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POV: Davi

Der zweite Monat des Jahres neigte sich bereits dem Ende. Rückblickend fragte ich mich, was in den bisher vergangenen acht Wochen geschehen war. Seit dem Abschied von Jessica war eine Veränderung spürbar, welche Nora recht gut in Vergessenheit geraten ließ. Sie war eine sehr engagierte Mitarbeiterin, Jessica hatte sie kurz in ihren letzten Tagen kennengelernt. "Vom Fachlichen scheint sie sehr gut zu sein, nachdem, was ich an ihrem Probearbeitstag gesehen habe, aber menschlich ist da irgendwas.", sagte sie, als wir an einem Abend die Werkstatt verlassen hatten. Die Aussage, dass ihre Arbeit wohl mehr als ausreichend war, stellte mich bereits zufrieden. Meines Erachtens hatte sie sich auch sehr gut in das Team eingebracht, vielleicht hatte sie es auch geschafft, mir ein wenig den Kopf zu verdrehen.

Am Montagabend betrat ich eine Stunde vor Feierabend das Büro, da Ena mich, bevor sie gegangen war, gebeten hatte, ebenfalls die Kasse zu zählen. Aus dem Sideboard an der linken Wand des Büros zog ich aus dem hinteren Fach die blaue Geldkassette heraus; aus der Schatulle im unteren Fach nahm ich den kleinen Schlüssel heraus. Den bereits errechneten Bestand von Ena entnahm ich der kleinen Notiz, welche sie auf die flache Tastatur des Macs gelegt hatte. In Ruhe begann ich, die Münzen zu zählen und mit dem Taschenrechner zusammenzurechnen.

"Also ich habe jetzt dreimal durchgerechnet und habe zwanzig Euro weniger als Ena. Vielleicht hat sie sich ja verrechnet.", grübelte ich und zog mein Handy heraus. Ich öffnete WhatsApp und den noch leeren Chat von Ena.

"Hey, statt 783,16 € habe ich 763,16 € raus."

Recht schnell tippte ich die Nachricht ein und schickte sie weg, damit ich in den Feierabend starten konnte. Mit Tommy zusammen verließ ich die Werkstatt und schloss ab, da er in meiner Nähe wohnte, nahm ich ihn mit, wenn wir die gleiche Schicht hatten.

Geschafft von der Arbeit, ließ ich mich noch in meinem Blaumann auf mein Sofa im Wohnzimmer fallen. In meinem Gedanken ging ich den heutigen Tag noch einmal durch, doch an dem Gedanken des unterschiedlichen Kassenbestandes blieb ich wieder hängen. Tommy hatte mich schon während der Autofahrt angesprochen, was ich so ruhig wäre, doch dass es mich so beschäftigte, hatte ich gar nicht mitbekommen.

Das Türschloss knackte und meine Schwester, Jessica, trat in die Wohnung ein. Nachdem sie vor zwei Wochen ihr Studium im Ausland beendet hatte, kam sie fortan bei mir unter, bis sie sich von ihrem Verdienst auch eine Wohnung einrichten konnte.
"Good eve... Abend... Sorry, es ist immernoch ein bisschen complicated hier."
"Zwei Jahre Florida und du sprichst deine Muttersprache nicht mehr.", lachte ich und setzte mich auf.
"I try to but sometimes...", sie verstummte und winkte ab.
"Schon okay, Schwesterherz. Sind ja auch nur ein paar Worte.", mein Blick schweifte zu dem Beutel in ihren Händen. "Warst du einkaufen?"
"Naja, in deinem fridge herrscht Ebbe, seit ich angekommen bin. Cornflakes are not a complete meal.", lachte sie und lief in die Küche, um die Einkäufe zu verräumen. "Is everything okay? Du wirkst... Ähm...", sie suchte nach den passenden Worten, ich lenkte direkt ein.
"Ach... Bürokram.", winkte ich ab. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah mich meine Schwester an.

POV: Ena

Nachdem ich die zweistündige Fahrt nach Bielefeld zurückgelegt hatte, wurde ich zu Hause mit einem eingedeckten Esstisch und einem zärtlichen Kuss begrüßt. "Ich hoffe, du hast Lust auf Mittagessen.", lachte er mich an. Der Herr des Hauses hat bis Mittag in den Federn gelegen und nun eine warme Mahlzeit zubereitet. Vor dem 'Mittagessen' machte ich mich noch kurz im Badezimmer frisch. Tim ließ über die Soundbar im Wohnzimmer Musik spielen und wir genossen das kleine Mahl.

"I'll give you my last name and all I can to raise a kid
And when your sick I'll let you get your sleep and rest
I wish it could be me instead
But since we can't trade spots..."

Mein Blick schweifte durch das Wohnzimmer und der gewachsene Berg an Paketen fiel mir ins Auge.
"Was hast du denn alles bestellt?", fragte ich neugierig.
"Ich nicht... Basti...", antwortete er kurz.
"Noch mehr 'Geschenke' zum Vierzigsten?", ich lachte leicht ungläubig und erhielt als Antwort nur ein Schulterzucken.
"Ich dachte, es ist noch Zeit bis dahin, oder ist die Salbe für deine Hämorrhoiden schon leer?", mit einem hämischen Grinsen sah ich Tim an. Er griff nach der Papierserviette und warf sie zusammengeknüllt in mein Gesicht.
"Es ist auch noch Zeit, aber irgendwo muss ja das ganze Geld hin, was er erspielt.", lachte Tim und nahm den letzten Bissen des Essens.

- Fuck... - Nervös hielt ich mein Handy in den Händen und las mehrfach die Nachricht von Davi. - Das kann doch gar nicht sein, mit der Kasse im Programm hat es doch auch übereingestimmt. - Ich atmete tief durch und hielt mir die Stirn. Tim kam aus der Küche, nachdem er den Geschirrspüler eingeräumt hatte, und sah mich fragend an. "Alles gut, Babe?", auf seine Nachfrage antwortete ich kopfschüttelnd, doch winkte ab, als er fragte, was mich beschäftigen würde. - Und wie sage ich das am besten, Jess? Vielleicht haben wir uns auch im Januar vertan, als wir die Kasse angelegt hatten... - "Magst du die Gassirunde mitgehen?", fragte Tim vorsichtig. "Hmm... Vielleicht bringt mich das ein wenig auf andere Gedanken.", sagte ich schwer, erhob mich vom Sofa und lief in den Flur, um das Geschirr für Heisenberg zu holen. 

Verloren - 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt