Sie folgten der Straße weiter nach Süden. Die Luft war lau, der Himmel klar und da sie auch nach Anbruch der Abenddämmerung auf kein weiteres Dorf trafen und die umliegenden Gehöfte meiden wollten, beschlossen sie ihr Lager unter ein paar austreibenden Buchen aufzuschlagen.
Während Daemon immer noch damit beschäftigt war Tenebros zuzureden, sammelte Jared trockenes Holz und entfachte schließlich ein wärmendes Feuer, an dem sie sich niederließen.
„Ich kann verstehen, dass Ihr diese rote Schönheit mit Euch nach Irland nehmen wollt. Sie ist wirklich eine Perle!" Daemon klopfte Tenebros freundschaftlich auf die Schulter und nahm diesem die Flasche ab, die er in den Händen hielt.
„Ich dachte, Ihr hättet etwas gegen Rothaarige!", wunderte sich Tenebros und nahm Daemon die Flasche erneut aus der Hand, um selbst zu trinken.
„Gegen rothaarige Männer, ja", antwortete Daemon geduldig und holte sich die Flasche wieder. „Aber seht sie Euch doch an..." Er deutete mit der Flasche in Dannielles Richtung. „Einfach perfekt. Ich kann Euch eines verraten, diese Hüften werden Euch viele Kinder gebären. Nehmt sie Euch, ehe es jemand anderes tut!"
Tenebros runzelte die Stirn.
„Meint Ihr nicht, dass sie ein wenig zu stur ist?", murmelte er.
„Ach was, gerade solche Frauen verlangen nach einer führenden Hand. Nach einem Mann, wie Ihr es seid, sonst gehen sie ganz grauenhaft zu Grunde!" Zufrieden lächelnd lehnte Daemon sich zurück. Es lief einfach perfekt, bald hatte er sein Ziel erreicht.
Tenebros schielte zu Dannielle herüber, die Jared soeben ein Stück Brot überreichte. Daemon beobachtete, wie die Kiefermuskulatur des Iren bedrohlich mahlte.
„Was wollt Ihr bezwecken, mein Bester? Wollt mir ein Weib anpreisen wie ein Marktschreier seine Ware? Gerade Ihr, welcher von Heiraten und Kinderkriegen nichts hält? Das könnt Ihr mir nicht weiß machen wollen!"
Daemon lächelte gütig, als wäre Tenebros ein Schüler, der noch viel zu lernen hatte.
„Mein Freund, ich bin nicht dazu geschaffen worden, Frauen zu heiraten und Kinder zu zeugen, seht mich doch an." Er breitete seine Arme aus, damit Tenebros ihn zur Gänze betrachten konnte. „Welche Frau würde wollen, dass ihre Kinder mich als Vater haben? Ihr hingegen..." Er schenkte ihm einen Blick, der seinen Satz vollendete.
Entgegen seiner Vermutung packte Tenebros ihn am Kragen seines Wams, zog ihn nah an sich heran und zischte ihm ins Ohr:
„Du schmieriger Arschkriecher! Halt besser dein Maul, ehe ich es dir stopfe! Du glaubst doch nicht, dass ich auf dein Geschwafel hereinfalle, du einfältiger Hund!"
***
Jared schreckte auf. Der östliche Horizont verfärbte sich bereits.
Im nächsten Augenblick wusste er, was ihn geweckt hatte. Das leise Geräusch heimlicher Schritte. Sein Blick fiel auf die Silhouetten ihrer beiden Pferde, die sich vor dem heller werdenden Himmel abzeichneten. Daemon und Dannielle schlummerten friedlich neben dem heruntergebrannten Feuer.
Tenebros Lager hingegen war verschwunden.
Jared konnte den blonden ordentlich gebunden Zopf des Iren ausmachen, wie er hinter ein paar Bäumen verschwand.
Leise erhob er sich und folgte ihm.
Sein Dolch legte sich wie von selbst in seine Hand, während er im üppig wuchernden Unterholz zwischen morschen Ästen und raschelnden Blättern darauf bedacht war kein Geräusch zu machen, das ihn verraten würde.
Im Zwielicht der Dämmerung zwischen den dicht an dicht stehenden Bäumen erkannte er nur schemenhaft, wie Tenebros sich auf einen umgefallenen Baum sinken ließ und sich bückte, um etwas in einer Tasche zu verstauen.
Seine Hand mit dem Dolch hob sich wie von selbst.
Jared kniff die Augen zusammen.
Er war höchstens noch zwei Meter von dem Iren entfernt.
Zwei Meter trennten ihn von der Lösung eines gigantischen Problems.
Der Ire richtete sich auf.
"Du weißt doch, was man sagt, Jared, oder?"
Tenebros wandte sich zu ihm um. Seine Rechte hielt eine Feuerwaffe, die wie beiläufig entspannt auf seinem Oberschenkel lag.
Plötzlich erschien ihm der Dolch in seiner Hand, wie ein harmloses kleines Spielzeug. Auch wenn er scharf war, war er nutzlos. Er ließ die Hand sinken.
"Was sagt man, Tenebros?" Wer zum Schwert greift wird von denen erschossen, die es nicht tun?
Er war sich sicher, nicht das leiseste Geräusch verursacht zu haben. Der Ire musste gewusst haben, dass er ihm folgte. Vielleicht hatte er ihn mit Absicht geweckt.
"Auch eine Katze mit sieben Leben muss irgendwann sterben. Ich freue mich schon auf den Tag, an dem all deine Leben aufgebraucht sein werden. Wenn es sein muss, werde ich dich persönlich zum Schafott schleifen."
Ein hämisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
"Dieses Kompliment kann ich nur zurückgeben, Tenebros." Ein gleichgültiger Ton schlich sich in seine Stimme hinein. Er war verdammt. Was sollte er mit einem Messer gegen die Macht einer Schusswaffe ausrichten?
Dennoch.
Mit einem Mal war er sich sicher, dass der Ire nicht die Absicht hatte, ihn hier und jetzt zu erschießen. Es diente nur seiner eigenen Verteidigung.
Tenebros erhob sich.
"Es war nicht das letzte Mal, dass unsere Wege sich kreuzen."
Jared runzelte irritiert die Stirn. Die Worte des Iren klangen wie ein Abschied. Er blieb aufrecht stehen, wo er war, als Tenebros sich in Bewegung setzte und nahe vor ihm zum Stehen kam. Er wich nicht zurück.
"Ich bin nicht dumm, lästiger Dieb!" Die Worte des Iren waren nicht mehr als ein abfälliges Zischen. "Ich weiß nicht, wie du es geschafft haben magst, dass dir eine hochgeborene Lady verfällt. Ich sehe, wie sich ihr Wesen zu dir hinzieht, wenn sie dir nur ein harten Kanten Brot reicht. Glaub mir, nichts davon ist von Dauer. Du wirst sie fallen lassen, sobald du sie mit deiner Verderbtheit besudelt hast und dann werde ich sie auffangen und jeden Schmerz den du ihr zugefügt hast tausendfach zurückzahlen. Dein Ende ist näher, als du es glaubst."
Jared schwieg. Sein Lächeln war düster und träge.
Der Ire sog scharf die Luft ein, als die Klinge seines Dolches sich sanft gegen sein leichtes Hemd drückte. Nicht fest genug, um Kleidung und Haut zu durchdringen, aber dennoch fest genug, um ihn einen halben Schritt zurückweichen zu lassen.
"Du weißt nicht, wovon du redest, Tenebros", sprach Jared leise. "Du bist nicht der Erste, der mich unterschätzt und fällt. Neid ist eine Todsünde. Er vernebelt deinen Verstand."
Das hämische Lächeln des Iren blieb.
"Von Neid zu sprechen wäre mehr als hochmütig, Dieb. Was hast du, worauf ich neidisch sein könnte, hm?"
"Das ist doch wohl offensichtlich."
Der herzerwärmende Gesang der Frühlingsvögel erfüllte die eisige Stille, die zwischen ihnen entstand, als Tenebros seine Hand hob, um seine Waffe gegen Jareds Schläfe zu legen. Sanft. Fast zärtlich wie die kühlen Finger einer Frau bettete sich das kalte, tote Metall an seine Haut.
Ein weiteres Geräusch mischte sich in das Konzert der Amseln und Drosseln. Das Wiehern von Pferden und Trappeln vieler Hufe.
Jared horchte auf.
Seine Augen weiteten sich kurz aber das genügte, um jenes Grinsen noch breiter werden zu lassen. Die Worte des Iren kaum mehr ein Flüstern in seinen Ohren, riss er sich los.
"Dein Ende ist näher als du glaubst."
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Der Ring der Herzogin ✓
Historical FictionEin Buch. Es ging um ein einziges, verstaubtes Buch. Es war weder besonders groß, noch besaß es außerordentlich viele Seiten. Es verfügte auch nicht über bunte handgemalte Bilder, noch hatte der Verfasser umfassendes Wissen der Kalligrafie besessen...