Kapitel 75 - Krankhafte Paranoia

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TW: Trauer, Verzweiflung, sexuelle Handlungen

Am nächsten Morgen wurden die Zelte abgebaut, hastig sämtliches Gepäck auf Wägen verfrachtet, um dem drohenden Regen zu entgehen, der von der Atlantikküste her aufzog und die Whanau begaben sich auf den Weg nach Süden. In ihrem Schlepptau die drei Neuzugänge Jared, Dannielle und Daemon. Noch ein wenig verschlafen trotteten sie hinter der Karawane aus Karren und Tieren her, fest in ihre Mäntel eingepackt und froh darüber, dass die Pferde ihnen ein wenig Wärme schenkten. Daemon beobachtete, wie sein Freund geduldig immer wieder seine Ärmel hochkrempelte. Er hatte ein altes, tausendfach geflicktes Hemd von einem der Zigeuner bekommen, das ihm viel zu groß war und dessen tiefer Ausschnitt mehr von seiner Brust enthüllte, als es verbarg. Ein entspanntes Lächeln zierte seine Züge und insgesamt machte er den Eindruck, als wäre er ziemlich zufrieden nach einer warmen Nacht aus einem Bordell gefallen.

„Ein denkbar ungünstiger Tag zum Weiterreiten", brummte Daemon. Ihm machte nicht nur der unablässige Regen zu schaffen, der seit einer Stunde in dichten Schwaden vom Himmel fiel, sondern ebenso die Folgen des gestrigen, trinkfreudigen Abends. Er wischte sich das kalte Nass mit der Handfläche aus dem Gesicht.

„Ich kann mir keinen besseren Tag vorstellen!", gab sein Freund gut gelaunt zur Antwort.

"Jared, du hast einfach eine krankhafte Paranoia."

"Mag sein", gab sein Freund zu. "Ich lag aber auch leider schon viel zu oft richtig damit!" Er schenkte ihm ein schadenfrohes Lächeln.

Daemon entfuhr ein unflätiges Grummeln. Ihn beschlich die Vermutung, dass ihm seine verkaterte Stimmung ins Gesicht geschrieben stand.

"Lucida meinte, sie wären ohnehin innerhalb der nächsten paar Tage aufgebrochen. Auf einen Tag früher oder später kommt es kaum an."

"Lucida heißt sie also. So so."

Daemons Blick fiel auf die Lady, die ihre Unterhaltung stur ignorierte. Allerdings glaubte er, dass sie auch kaum in der Lage dazu war, ihren Mund überhaupt ein Wort formen zu lassen. Ihre geröteten Augen fielen immer wieder zu und abermals legte sie soeben ihre kühlende Handfläche an ihre wohl glühende Stirn.

Als er zurück zu Jared sah, erkannte er, dass auch er die Lady wehmütig mit sorgenvollem Ausdruck beobachtete.

Daemon hob verächtlich eine Augenbraue. Er räusperte sich. Jareds intensive Aufmerksamkeit richtete sich zurück auf ihn.

„Du hast dich sehr gut eingelebt, fast wie damals..."

Sein Freund überging seinen vorwurfsvollen Unterton und sah den Karren und Wagen vor ihnen zu, wie sie über den matschigen Weg rumpelten. Er schwieg eine Weile, ehe er antwortete.

"Du weißt selbst, dass ein Whanaulager das schönste zu Hause ist, das ich je ein zu Hause nennen durfte", raunte er ihm leise über das Geräusch der Hufe auf schlammigem Boden hinweg zu. "Wir hatten so viel Glück und haben so viel Hilfe erhalten an einem Punkt, an dem wir alleine nicht mehr weiter kamen. Wolltest du, dass die gesamte Familie bestraft und verbannt wird, weil sie uns verstecken?"

"Natürlich nicht. Allerdings denken die jetzt, du bist wirklich irgendein hochgeborener Whanauprinz, Jared."

Ein überheblicher Blick traf ihn.

"Das bin ich doch wohl auch, oder?"

Daemon knirschte mit den Zähnen.

"Ich hoffe wirklich, du weißt, worauf du dich einlässt. Du musst dieses Spiel jetzt bis zum Ende mitspielen. Und wir haben keine Ahnung, ob wir wirklich alle Bräuche und Regeln kennen. Was willst du ihnen erzählen, wenn..."

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