Sprechen

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Ich kannte Marcus seit der Grundschule. Wir waren in der gleichen Klasse, aber er hat nie mit mir gesprochen. Ich habe es nicht verstanden, aber ich habe ihn trotzdem verteidigt, wenn die anderen Kinder ihn gemobbt haben. Ich habe immer gedacht, dass er mich nicht mag, aber ich habe ihn trotzdem gemocht. Ich fand es einfach nicht fair, wie er behandelt wurde.

Eines Tages, als ich in der 10. Klasse war, saß ich wie immer neben Marcus im Unterricht. Die anderen Kinder haben wieder dumme Kommentare gemacht und ich habe versucht, sie zu ignorieren. Marcus hat wie immer geschwiegen, aber ich wusste, dass es ihm schwer fiel. Ich habe ihm einen Blick zugeworfen, um ihm zu zeigen, dass ich für ihn da bin.

Nach dem Unterricht haben wir uns auf dem Schulhof getroffen. „Hey.", sagte ich leise. „Wie geht's dir?" Marcus hat nicht geantwortet, aber er hat mich angesehen. Ich konnte in seinen Augen sehen, dass er mir dankbar war. Wir haben den Rest des Tages nicht geredet, so wie immer, aber ich habe gemerkt, dass Marcus sich wohler fühlte, wenn ich in seiner Nähe war.

Die anderen Kinder haben immer noch dumme Kommentare gemacht, aber es hat uns nicht wirklich gestört. Wir waren Freunde und das war alles, was zählte. Marcus hat immer noch nicht gesprochen, aber er hat mir oft genug durch Blicke gezeigt, dass er ein guter Mensch ist.

Ein paar Wochen später, als wir in der Klasse saßen, hat der Lehrer Marcus aufgerufen. Marcus hat nicht geantwortet, aber der Lehrer hat ihn immer wieder aufgerufen. Die anderen Kinder haben angefangen zu lachen und zu tuscheln. Ich habe Marcus angesehen und er hat mir einen hilflosen Blick zugeworfen. Ich konnte es nicht mehr ertragen, wie er behandelt wurde. „Lasst ihn in Ruhe!", habe ich geschrien. „Er will nicht sprechen, also lasst ihn in Ruhe!" Die anderen Kinder haben aufgehört zu lachen und der Lehrer hat mich gebeten, nach dem Unterricht mit rauszukommen.

Nach dem Unterricht ging ich zu dem Lehrer, welcher mit mir sprechen wollte. „Warum wollten Sie mit mir reden?" „Weißt du, warum Marcus nicht spricht?", fragte er mich. „Nein, er redet ja nicht. Er redet doch nicht mal mit mir, aber das heißt nicht, dass die anderen gemein zu ihm sein müssen. Marcus ist ein guter Mensch und es ist nicht fair, dass die anderen ihn so behandeln.",sagte ich etwas aufgebracht. Der Lehrer redete noch kurz mit mir, bis er mich dann zurück in die Klasse schickte.

Marcus und ich standen auf dem Pausenhof und aßen unser Essen. Martinus, welcher Marcus sein Zwilling ist, kam zu mir. Marcus und Martinus waren die kompletten Gegenteile von einander. „Du solltest deine Zeit nicht weiter verschwenden. Er wird nicht mit dir reden, egal wie viel du für ihn machst. Nicht mal daheim redet er. Wenn du dich mit den anderen anfreunden würdest, wären sie auch nicht mehr so gemein zu dir.", sagte Martinus zu mir.

Ich drehte mich zu Marcus um. Er lächelte leicht, als er meinen Blick sah. „Es ist wirklich traurig, dass du nicht mal zu deinem Bruder hältst. Und sowas nennst du Familie?", fragte ich Martinus jetzt. „Deine Entscheidung, aber ich wollte dir nur helfen.", meinte Martinus und verschwand dann zu den anderen.

Ich ging wieder zu Marcus. „Danke, dass du zu mir hältst.", sagte er leise. Erstaunt sah ich ihn an. „Du redest? Aber wie...warum...", ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich umarmte ihn und flüsterte dabei: „Ich werde immer zu dir halten." Marcus lächelte mich leicht an und die nächsten Tage redete er immer mehr mit mir. Aber nie mit anderen. Es stimmte, er sprach daheim nicht. Seine Mutter arbeitet viel und sein Vater ist oft nicht daheim. Mit Martinus will er nicht reden, weil er das Gefühl hat, Martinus mag ihn nicht.

Ich war froh, dass ich nicht auf Martinus gehört hatte. Denn jetzt hatte ich die perfekte Freundschaft mit Marcus. Sie war früher schon toll, aber ich freute mich einfach, dass er jetzt mit mir sprach. Es war nicht viel, aber es bedeutete mir alles.

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