Kapitel 7 - Vergoldetes Heu

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Es war bereits Abend, als sie das Dorf erreichten. Hier und dort schien das warme Licht eines Feuers durch die geschlossenen Läden der kleinen Fenster und Rauch ringelte sich verträumt aus den Schornsteinen. Es war fast vollkommen windstill. Ein halber Mond beschien die friedliche Szenerie und erhellte die weiße Schneedecke. 

Es handelte sich um einen Ort voller Schäfer, die ihre Tiere tagsüber auf der Suche nach Essbarem über das weite Land trieben. Nun im Winter verfütterten die Bauern das Heu, das sie im Sommer hergestellt hatten. Hier und dort gab es ein alarmiertes Mäh zu hören, als sie an den teilweise offenen Ställen vorbei ritten und Jean-Jacques hatte Mühe, sein Tier ruhig zu halten, das ob der ungewohnten Geräusche aus dem unkenntlichen Dunkel ab und an scheute. Schließlich saß er ab und führte sein Tier zu Fuß die letzten paar Schritte zur Herberge des kleinen Ortes.

Ihm war aufgefallen, wie freundlich seine Schwester mit dem Fremden umging, wie frei sie in dessen Gegenwart lachte, nachdem sie nun seit einem Monat, seit dem Tod ihres Vaters kein Lächeln an irgendjemandem verschwendet hatte. Dass nicht er selbst der Grund ihrer Freude war, tat weh. Er selbst war doch die einzige Familie, die ihr noch geblieben war!

Was ihm erst recht nicht behagte, waren die Blicke des Fremden. Als dessen Schwäche nach und nach verflog, hatte sich immer mehr und mehr ein räuberischer Ausdruck auf dessen Gesicht gelegt, wenn er zu glauben schien, dass er nicht hinsah. Jean-Jacques hatte den Eindruck, als würde er ein Raubtier dabei beobachten, wie es um seine Beute herumschlich und überlegte, wie es diese am besten zu Fall brachte. Um seine Schwester! Es machte ihm Angst. Er ahnte, dass er selbst dem Raubtier nicht viel entgegenzusetzen haben würde. Er wollte ihn los werden, sobald wie möglich.

Doch erst mussten sie das Buch finden. Oder den Iren Tenebros McGalen. Oder noch besser: Beides.

Sie gaben ihre Tiere einem Stalljungen zur Hand, der sie in einem kleinen Stall unterbrachte. Dem jungen Grafen fiel die Skepsis ihres Begleiters auf, als er seine Zügel dem rotgesichtigen Jungen übergab.

„Ist dieses Etablissement etwa nicht gut genug für Euer Pferd?", scherzte er abfällig. „Frisst es nur vergoldetes Heu und schläft in Federbetten?

Jared atmete geräuschvoll aus und lächelte freudlos.

„Wohl kaum, Mylord", antwortete er. „Vielleicht gebe ich einfach nur gerne acht auf das, was mir lieb und teuer ist... Ganz im Gegensatz zu manch anderen."

Jean-Jacques wollte antworten, doch dann realisierte er, was der Fremde sich soeben erdreistet hatte zu sagen. Grollend verschränkte er die Arme vor der Brust und baute sich in voller Größe vor ihm auf. Es half nichts. Der Fremde war genau so groß, wie er. Und er schien in keinster Weise beeindruckt.

„Hütet Eure Zunge!", entfuhr es dem jungen Grafen. „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass manch ein anständiger Gutsherr ein Tier vermisst, das dem Euren zum Verwechseln ähnelt!" Er wollte die Drohung wirken lassen, doch zu seinem Irrtum erhielt er nur ein amüsiertes Grinsen zur Antwort.

„Oh, wirklich?", fragte sein Gegenüber gelassen. „Ist das alles, Mylord?"

„Ich kann kaum erwarten, dich endlich los zu sein", zischte er. „Irgendetwas stimmt nicht mit dir, das weiß ich! Ich behalte dich ganz genau im Auge!", Sein Blick fiel auf Dannielle, die soeben aus dem kleinen Unterstand heraus trat und ihnen erwartungsvoll entgegenblickte.

„Und du hältst dich fern von ihr, klar?"

Der Fremde deutete eine kleine Verbeugung an, die mehr Sarkasmus enthielt, als seine Worte hätten ausdrücken können.

„Natürlich, Mylord."

Dannielle hatte sich inzwischen an ihre Seite begeben. Freundlich lächelnd blickte sie von einem zum anderen.

„Werdet ihr uns beim Abendessen Gesellschaft leisten, Mylord Jared?", fragte sie höflich und hakte sich bei ihrem Bruder unter, der wie schützend einen Arm um sie legte.

 „Verzeiht, Mylady", antwortete ihr Begleiter, nachdem er sie einen trägen Augenblick lang gemustert hatte. „Es hat sich herausgestellt, dass dieser Ort über einen Gesellschaftskreis verfügt, der mir für heute Abend mehr zusagt, als der Eure." Damit deutete er eine weitere kleine Verbeugung an, drehte sich um und verschwand zwischen den kleinen Häusern.

„Wir brechen bei Sonnenaufgang auf!", rief Jean-Jacques ihm hinterher. Es war ihm beinahe egal, ob er ihn hörte oder nicht.

„Was meinte er denn damit?", fragte Dannielle irritiert, nachdem Jareds Gestalt mit der Dunkelheit verschmolzen war.

„Er wird eine Hure aufsuchen, meine Liebe", seufzte Jean-Jacques und blickte auf Dannielle herunter, deren Gesicht sich in einer seltsamen Mischung aus Enttäuschung und Ekel verzog.

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