Kapitel 78 - Es wird schon seine Richtigkeit haben

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Tenebros betrat den geräumigen Speisesaal der Schänke, in der der Herzog mit seinem Gefolge residierte und blieb nahe der Tür im Hintergrund neben ein paar Dienern stehen. Ein mächtiger schmiedeeiserner Kronleuchter erhellte die Szenerie und die einfachen Bänke, die die Bediensteten an die weiß getünchten Wände geräumt hatten, um dem bevorzugten offenen Raumgefühl der hohen Herrschaften angemessen zu entsprechen. Tenebros presste beim Anblick des in edle Gewänder gekleideten Herzogs fest die Lippen aufeinander. Dessen Erscheinung stand im unwirklichen Kontrast zu der gewöhnlichen Umgebung, in welcher der Adelige sich auf der Reise aufhalten musste. Er saß auf einem einfachen Stuhl hinter einem schmucklosen Tisch, auf dem nicht einmal eine Tischdecke lag.

„Es handelt sich um zwei Geächtete, es sind Diebe, die offenbar auch zu anderen Schandtaten neigen...", erklärte der Duc. Die Worte presste er angestrengt zwischen seinen Zähnen hervor, als hätte er sie schon einhundert Mal gesprochen. "Es tut nichts mehr zur Sache, ob ihr das Rätsel gelöst habt oder die Hinweise ins Leere führen. Was nützt mir ein Schatz aus Piratengold, wenn es mein Schatz ist, den sie besitzen. Mein Erbe. Meine Tochter. Meine einzige unschuldige Tochter." Seine wütende Stimme donnerte durch den leeren Raum.

Tenebros Blick fiel auf den knienden Söldner, dem die Worte galten und er musste schlucken. Er hatte vor vielen Wochen nicht damit gerechnet, dass es dem vom Krieg gezeichneten Soldaten Raoul nicht gelingen sollte, den lästigen Dieb mitsamt seiner Beute zu erwischen.

Er hatte geglaubt, dass Dannielle keine halbe Stunde, nachdem er sie zuletzt in den Fängen des Diebes verlassen hatte, sicher auf dem Weg zurück zu ihrem Vater sein würde. Und Jared und Daemon längst in den brester Kerkern verrotteten. Er verfluchte sich selbst. Der Dieb hatte ihm sogar prophezeit, ihn nicht zu unterschätzen. Er hätte ihm nicht nur die Waffe an die Schläfe legen, sondern auch eine Kugel in den Schädel jagen sollen. Die Gelegenheit hatte er versäumt. Und dass er Dannielle missbraucht hatte, um seine eigene Haut zu retten und damit den Eindruck erweckt hatte, dass es sich noch immer um eine Entführung handelte, war einfach nur eine billige Farce.

Und nun, nach Wochen des Wartens und Hoffens, sah es für den brester Söldner Raoul Moreau und dessen Männer noch immer nicht besser aus. Tenebros Erfahrung nach erhielt Raoul einen Auftrag, führte ihn aus und wurde bezahlt. Ebenso wie er selbst. Doch seit ihrem Aufeinandertreffen in der Nähe von Nantes, war die Herzogstochter plötzlich wie vom Erdboden verschluckt gewesen.

Bis heute.

Wissend lächelte Tenebros in sich hinein und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen zu.

Der Herzog schlug mit der Faust auf die Tischplatte, sodass Teller und Becher klapperten.

„Ihr müsst sie schnell finden, verdammt schnell! Ich verlange Loyalität!"

„Jawohl, mein Herr!" Die dunkle Stimme des Söldners drang knurrend an Tenebros Ohr. „Aber gestattet mir noch zu sagen, dass wenn sie die Grenze überschreiten sollten..."

„SCHWEIG!", fuhr Gerard ihn an. „Ich habe dich nicht an meine Seite geholt, damit du mir ständig widersprichst. Also hüte deine hässliche verlogene Zunge, sonst werde ich dein Gesicht noch weiter entstellen lassen! Oder aber ich werde dich einfach ersetzen lassen."

Tenebros beobachtete wie das menschliche Monster, welches der Herzog sich in seinen Reihen hielt, auffällig schnell blinzelte. Als wäre die gebündelte Wut des Adeligen zu stark, um ihr standzuhalten.

„Verzeiht Seigneur. Wir sind ihnen dicht auf der Fährte", versicherte der Söldner noch einmal und senkte sein Haupt vor dem mächtigen Mann.

Dann trat ein anderer Adeliger an die Seite des Ducs und flüsterte ihm etwas augenscheinlich Vertrauliches ins Ohr. Die Miene des hohen Herrn wurde ausdruckslos. Dann fiel dessen Blick auf ihn.

Wortlos winkte der Herzog ihn zu sich heran.

Er kam dem Befehl ohne zu zögern nach und fiel neben Raoul vor seinem Herrn auf ein Knie. Ergeben hauchte er einen Kuss auf den ihm angebotenen Ring und wartete, ertrug die kalten Blicke, die ihn berechnend musterten.

"Ihr habt euch lange nicht in meiner Gegenwart blicken lassen, Tenebros." Abfällig spuckte der Herzog seinen Namen aus, als wäre es verdorbenes Essen. "Sprecht!"

Tenebros gestattete sich eine einzige Sekunde theatralischen Zögerns.

"Es gab einen Hinweis auf ihren Verbleib", begann er. "Vor einer Woche." Er spürte, wie alle Anwesenden im Raum erleichtert ausatmeten.

Endlich.

Endlich eine neue Spur. Endlich die Gewissheit, die Herzogstochter noch am Leben zu wissen.

"Ich befand mich in der Nähe von Bordeaux, als ich von einem verbotenen Duell hörte, bei dem ein niederer Adliger tragisch zu Tode kam. Ich stellte Nachforschungen an. Drei Reisende, davon zwei Männer und eine Frau mit rotem Haar und grünen Augen, wurden zusammen gesehen. Ein paar Befragungen schlossen später alle meine Zweifel aus. Es handelt sich um die drei gesuchten Personen." schloss Tenebros seinen kurzen Bericht ab.

Er glaubte zu spüren, wie die Nasenflügel des Söldners neben ihm vor neidvoller Wut bebten. Er spürte die Blicke aller Anwesenden auf sich ruhen. Und er hörte das Lächeln des Herzogs in dessen Stimme.

"Sehr gut Tenebros."

Der andere Adelige erhob nun die Stimme. Tenebros kannte ihn flüchtig. Der Marquis James van Holt war seit jeher ein Schutzbefohlener des Ducs. Gerard de Sansciel musste ihm großes Vertrauen entgegenbringen, dass er den niederen Adeligen bei diesem Unterfangen an Seiner Seite gestattete.

"Darf ich sprechen, Seigneur?"

Der Duc gewährte ihm den Wunsch mit einer Geste seiner Hand.

"Und das war vor einer Woche, Tenebros?" Die arrogante Stimme kommentierte sein Ergebnis herablassend. "Und wo ist sie jetzt? Eine Woche ist eine lange Zeit."

Tenebros unterdrückte ein wütendes Knurren. Die Fragen waren berechtigt. Allerdings würdigten sie auch seinen Erfolg herab. Als wäre es irgendjemand anderem gelungen, diese Information zu beschaffen und die richtigen Schlüsse zu ziehen.

"Ihre Spur verliert sich seitdem wiederum in der Dunkelheit. Aber jetzt, da sie wieder an einem Ort aufgetaucht sind... Ich bin mir inzwischen nahezu sicher, dass sie versuchen, die Grenze nach Spanien zu überqueren."

James van Holt setzte zu einer Antwort an, doch der Duc gebot ihm durch einen bloßen Blick Einhalt.

"Ihr habt es gehört, Männer. Schwärmt aus. Bordeaux, der Süden der Stadt bis hin zur spanischen Grenze und darüber hinaus, alles, was wir hören, sehen, riechen schmecken kann von Bedeutung sein. Erhebt euch und entfernt euch."

Tenebros wollte es dem Söldner neben sich gleichtun, doch die Stimme des Herzogs hielt ihn zurück.

"Für deine Dienste."

Ein Säckchen fiel mit dem Geräusch barer Münze vor ihm auf den Boden. Er streckte seine Hand danach aus und verstaute es in einer Tasche seines Wamses. Für einen kurzen Moment verachtete er sich zutiefst dafür, dass er Dannielle an ihren Vater auslieferte. Doch als er einige Momente später die Söldnerschar vom Hof reiten sah, machte sich Genugtuung in ihm breit. Es würde alles so kommen, wie es seine Richtigkeit hatte.  

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