Verloren - 3

-18-

POV: Jessica

Voller Freude stellte ich mich gegen 17:00 Uhr an der Schlange an, welche sich vor dem Eingang der Swiss Life Hall in Hannover gebildet hatte. Da ich mich zu der Zeit, als ich die Karte gekauft habe, von vielen Menschen distanzierte, war ich, wie beim Abschlusskonzert, allein unterwegs. Die anderen Besucher des Konzertes, welche vor oder hinter mir einen Platz in der Schlange hatten, munkelten über eine mögliche Setlist oder gar Featuresongs, welche gespielt werden könnten. Ich selbst zerbrach mir während der Fahrt nach Hannover meinen Kopf darüber, welche Songs Lukas neben dem Album spielen würde. An der Schlange lief ein junger Mann mit seiner Gitarre vorbei, welcher schätzungsweise 20 Jahre alt war und spielte unterschiedliche Songs an. Ein Freund von ihm filmte dabei mit einem Handy. "Ich will doch nur zu dir auf die Bühne, Lukas.", sagte er ein wenig lauter und ich begann leicht hämisch zu grinsen. "Ey... Ey... Was lachst du denn da?", er wirkte leicht reizbar und kam auf mich zu. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn wortlos an und wartete ab. "Folgst du mir schon?", fragte er erwartungsvoll.
"Ich denke nicht.", antwortete ich kurz, mein fragwürdiger Blick lag auf ihm.
"Dann werde ich dir mal einen guten ersten Eindruck vermitteln.", sprach er überzeugt und stimmte 'Alli-Alligatoah' an. - What the... - Mein Blick ging zu seinem Kumpel über, der gelegentlich die Kamera auf mich richtete.
Nachdem er den Refrain beendet hatte, fragte er wieder nach, ob ich ihm nun folgen würde, doch ich sah ihn ungläubig an und zog einen Mundwinkel nach oben.
"Wirst du ja sehen.", zwinkerte ich.
Er lief weiter nach hinten und ich vernahm kurze Zeit später wieder seine Stimme.

Ich winkelte meinen linken Arm an und blickte auf meine Armbanduhr. -17:42 Uhr- Die Freude auf das Konzert hielt sich wieder ein wenig in Grenzen, da ich mich mehr freute, meinen Partner wiederzusehen, auch wenn wir keine Zeit für uns hatten. Ich zog mein Handy aus der Tasche meiner dunklen Jacke und verweilte kurz bei Instagram, bis mich ein kräftiger Mann von der Security ansprach. "Jessica Winkler?", fragte er leise, dass es kaum einer mitbekommen würde. "Ähm... Ja...", sagte ich zurückhaltend und er sah auf den Bildschirm seines Handys. "Würden sie bitte einmal mitkommen?", er sprach sehr ruhig zu mir, dennoch fühlte ich mich ein wenig hasenfüßig. "Ähm... Wieso, wenn ich fragen darf?", zögernd fragte ich nach.
"Sie werden vermisst, wurde uns mitgeteilt.", schnell zwinkerte er und der Groschen war gefallen. "Natürlich...", schluckte ich und folgte ihm.

"Lukas", sagte ich freudig, als ich ihn backstage in seiner Umkleide begrüßte. Ich fiel ihm um den Hals und er schloss mich fest in seine Arme. "Meine Maus.", seine Stimme war sanft und er strich mir über den Hinterkopf. Lukas hielt mich an meiner Hüfte und zog mich in einen intensiven Kuss, in den wir beide hineinlächelten. "Ich habe dich so vermisst.", flüsterte ich unweit seiner Lippen, welche ich kurz darauf wieder auf meinen spürte. "Ich dich auch.", hauchte er, sah mir tief in meine Augen und strich mir über meine Wange. In seiner Gegenwart fühlte es sich so an, als wären die Sorgen und Laster der vergangenen Tage verschwunden. Lukas erkundigte sich ebenfalls nach Linda und wie es momentan bei ihr steht, worüber ich nur eine schwankende Aussage geben konnte. Meine Stirn lehnte an seinem Oberkörper und er hauchte mir einen Kuss auf den Ansatz meiner Haare. Auch wenn die Tour nicht lange andauern würde und wir bereits monatelang eine Fernbeziehung geführt hatten, war es in den letzten Tagen komisch gewesen, nicht neben ihm einzuschlafen oder aufzuwachen. Seine wohltuende Nähe fehlte mir sehr.

Es klopfte am Türrahmen . "Entschuldigt die Störung.", sagte der ebenfalls hochgewachsene Musiker, kam auf mich zu und reichte mir die Hand. Begeistert erwiderte ich seinen Händedruck und stellte mich ebenfalls vor. "Okay... Luis, ich bin Jessica.", wir teilten ein Lächeln. "Lukas, ich habe ein kleines Problem.", mit aufeinander gepressten Lippen sah Luis meinen Freund an. Lukas blickte kurz auf seine Armbanduhr, atmete etwas schwer aus und sah zu mir herunter. "Süße, wir sehen uns nach dem Konzert nochmal kurz, okay? Deine Jacke lässt du einfach hier.", begann er zu sprechen. Er gab mir eine Karte in die Hand, welche mir einen Platz an der Seite zuwies. "VIP-Upgrade.", flüsterte er mit einem kleinen Lächeln. "Dass du mir beim Moshpit nicht auf dumme Ideen kommst oder dir was passiert.", er zwinkerte kurz und teilte mir mit, wie ich zu dem neuen Platz kommen würde. "Wie jetzt? Aber ich wollte doch in die erste Reihe.", enttäuscht sah ich zu ihm mit großen Augen auf. Seine Lippen trafen zärtlich auf meine Stirn. "Ich hab nicht umsonst einen Stehplatz bezahlt.", Luis begann zu schmunzeln und Lukas sah mich ratlos an. "Spaß beiseite, danke. Wir sehen uns dann. Viel Erfolg, mein Schatz.", er rollte leicht mit den Augen und küsste mich noch einmal.

Im Rang angekommen nahm ich etwas abseits der anderen Besucher Platz und sah ein letztes Mal auf mein Handy, bevor ich es in meine Crossbody schob. Der Gitarrenspieler, welcher vor der Halle streamte, nahm nicht weit von mir Platz; im Augenwinkel konnte ich sehen, dass ein fragwürdiger Blick auf mir lag. Als ich die kleine Wasserflasche ansetzte, die Lukas mir noch gegeben hatte, sprach er mich leicht verunsichert an. "Sorry, aber standest du vorhin nicht noch in der 'normalen' Schlange an?", er kratzte sich leicht am Hinterkopf und sah mich ungläubig an. "Ja.", antwortete ich selbstverständlich und wandte mein Blick von ihm ab. "Ähm... Aber...", begann er, doch verstummte recht schnell, als das Licht gedimmt wurde und Mayberg auf die Bühne trat.

"Wenn dir egal ist
Wer dich in' Arm nimmt
Und niemand da ist
Der das versteht..."