Kapitel 15 - Frankreich

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Dannielle stand an die Reling gelehnt, der Wind wehte frisch und sie atmete die salzige Seeluft ein. Das Meer, wie sehr hatte sie es vermisst.

Früher, als ihr Vater noch gelebt hatte, war er mit seinen Kindern häufig zur naheliegenden Burg Bamburgh an der Englischen Ostküste gereist, um die befreundete Familie Forster zu besuchen. Die Burg war direkt am Meer gelegen und es war nicht weit bis zum Strand. Nachts hatte sie das Rauschen der Wellen in den Schlaf begleitet.

Doch das Wasser des Hafens hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den wilden, blaugrauen Wellen der Nordsee.  Hier dümpelten jegliche Schiffe im trüben Braun herum. Dannielle konnte es kaum erwarten auf offener See zu sein.

Jetzt war alles anders.

Sie war mit einem Fremden auf dem Weg in ein fremdes Land. Ihre Mutter war von französischer Abstammung gewesen, doch sie selbst fühlte sich eher der britischen Insel verbunden. War Frankreich wohl anders? Was würde sie dort erwarten? Es kam ihr vor, wie eine Reise in ein neues Leben. Neue Möglichkeiten und Wege eröffneten sich ihr. Und so sehr sie ihren Bruder und ihren Vater auch vermisste, so sehr sie sich in ihre Heimat zurückwünschte, so fühlte sie dennoch ein erwartungsfreudiges Kribbeln in ihrer Brust. Frei zu sein, gehen zu können, wohin man wollte. Und gleichzeitig der Zauber des Beginns von etwas Neuem. Sie wusste, dass dieses Freiheitsgefühl trügerisch und nicht vielen Menschen vergönnt war. Vor allem keinen Frauen. Doch es lenkte sie wunderbar von ihrem Problemen und dunklen Gedanken ab, die in ihrem Unterbewusstsein lauerten. Vielleicht auch davon, dass sie mehr auf der Flucht als auf der Reise in ein Abenteuer war.

Auf der Flucht vor vielen Dingen.

Wieder und wieder sah sie Bilder, die sich in ihre Realität schoben, wie ungebetene Insekten. Doch die Weite des Meeres und das Tageslicht vertrieben die dunklen Gedanken und finsteren Erinnerungen, die des Nachts in ihr aufstiegen.

Mit aller Macht riss Dannielle ihre Gedanken mit sich, zurück in die Gegenwart. Alle Seeleute waren beschäftigt. Alsbald würden sie aus dem kleinen Hafen ablegen und sie hatte seit einiger Zeit Tenebros nicht mehr gesehen. Wo steckte er?

Dannielle fühlte sich beobachtet. Als würde sie ein Schatten am Rande ihres Blickfeldes nicht aus den Augen lassen. Als würde etwas auf die richtige Gelegenheit warten.

Sie wusste, dass Frauen nicht gern an Bord eines Schiffes gesehen waren, doch einen Landweg nach Frankreich gab es nicht. Um nicht auch noch durch ihre Blicke Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, senkte sie ihr Haupt und konzentrierte sich wieder auf das trübe Wasser, das beständig gegen den hölzernen Bug des Handelsschiffes schwabbte.

Sie musste herausfinden, was es mit ihrem Buch und Tenebros geheimnisvollem Auftraggeber auf sich hatte. Vielleicht würde sich auf der Seereise eine Gelegenheit ergeben, etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen.

Dann endlich erblickte Dannielle Tenebros. Der Ire schlenderte soeben gelassen über die Gangway auf den Schoner, der sie und ihn nach Frankreich bringen würde. Er hatte den Kapitän bestechen müssen, zwei zusätzliche Passagiere mit an Bord zu nehmen, denn eigentlich war die Sentina nur ein übliches Handelsschiff, wenn auch ein zwielichtiges. Allerdings gab es wohl kein einziges Schiff, das nicht irgendwelche Grenzen überschritt, waren es die von Ländern oder die der legalen Geschäfte. Es hatte Dannielle nicht gefallen, dass ihre Passage so kompliziert erkauft worden war, doch was wusste sie schon davon. Tenebros hatte sie beruhigt, dass ein korruptes Vorgehen auf Reisen nicht unüblich war.

Er sah sie an der Reling stehen und begab sich mit einem gewinnenden Lächeln zu ihr.

„Ihr seht tatsächlich aus, wie eine Kaufmannstochter, meine Liebe. Vielleicht solltet Ihr Eure Haare noch unter Eurem Hut verstecken, dann wirkt Ihr noch überzeugender", hauchte er ihr ins Ohr und schaute wie sie in die Weiten des Nordmeeres.

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