Dannielle erwachte früh. Sie reckte und streckte sich, erlaubte sich einen langen und wohligen Seufzer, ehe sie ausgeruht die Beine über die Bettkante schwang. Leise zog sie sich ihr blaues Wollkleid über und begann ihre Haare zu entwirren. Vorsichtig achtete sie darauf, möglichst wenig Lärm zu machen, um den noch schlafenden Tenebros nicht zu wecken.
Ihr kam die Situation nur allzu bekannt vor und diese Tatsache ließ sie auf der Hut bleiben. Das letzte Mal hatte sie sich Tenebros bedenkenlos anvertraut und wo war sie gelandet?
Bei einem ihr unbekannten Mann, der sich als ihr Vater vorgestellt hatte und ihr Fesseln aus Diamanten um den Hals legte.
Sie musste dringend ein Wort mit den beiden Dieben wechseln. Sie ahnte, dass die beiden irgendwelche Pläne geschmiedet hatten, um den Iren irgendwie loszuwerden. Doch sie bezweifelte, dass sie weder Jared noch Daemon derart früh zu Gesicht bekommen würde. Gedankenverloren verließ sie die Kammer und begab sich hinunter in den leeren Schankraum, um zu frühstücken.
Sie bediente sich an einem jungfräulichen Buffet und bestellte sich bei einer verschlafen aussehenden Schankmaid eine Tasse heißen Tee.
Als sie herzhaft in ihr mit Eiern belegtes Brot biss, fiel ihr auf wie angenehm es war, einmal nicht von laut streitenden Männern umgeben zu sein. Kauend überlegte sie weiter, wie sie es schaffen sollte, Tenebros davon abzuhalten für jegliche ihrer Annehmlichkeiten zu bezahlen. Und dann bemerkte sie, dass sie selbst nichts weiter mehr besaß, außer einem gestohlenen Ring aus Concarneau, den sie dem Mann während der Hinrichtung entwendet hatte. Grübelnd erwog sie diesen gegen ihr Frühstück einzutauschen, aber dann wurde ihr klar, dass es viel zu auffällig war. Sie musste das Schmuckstück zuvor irgendwo gegen harte Münze eintauschen.
Die Schankmaid platzierte einen dampfenden Becher vor ihr auf dem Tisch und wuselte mit einem gequält freundlichen Lächeln in ein Hinterzimmer davon.
Gerade, als sie den Becher an die Lippen setzen wollte, um zu trinken, schlug die Tür zum Schankraum auf und ein Schwall kalter Morgenluft spülte zwei in dunkle Umhänge gekleidete Gestalten in den Raum. Dannielle wollte ihnen zunächst keine Beachtung schenken und sich wieder ihrem Frühstück widmen, als der harte Blick einer der Personen auf sie fiel. Unter der breiten Krempe seines Huts ragten fettige Strähnen braunen Haares hervor und sein Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen, das eine Reihe schiefer Zähne entblößte.
Dannielle erbleichte.
Der Mann durchquerte den Raum mit drei langen Schritten und kam vor ihr zum Stehen. Sein stummer Gefährte folgte ihm auf dem Fuß.
Dannielle ließ langsam ihren Becher sinken. Fieberhaft überlegte sie. Es gab genau zwei Möglichkeiten:
"Was wollt Ihr?", fragte sie und versuchte einen Anflug leicht verärgerter Unsicherheit in ihre Stimme zu legen. Als wäre sie keine entlaufene und gesuchte Herzogstochter. Als wäre sie eine gewöhnliche Reisende, die sich über das Auftauchen zweier vermeintlicher Kopfgeldjäger wunderte.
"Bonjour Mademoiselle", begann der eine. Seine Stimme klang rau und kratzig. Und noch etwas anderes war darin. Weichheit. Elastizität und Geschmeidigkeit. Es gelang Dannielle nicht, diese einzuordnen. Als würde die Stimme nicht zu ihm passen.
Dannielles Blick glitt über das von Narben gezeichnete Gesicht und blieb an der leeren Augenhöhle hängen. Es gelang ihr nicht, den Blick von der Stelle abzuwenden, an der ein Auge sitzen sollte, allerdings keines mehr vorhanden war. Die Haut war wulstig und uneben.
Ehe der Mann weiter sprach, holte er ein zusammengefaltetes Pergament aus seiner Tasche hervor und faltete es auseinander. Er warf einen Blick auf den Bogen, dann auf Dannielle, dann wieder auf das Papier.
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Der Ring der Herzogin ✓
Historical FictionEin Buch. Es ging um ein einziges, verstaubtes Buch. Es war weder besonders groß, noch besaß es außerordentlich viele Seiten. Es verfügte auch nicht über bunte handgemalte Bilder, noch hatte der Verfasser umfassendes Wissen der Kalligrafie besessen...