TW: Blut, Xenophobie, Rassismus
Als Dannielle erwachte, brauchte sie zunächst einen Moment, um sich zu orientieren. Gedämpftes Licht fiel durch das kleine Fenster und warf seine Muster auf den staubigen, mit Fußabdrücken übersäten Boden. Als die Realität des gestrigen Tages zu ihr durchdrang, wandte sie sich beunruhigt um.
Wie sie erwartet hatte, war der Platz neben ihr verlassen. Gedankenverloren berührte sie die Stelle, an der Jared noch vor kurzem gelegen und sie im Arm gehalten hatte. Auch wenn das Laken längst kalt war, trug es dennoch eine Erinnerung an die Wärme seines Körpers in sich. Ohne darüber nachzudenken was sie eigentlich tat, legte sie ihre Wange kurz noch einmal auf die Stelle, wo sein Kopf geruht haben musste.
Obwohl sie damit gerecht hatte, damit hatte rechnen müssen, versetzte es ihr einen Stich. Sie richtete sich auf und strich sich mit ihrer Hand durch die Haare und über das Gesicht. Dass Jared sich nicht verabschiedet hatte, verletzte sie.
Oder hatte er es getan, doch ihr Schlaf war so tief gewesen, dass sie es nicht bemerkt hatte? Gab es überhaupt einen Grund zum Abschied nehmen? Vielleicht hatte er es auch einfach nicht getan, um seinem Verschwinden nicht den Hauch einer Endgültigkeit zu verleihen, die nur den Tod nach sich hätte ziehen können.
Mit demselben flauen Gefühl, mit dem sie gestern eingeschlafen war, erhob sie sich.
Sie hoffte inbrünstig, dass die beiden Diebe bald und gesund zurückkehren würden. Langsam griff sie nach ihrem Überkleid und ließ den weichen Wollstoff einige Momente durch ihre Finger gleiten. Sie zog es ebenso gemächlich an und begann dann ihr Haar mit den Fingern zu kämmen. Auf dem kleinen Tisch lagen die Seidenbänder, die Jared ihr zur Versöhnung geschenkt hatte. Dannielle betrachtete sie eine Weile, ehe sie sie mit zitternden Fingern mit in ihre Haare flocht. Sie teilte ihren Schopf und drehte ihr Haar an den Seiten zu zwei Zöpfen ein, die sie am Hinterkopf zu einem vereinte.
Schmerzlich wurde sie an den gestrigen Abend erinnert, als sie Jareds Haarsträhnen bemerkte, die noch immer auf dem Boden zu ihren Füßen lagen. Zögernd hob sie eine auf und drehte sie zwischen den Fingern. Sie fühlte sich verwirrt und verunsichert. Jared löste beizeiten etwas in ihr aus, von dem sie nicht wusste, was es war. Sie war sich nicht ganz sicher, aber soeben verspürte sie das schmerzliche Verlangen nach mehr davon.
Wie merkwürdig der ganze letzte Tag doch gewesen war.
Sie blinzelte. Es würde ihnen nicht helfen, wenn sie noch länger hier herum saß und wartete. Sie konnte zumindest heilende Kräuter und vorsorglich Verbände oder dergleichen besorgen. Eine Ahnung erfüllte sie, dass sie sie früher oder später brauchen würden.
Entschlossen hob sie ihre Tasche samt Gürtel vom Boden auf und wollte ihn sich um die Hüfte binden, als ihr auffiel, dass es darin schwer klimperte. Dannielle runzelte die Stirn. So viele Münzen hatte sie nach dem Kauf des Kuchens überhaupt nicht übrig behalten. Sie öffnete das lederne Säckchen und sah hinein.
Ihr Atem stockte, als sie realisierte, dass es voller barer Münze war. Doch sie fand nicht nur Geldstücke, sondern auch ein zerfleddertes, zusammengefaltetes Pergament. Es handelte sich um das Wappen nach dessen Herkunft ihr Dieb gestern noch zwanghaft gesucht hatte. Sie faltete es auseinander und musterte die Skizze des Symbols. Dann drehte sie es um.
Auf der Rückseite erkannte sie eine ihr unbekannte Handschrift. Die Buchstaben waren simpel und dennoch schwungvoll mit einem schwarzen Stück Kohle geschrieben worden. Es handelte sich um nur ein einziges Wort:
Saragossa
Dannielles Herz begann schneller zu schlagen.
Es war ihrem Dieb gelungen, das Rätsel zu lösen.
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Der Ring der Herzogin ✓
Historical FictionEin Buch. Es ging um ein einziges, verstaubtes Buch. Es war weder besonders groß, noch besaß es außerordentlich viele Seiten. Es verfügte auch nicht über bunte handgemalte Bilder, noch hatte der Verfasser umfassendes Wissen der Kalligrafie besessen...