellen, was als nächstes geschehen würde.

Schließlich atmete sie tief durch und ordnete im Sitzen ihre Röcke. Die Kälte drang vom Boden durch den dicken Wollstoff und ließ sie erschaudern. Sie versuchte aufzustehen, doch ihr Stiefel verfing sich in ihrem Untergewand und sie landete ungeschickt wieder auf dem Boden, ehe jemand ihr plötzlich eine Hand anbot, die sie ergriff.

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