Dannielle hatte es die Röte ins Gesicht getrieben. Kurzerhand versuchte sie sich das Tischtuch, das ihre Haarpracht verbarg, tiefer ins Gesicht zu ziehen. Schließlich gab sie es auf und befestigte das Stück Stoff für später an ihrem Gürtel. In diesem Moment fiel ihr auf, dass sie sich seit Tagen nicht so benahm, wie es von einer Lady erwartet wurde. Sie reiste allein mit zwei Männern – die dazu Diebe und wer weiß was sonst noch alles waren – war auf der Flucht vor ihrem eigenen Vater, ging dabei sogar über Leichen, suchte nach einem Schatz und eignete sich ebenfalls schon Hab und Gut anderer Menschen ohne Berechtigung an.
Was sie allerdings noch beunruhigender fand, war die Tatsache, dass es ihr nicht viel ausmachte. Ja sie genoss es geradewegs ihre Meinung verkünden zu können, wie es ihr gefiel und nicht sofort von irgendwem zur Ordnung gerufen zu werden. Oder ihr Haar tragen zu können, wie es ihr beliebte ohne es des Anstands wegen unter einer Kopfbedeckung oder Haube verbergen zu müssen. Den beiden Dieben waren ihre Aufmachung und ihre Manieren so egal, dass sie es ungemein befreiend empfand.
Schließlich erreichten sie das runde Plateau des Hügels doch noch heil und zu Jareds großer Freude unverheiratet.
Die aufgeregten Stimmen ihrer Begleiter verstummten jäh. Dannielle ließ ihren Blick schweifen. Sechs große graue Steine bildeten den Gipfel der Insel und ragten in den stürmischen Himmel auf wie die Zacken einer toten Krone. Sie waren teilweise von Moosen und Flechten befallen, einer hatte einen Riss, durch den das Gestein auseinander klaffte wie bei einer Wunde. Ein weiterer war zerbrochen, sodass nur noch Trümmer von ihm übrig waren. Ein liegender Fels bildete das Zentrum des Kreises.
Dannielle musste schlucken. Er lag auf der Seite, sodass er eine ebene Fläche bildete beinahe wie ein Tisch. Zögernd trat sie näher. Das ewige Grau des Steins war in der Mitte in einem blassen Braun verfärbt, als hätte sich Blut vor Tausenden von Jahren darin eingebrannt.
Jared trat neben sie.
"Dies war ein heiliger Ort", sprach er leise. Sein Blick folgte dem ihren. Seine Stimme klang andächtig, auch wenn sie frei war von jeglicher Emotion. Ein Schauer lief ihren Rücken hinab. Sie wusste, was er meinte. Die Kirche hatte nichts damit zu tun. Das Heiligtum dieses Ortes fühlte sich älter an. Urtümlicher. Tiefer.
Sie musste den Impuls unterdrücken sich zu bekreuzigen. Es fühlte sich nicht richtig an. Jareds Stimme holte sie zurück in die Realität und vertrieb das andächtige Gefühl, das sich in ihr ausgebreitet hatte.
"Also...", begann er. "Wir haben: Die Insel, den Stier, die Räder aus Stein."
Daemon lehnte sich an einen der aufrecht stehenden Steine und begutachtete diesen aus Langeweile sorgfältig.
"Schön, Jared. Wie soll es weitergehen?" Er hob eine Augenbraue und warf ihm einen fordernden Blick zu.
"Wir könnten alles absuchen und versuchen den Stein anzuheben?", schlug ihr Dieb vor, während er auf den tischartigen Fels in der Mitte deutete. "Oder aber..." Sein Blick wanderte zu ihr.
„Wenn der Tag wird gehen, du die Pforte wirst sehen!", zitierte Dannielle die letzte Strophe des Gedichts und beendete damit den Satz, den Jared hatte sagen wollen. Das war alles was sie hatten. Mehr gab es nicht.
"Klingt eindeutig", befand Jared. "Wir sollten bis zur Abenddämmerung warten. Das kann noch ein Weilchen dauern, also..."
Dannielle nickte. Auch wenn es sich um eine heidnische Stätte handeln mochte, war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, sie zu entweihen, indem sie alles durcheinander brachten und Unruhe stifteten. Abgesehen davon zweifelte sie daran, dass es ihnen gelingen würde, einen der Steine auch nur einen Zentimeter zu verrücken.
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Der Ring der Herzogin ✓
Historical FictionEin Buch. Es ging um ein einziges, verstaubtes Buch. Es war weder besonders groß, noch besaß es außerordentlich viele Seiten. Es verfügte auch nicht über bunte handgemalte Bilder, noch hatte der Verfasser umfassendes Wissen der Kalligrafie besessen...