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POV: Lukas // Alligatoah

Am Sonntag schlenderten Jessica und ich entspannt durch die Straßen des Viertels, welche vom Hotel aus zu Fuß zu erreichen waren. Unser Gepäck war bereits im Kofferraum meines Wagens verstaut und der Check-out an der Rezeption war ebenfalls schon erfolgt. Dennoch wollten wir den Heimweg noch nicht antreten, bevor wir ein paar letzte Eindrücke sammeln konnten. Gut gestimmt liefen wir die Gehwege ab, doch auch an diesem Tag hielt sich mein Blick wieder an einem Schaufenster fest. Seitdem wir an Tims Geburtstag erfahren hatten, dass dieser wieder Vater werden würde, freundete ich mich in ruhigen Minuten ebenfalls damit an, mit Jessica in vielleicht nicht ganz ferner Zukunft eine Familie gründen zu können. Ich machte es mir schwer, besagtes Thema anzusprechen, da es schon ein wenig Überzeugungsarbeit brauchte, dass wir uns mittlerweile dauerhaft Wohnung und Bett teilten. Festhielt ich meinen Blick an dem Fensterglas, durch das ich einen olivgrünen Kinderwagen mit dunkelbraunen Applikationen sah, auf meinen Lippen lag ein kaum sichtbares Schmunzeln. "Lukas? Schatz?", vorsichtig holte mich die trübe Stimme von Jessica aus meinen Gedanken zurück. "Können wir weiter?", ihren durchdringenden Blick wandte sie nicht von mir ab. "Ja... ja natürlich...", sagte ich kurz und lachte mit Röte im Gesicht auf. - Irgendetwas hat sie, dieser Ausdruck in Ihren Augen schwindet schon seit Wochen nicht. -

Wir zogen weiter bis Jessica ihren Blick an einem alten Gemäuer aus Backstein auf der anderen Seite der Straße fixierte, die äußere Erscheinung erinnerte an einen Industriebetrieb. 'Automuseum' prangte in Großbuchstaben aus Stein über dem Eingang. "Willst du in das Museum gehen, Mäuschen?", fragte ich und sah zu meiner Freundin herunter.

"Willst du dir das wirklich für mich antun?", unter einem erwartungsvollen Lachen brachte sie mir diese Frage entgegen. Mit aufeinander gepressten Lippen nickte ich. "Na dann..."

In der großen weißen Halle, welche äußerst steril wirkte, wurden automobile Unikate von Klassikern, Oldtimern, historischen Nutzfahrzeugen und seltenen Modellen für die Besucher in allerbestem Zustand ausgestellt. Jessica hielt sich eine kurze Ewigkeit an einem kleinen Wagen auf, welcher bei längerer Betrachtung, meines Erachtens, an ein sehr altes Modell der Marke 'Volkswagen' erinnern könnte. Als ich hinter ihr stand, spiegelten wir uns beide in dem schwarzen aufpolierten Lack des Stromlinienfahrzeuges wider. Unsere Blicke trafen sich in dem Ebenbild, wodurch ich ein kleines Lächeln auf dem Gesicht von Jessica wahrnahm.

"Mein Opa hatte genau so einen vierundsechziger in der Garage stehen...", ihre Augen wandte sie nicht von dem Fahrzeug ab. "zwar nicht in dem Zustand, der war total hinüber und er hatte das Ziel ihn wieder aufzubauen.", sie drehte ihren Kopf zu mir hoch und sah mir direkt in meine Augen.
"Dein Blick gefällt mir gar nicht, junge Lady.", merkte ich an und zog eine Augenbraue noch oben.
"Naja, er hat das Projekt nie beenden können und... Ach egal..."
"Was ist los?", fragte ich beinahe streng, da ich diese abwesende Art von Jessica nicht gewohnt war.
"Was soll denn los sein?", Jessica stand mir mit rollenden Augen gegenüber und entfloh meinem Blick.
"Ich mache mir mittlerweile ernsthaft Gedanken. Du bist in den vergangenen Wochen so abwesend, es ist nicht so, als würdest du mir keine Liebe entgegenbringen, aber du verhältst dich so, wie ich es nie von dir erwartet hätte. Du wirkst nicht mehr glücklich, Ena erwähnst du so gut wie gar nicht mehr und von deinem Arbeitstag gibt es auch nichts mehr zu erzählen. Hast...", bei einem mir unerträglichen Gedanken traf mich ein kleiner Stich im Herzen. "Hast du einen anderen Mann für dich gefunden?"
"Kannst du mir mal sagen, was du dir gerade zusammenspinnst? Keine Ahnung, was in letzter Zeit los ist, ich bin einfach geschafft von der Arbeit. Es ist nicht mehr so, dass ich den halben Tag 'entspannt' ein paar Arbeiten im Büro mit erledigen kann. Vor allem jetzt, zur Radsaison durch das ganze Wuchten, da bin ich halt einfach im Arsch.", Jessica sah mich entgeistert an, wären wir nicht im Museum gewesen, hätte sie wahrscheinlich auch nicht so ruhig und beherrscht gesprochen, was in Anbetracht der Situation auch verständlich war. Sie hielt kurz inne, schüttelte leicht mit ihrem Kopf und atmete tief durch. "Und Lukas... Ein anderer Mann? Nicht nach dem, was wir schon durch haben... Ich bin so glücklich mit dir...", ich zog einen Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln und blickte Jessica entschuldigend an. "Niemals werde ich mir...", sie schluckte kurz, was mich ein wenig stutzig werden ließ. "Mir das kaputt machen lassen.", ich legte meine Arme über ihre Schultern und küsste sanft ihre Stirn.
"Es tut mir leid, Mäuschen.", sagte ich versöhnlich, beinahe flüsternd.
"Ich kann deinen Gedankengang ja auch nachvollziehen, aber..."
"Kein 'aber', solange du mir nicht wieder sagen willst, dass du mich liebst."

~*~

In der Nacht parkte Jessica meinen Wagen am Bürgersteig vor dem Altbau ab, in dem wir wohnten und sah mich mit einem zufriedenen Schmunzeln an. "Meine Damen und Herren, die Fahrt endet hier. Bitte verlassen Sie ruhig und geordnet das Fahrzeug und denken Sie an Ihre Habseligkeiten."

"Scheint, als würdest du dich freuen, der Dreißig in ein paar Minuten näherzukommen.", lachte ich gehässig.
"Und schon ist meine Laune im Keller.", augenrollend stieg sie aus und lief zum Kofferraum. Erwartungsvoll blieb ich auf dem Sitz der Beifahrerseite und sah in den Rückspiegel. Jessica öffnete den Kofferraum und blickte mit weit geöffneten Augen drein. "Du Arsch...", sagte Jessica weinerlich und sah mich durch den Spiegel gerührt an. Ich stieg aus, noch bevor ich die Tür richtig schließen konnte, lag mir Jessica im Arm.
"Ich hatte ursprünglich gedacht und letzten Endes auch gehofft, dass wir erst in...", ich winkelte meinen linken Arm an, um die Zeit auf meiner Armbanduhr abzulesen und lachte leicht auf. "Jetzt erst parken. Alles Liebe zum Geburtstag, mein Schatz.", ich zog Jessica in einen zärtlichen Kuss. Ihr Blick schweifte nur langsam von mir ab; auf der dunklen Reisetasche lag ein kleiner Bund aus Rosen, um den ich den Schlüssel meines Hauses gebunden hatte. 

Verloren - 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt