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POV: Marcus

Jessica wollte uns heute gegen Mittag besuchen. Seit ihrem Umzug nach Berlin hatten wir sie nicht noch einmal gesehen.

"Jeanine, pack die Ohropax aus, die Ruhe ist vorbei.", lachte ich laut, als meine Tochter in den Flur des Elternhauses eintrat.
"Ich freu mich auch, dich zu sehen, Paps.", amüsiert rollte Jessica mit den Augen und umarmte mich fest.
"Ey... Jetzt bin ich dran.", gespielt beleidigt zog Jeanine mich von Jessica weg und fiel ihr um den Hals. Wir fanden uns am Esstisch zum Mittag ein.
"Wie läuft es denn in der Heimat?", fragte ich.
"Soweit ist alles bestens.", antwortete Jessica und presste ihre Lippen aufeinander.
"Dein Gesichtsausdruck gefällt mir gar nicht.", besorgt sah ich kurz meine Tochter an und wendete meinen Blick an meine Ehefrau, welche augenscheinlich meiner Meinung war.
"Naja, die Kunden fragen manchmal schon noch, was mit Herrn Findeisen ist, aber das ist ja auch verständlich, nach einer jahrelangen Betreuung. Aber die Werkstatt läuft wirklich gut. Lukas ist halt auf Tour und Linda wohnt momentan bei uns.", Jessica zuckte mit den Schultern und aß weiter ihr Schnitzel.
"Linda wohnt bei euch?", hakte Jeanine nach.
"Ärger im Paradies...", meine Tochter atmete tief durch. "Kurz gesagt, sie wird sich scheiden lassen."
"Was?!"
"Ja... ich weiß jetzt nicht, ob ich euch das erzählen kann beziehungsweise darf."
"Ähm... okay...", fragwürdig sah ich meine Tochter an.
"Und was ist bei euch? Wann zieht ihr denn nun um?", fragte Jessica und blickte uns abwechselnd an.
Es herrschte eine unbekannte Unruhe im Hause Winkler. "Hallo? Kommt da jetzt noch was?", mit hochgezogenen Augenbrauen saß Jessica erwartungsvoll auf ihrem Stuhl.
"Also... Ähm... Jessica, Schatz...", Jeanine begann stotternd auf ihre Frage zu antworten. "Weißt du... Pläne ändern sich.", mit einem leichten Lachen versuchte sie Jessica davon zu erzählen, dass der Umzug nicht stattfinden wird.
"Also zieht ihr nicht zurück?", entsetzt sah sie uns an.
"Ich habe einen neuen Job gefunden, hier in der Gegend, den ich nach der Operation antreten kann. Dein Alter wird dann Sesselfurzer und rennt nicht mehr im Lager rum.", gut gestimmt versuchte ich ihr die Nachricht zu entgegen. "Begeisterung sieht anders aus.", sagte ich beinahe stumm und griff zu meinem Wasserglas, über dem Tellerrand.
"Doch... Doch... Ich freu mich für euch, vor allem für dich Papa, aber nach euren ganzen Ideen, die ihr mir in den letzten Monaten voller Stolz erzählt habt, fühlt sich diese Aussage etwas... Ähm... Komisch an.", Jessica legte ihr Besteck auf dem Teller ab und fuhr sich über das Gesicht.
"Ihr treibt mich in den Wahnsinn.", lachte sie uns an.
"Ich werd' der Star in deiner Psychotherapie.", lachend zitierte ich einen Satz von Lukas' Texten, der mir in den Sinn kam. Meine Tochter sah mich ungläubig mit großen Augen an. "Was denn?", fragte ich amüsiert. "Ich hab' mich halt mal etwas mehr mit der Arbeit von deinem Gutsten beschäftigt."

POV: Jessica

"Now I see the times they change
Leaving doesn′t seem so strange
I am hoping I can find
Where to leave my hurt behind..."

Am späten Nachmittag parkte ich meinen Wagen am Bürgersteig vor dem Haus in Bielefeld. Ich legte meinen IQOS zurück in die Mittelkonsole, stieg aus dem Wagen aus und lief auf das dunkle Holztor zum Garten zu. An der Eingangstür klingelte ich und wartete, dass mir die Tür geöffnet werden würde. Mit einem breiten Grinsen empfing mich Tim mit einer Umarmung und winkte mich weiter ins Wohnzimmer. "Du bist eher da, als erwartet, Bleifuß. Ena ist noch unterwegs.", lachte Tim, während ich mich auf das Sofa setzte.
"Soll ich später wiederkommen?", ich sah ihn amüsiert mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Naja, du hast dich gerade erst hingesetzt, ich warte noch zwei Minuten, bis ich dich vorerst wieder rausschmeiße.", wir lachten und er ließ sich ebenfalls auf der Couch nieder.
"Und? Wie ist es euch in den letzten Wochen so ergangen?", fragte ich interessiert.
"Ich kann mich jedenfalls nicht beklagen. Neuigkeiten gibt es eigentlich auch nicht... Obwohl, Elisa hat sich anscheinend gut eingelebt.", Tim zuckte mit den Schultern und atmete tief durch. "Bei euch?"
"Außer, dass wir Linda vorerst beherbergen, gibt es auch keine News. Außer Arbeiten, dem Stress, den Lukas sich gemacht hat und vegetieren, passiert auch nichts Spannendes.", in meinen Gedanken ging ich die vergangenen Wochen durch.
"Linda? Will ich es wissen?", mit einem leichten Lachen kratzte er sich am Hinterkopf, doch meine Antwort war nur ein Kopfschütteln.
"Okay... Wie war das Konzert?", erkundigte er sich.
"Episch, wenn dir das schon reicht, als Antwort." Ich grinste breit. "Aber weißt du, was mir gefehlt hat?"
"Ich kenne doch nicht deine liebsten Songs.", wieder lachte Tim leicht.
"Trostpreis..."
"Ach so, aber wenn Lukas nicht anfragt, da renne ich ihm ehrlich gesagt auch nicht hinterher.", ein fragender Blick, meinerseits, lag auf Tim. "Was ist?"
"Lukas hat nicht... Aber wieso?", ich sprach leicht enttäuscht.
"Er konnte sich in seinen Shows eh schon immer ausleben, dass er bisher immer Trostpreis eingebaut hatte, hing auch mit Trailerpark zusammen. Aber da er ja das Label gewechselt hat..."
"Hä?"
"Ja... Schon letztes Jahr oder so, dass Basti den Kontakt zu KLAN und Chris hergestellt hatte, war eher Zufall.", ungläubig sah ich Tim mit großen Augen an.
"Ähm... Okay... Irgendwie stimmt mich das gerade schon ein bisschen traurig."
"Ach quatsch, du siehst doch, dass wir nicht aus der Welt sind.", freundschaftlich knuffte Tim mich an der Schulter und ein kleines Lächeln huschte über mein Gesicht.
Das Schloss der Haustür knackte und Ena trat ein. "I'm home, bitches. Jetzt kann der Abend starten.", lachte sie und fiel mir noch mit ihrer Jacke, welche sie bereits zur Hälfe ausgezogen hatte, um den Hals.

Verloren - 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt