Kapitel 48

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Erschöpft öffnete ich meine Augenlider und spürte sofort, wie etwas Schweres meinen Atem erschwerte. Wie erwartet, erblickte ich Arian neben mir, der sich fest an mich klammerte, als ob er Angst hätte, dass mich jemand ihm wegnehmen könnte.

Selbst im Schlaf sah er wunderschön aus. Seine markanten Gesichtszüge blieben selbst im Schlaf erhalten, was ihn noch männlicher erscheinen ließ. Er wirkte viel erschöpfter, eine Tatsache, die ich gestern bereits bemerkt hatte. Es schmerzte mich zutiefst. Es tat weh, zu sehen, wie sehr ihn das belastete, ohne mich zu sein. Und noch schlimmer war die Tatsache, dass ich wusste, dass er wegen mir litt. Dieser Mann war nur durch meine Hilfe aus seiner dunklen Vergangenheit herausgekommen und hatte sich zum ersten Mal in seinem Leben erlaubt, Gefühle zuzulassen. Und dennoch log ich ihn an. Sollte ich mich nicht darüber freuen, dass er Kinder haben wollte? Ich hatte gesehen, wie er damals mit dem kleinen Jungen in Mexiko gesprochen hatte. Er würde nicht so werden wie sein Vater... oder etwa doch? Immerhin war Arians Vater ein guter Vater für die anderen Brüder gewesen und nur zu Arian ein verdammtes Arschloch.

Bei diesem Gedanken spürte ich sofort, wie mein Herz anfing zu rasen. Niemals würde ich zulassen, dass jemand mein Kind schlagen würde oder mir verbieten würde, ihm Liebe zu zeigen. Wie dachte Arian darüber? Er wollte ein Kind mit mir haben, hatte aber nie mit mir über seine Vorstellungen zur Kindererziehung gesprochen. Eines wusste ich jedoch ganz genau: Ich würde niemals zulassen, dass er unserem Kind dasselbe antun würde, was sein eigener Vater ihm angetan hatte.

Es tat mir unendlich leid, denn meine Liebe zu diesem Mann übertraf alles, sogar mein eigenes Leben. Gleichzeitig konnte ich meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht ignorieren. Denn auch meinen Vater liebte ich zutiefst. Es zerbrach mir das Herz, ihn Tag für Tag leiden zu sehen, und das schon seit Jahrzehnten. Ich erinnerte mich daran, wie oft ich ihn nachts im Wohnzimmer entdeckt hatte, wie er heimlich weinte und alte Fotos betrachtete, als er noch gehen konnte. In seinen traurigen Augen hatte ich jedes Mal lesen können, dass er keinen Lebenswillen mehr hatte. Er verabscheute sein Leben. Es schmerzte ihn, dass er nicht mit meinen Brüdern Fußball spielen konnte oder arbeiten durfte, da er auf Medikamente angewiesen war. Die Augen meiner Eltern waren leer und ohne Hoffnung, bis zu dem Moment, als ich damals das Stipendium für die Universität erhalten hatte. Ich hatte meinem Vater versprochen, dass ich eines Tages die beste Ärztin sein würde und es irgendwie schaffen würde, ihn zu heilen, auch wenn die Chancen minimal waren. Doch ich vertraute auf Allah. Mein Vater hatte sein ganzes Leben lang gelitten. Ich war mir so sicher, dass dies nur eine Prüfung von Allah war und er irgendwann mal deshalb belohnt werden würde. Denn man sagte nicht umsonst, dass nach der Erschwernis die Erleichterung käme.

Meine Eltern hatten nie das bekommen, was sie sich gewünscht hatten. Das Leben war ihnen gegenüber immer ungerecht und grausam gewesen. Ich fühlte mich ihnen gegenüber in der Schuld, vor allem meinem Vater. Während ich meine Mutter jeden Tag weinen sah, hatte ich selbst mit schweren Depressionen gekämpft. Unsere Familie hatte sich immer am Rande des Zusammenbruches befunden, was so ein unglaublicher Druck für mich gewesen war.

Ich hatte nie eine unbeschwerte Kindheit erlebt. Statt mit meinen Freundinnen Eis essen zu gehen oder zu shoppen, musste ich nach der Schule lernen und arbeiten. Ich musste das Weinen meiner Mutter ertragen. Ich musste für meine Eltern und meine Brüder sorgen. Ich hatte jeden Tag den Stress im Kopf, was eigentlich Eltern haben sollten und keine kleinen Kinder. Ich weiß noch, wie ich damals mit meiner Mutter gemeinsam schwarz arbeiten gegangen war und dadurch manchmal Tagelang nicht zum schlafen gekommen war nur um unsere Miete zu bezahlen. Sowas wusste Arian aber nicht, woher denn auch? Er kannte zwar meine ganzen Akten und meine Schullaufbahn, aber nicht, wie schwer alles in Wirklichkeit gewesen war. Drei ganze Jahre hatte ich mit schweren Depressionen gekämpft, in denen ich oft an den Tod gedacht hatte.

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