chapter 36

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Ich bin ein egoistisches Monster. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich auf den Boden lag und die Beherrschung verloren hab, aber dieser Fakt fiel als erstes über mich. Mittlerweile zog eine prachtvolle Sternennacht über meinen Kopf und da ist so viel in mir , aber auch zu wenig, um es zu erklären. Ich bin leer und schwach. Dad hatte Recht. Hätte er mir jemals mitgeteilt, dass ausgerechnet Brad, dem Jungen, dem ich mein Herz schenkte seit elenden ,traurigen Jahren, ebenfalls zu Top Gun gerufen wurde, hätte ich keinen Fuß in diese Zentrale gesetzt. Ich hatte Angst, erneut diese höllischen Qualen zu durchlaufen, die mich seit jenem Tage in der Nacht verfolgen. Und jetzt? Jetzt spüre ich sie in jeder Faser meines Körpers. Es ist so kalt. Wann bin ich so geworden? Etwa seit dem ersten Tag bei Top Gun? Bei meiner ersten Begegnung mit Brad? Oder war ich schon immer so? Ich bin ein elendes Miststück. Noch nie in meinem Leben, hab ich mich so allein gefühlt. Jedem Menschen, dem ich nur zu nahe komme, wird verletzt und verlässt mich.Wahrscheinlich war das mein Schicksal. Erst Mom, dann Jill, dann Brad. Und bevor es zu spät ist, werde ich mich von Sam trennen. Ich hab ihn betrogen , mit der Person, die ich vor ihm geheim hielt und ich hab dabei nicht ein einziges verficktes Mal an Sam gedacht.Mir ist klar, dass ich diesen chaotischen Draht an Verbindung zu Brad nicht abstellen kann und ich kann mir auch nichts mehr vormachen. Sam hat jemand besseren verdient. Jemanden, dem auch ihm zuhört und sich Zeit für ihn nimmt, ihn versteht. Dinge, die ich nie getan hab und auch nie in Erwägung gezogen hab , es zu versuchen. Ich hab mir vorgemacht , glücklich zu sein, obwohl ich es nicht war. So viele Gefühle hab ich in mich gestaut, weil ich sie nicht fühlen wollte. Ich dachte, ich hätte mit so vielen Dingen von damals abgeschlossen, aber anscheinend steckte ich noch zu tief drin. Ich weiß nicht, welche Ader in mir, mich dazu bewegt hatte, aufzustehen und den Weg zu Sams Haus zu schleifen , aber mittlerweile stehe ich schon direkt vor der Haustür. Es ist schon spät, aber ich kann das nicht auf morgen schieben. Ich muss endlich abschließen und von nun an meinen Weg gehen. Auch wenn das bedeutet, dass ich mit Brad reden muss, denn trotz allem ,was passiert ist, eine Erklärung bin ich ihm schuldig. Aber eins nach dem anderen. Ich schluckte tief, als meine Finger zittrig zur Klingel glitten und ich die Abdrücke meiner verwischten Mascara bemerkte. Ich muss scheußlich aussehen. Im Haus sammelten sich näher kommende Schritte und als mich Sam mit einem besorgten, aber auch lächelnden Gesicht empfing, stellte ich fest, was ich für einen Schaden angerichtet hatte und wie viel ich zerstört hatte.
„Oh Gott, Ava. Du bist ja ganz kalt und nass! Was ist passiert?"fragte er besorgt, als er seine Hände sanft auf meine Schultern legte  und mich zu sich ins Haus zog. Hat es geregnet ? Bei meinen ganzen vergossenen Tränen, hab ich wohl die Nässe meines Körpers ausgeblendet. Ich friere am ganzen Körper, nicht nur vom Wetter, sondern vom schlechten Gewissen. Sam legte mir barmherzig eine Decke um den Oberkörper, als er mir half mich auf seinen beigen Sessel niederzulassen.
„Wir müssen reden, Sam."wimmerte ich, die Kälte zerfraß mich Stück für Stück. Ich konnte ihm nichtmal in die Augen schauen. Was bin ich nur für ein ekeliger Mensch?
„Klar, immer. Was ist los?"meine Lippe fing an zu zittern, als er mir fürsorglich den Arm streichelte und meine Finger in seinen verwob. Jetzt wagte ich einen Blick zu Sam und seine großen Augen fanden meinen. Selbst jetzt lächelt er immer noch. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe mich nicht. Sam ist so verdammt Gut zu mir. So pur. Er hat sein Herz am richtigen Fleck und hatte sich um mich gesorgt, als ich niemanden hatte. Aber wieso dann verdammt nochmal bin ich nicht glücklich? Denn wäre ich es, hätte die Sache zwischen mir und Brad im Krankenzimmer niemals stattgefunden. Ich hätte eine Zukunft haben können. Mit Sam. Aber es geht nicht. Ich kann es nicht.Es geht einfach nicht. Weil er nicht Brad ist. Sam ist nicht Brad.
Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein, Sam. Es tut mir leid." flüsterte ich gebrochen. Jetzt ist es raus. Dies hätte ich schon viel früher machen sollen, aber ich hab es nicht übers Herz gebracht, auch wenn es das Richtige war. Unglaubwürdigkeit schüttelte Sam seinen Kopf und zog schnell seine Hände weg von mir. Ich musste meinen Blick von ihm nehmen, es war unerträglich.
„Was, ich verstehe nicht."murmelte er und fuhr sich hastig durch die Haare.
„Ich mache Schluss, Sam." glitt es mir über die Lippen und aufgebracht stand Sam auf und lief aufgewühlt durch sein Wohnzimmer. Ich drehte mich zu ihm und realisierte, wie er kämpfte. Es stimmt. Jedem Menschen, dem ich zu nahe komme , wird verletzt. Die Liste wird gefüllt.
„Warum, Ava?Warum?" seine Stimme wurde lauter, fordernder und alles in mir zog sich zusammen.
„Ich kann einfach nicht mehr, es tut mir leid." stammelte ich und bemerkte, wie meine Sicht durch die ansammelnden Tränen verschwamm. Sam lief schneller und wurde unkontrollierter und schlug plötzlich mit der flachen Hand gegen seine mintgrüne Wand. Ich zuckte zusammen. So hatte ich Sam noch nie erlebt. Ich schluckte tief. Sam rührte sich nicht mehr von der Stelle und schaute starr zu Boden. Seine Haare fielen ihm vor die Stirn.
„Ich hätte es wissen müssen, schon von Anfang an."murmelte er vor sich hin, doch ich konnte ihn verstehen.
„Was meinst -
„Du weißt genau , was ich meine Ava." Sam erholte sich hastig aus seiner starren Haltung und zeigte mit bloßem Finger auf mich. Seine Augen waren so hasserfüllt und ich konnte es ihm nicht verübeln.
„Du konntest es noch nie sagen."fing er an zu erklären. „Dass du mich liebst. Du hast es nie gesagt. Nicht ein einziges Mal." flüsterte er und die Tränen gossen über meine Wangen. Ich erhob mich aus dem Sessel und versuchte ein paar Schritte auf ihn zuzugehen , aber blieb wie gelähmt stehen, als seine Blicke mich erstarren ließen. Ich dachte zurück, an uns beide und stellte fest, dass er Recht hatte. Ich hab ihm nie gesagt, dass ich ihn liebe. Vielleicht hatte ich das auch nie. Vielleicht war Sam derjenige ,der mich aufgefangen hatte, aber nicht derjenige, von dem ich aufgefangen werden wollte. Wie konnte ich nur so gefühlskalt werden?
„Es tut mir leid, Sam. Wirklich."stammelte ich und schlang meine Arme um meinen Oberkörper, um mich irgendwo festhalten zu können.
„Liegt es an diesem Brad?"fragte er mit diesem gehässigten Unterton, sodass mir der Mund trocken wurde. Ich schluckte erneut, doch bekam den Kloß , gefüllt von Schuldgefühlen, nicht herunter.
„Woher weißt du-
„Von deinem Vater. Ich hätte mir eigentlich von meiner festen Freundin gewünscht , dass sie mir von ihrem Ex Freund berichtet, der sie so zerstört hatte. Trotzdem hast du geschwiegen, die ganze Zeit über. Ich wollte dir Zeit geben, die du brauchst, aber jetzt stellt sich heraus , dass Er der Grund für unsere Trennung ist?!" fluchte er und kam auf mich zu. Mein Herz schlug mir bis zur Kehle. Ich konnte nicht glauben , dass mein Vater, mich dermaßen so verraten hatte und das verlorene Mädchen , dem Menschen zeigte, mit dem ich eigentlich nach Vorne schauen wollte. Ohne dieses Mädchen. Denn ich dachte, es wäre gestorben, am Tag des Unfalls. Aber es schlummert noch tief in mir.
„Sam,ich-
„Liebst du ihn?"fiel er mir durchs Wort und mir stockte der Atem.
„Tue das nicht, bitte."flehte ich und kniff mir in meine Oberarme.
„Beantworte meine Frage, Ava." befahl er und knirschte dabei mit seinen Zähnen. Die letzte Träne kullerte über meine Wange und ich schaute schämend zu Boden.
„Ich weiß es nicht." flüsterte ich schluchzend und Sam stöhnte verraten auf und lies sich aufs Sofa fallen.
„Verlass sofort das Haus, Ava."
„Sam, bitte. Lass uns reden."
„VERPISS DICH AUS MEINEM HAUS, AVA." brüllte er und ich verschluckte mich vor Schreck. Somit hatte ich den letzten guten Menschen von mir gestoßen und war nun endgültig alleine. Mit langsamen Schritten quälte ich mich zur Haustür, zwang mich hindurch und stand erneut mitten im Regen. Ich fühle mich so elendig und ekelig. Was bin ich nur für ein Monster? Ich hab keine Kraft mehr, weil ich schwach bin. Ich bin schwach und dafür hasse ich mich. Meine Füße trugen mich zu der wahrscheinlich einzigen Person, die mich jetzt noch aufnehmen würde. Mit Sam hab ich nämlich auch mein eigenes zu Hause verloren. Ich fühle mich wie ausgestorben, alles was ich je gefühlt hatte, starb in dieser Nacht. Wie ein Vampir, der mein Blut ausgesaugt und mich menschenleer zurückgelassen hatte. Aber es ist doch auch meine Schuld. Ich war immer schuldig. Ich hatte es verdient nichts zu fühlen. Ich hatte es verdient nie wieder aus meinem dreckigen Loch zu entkommen. Ich hatte es verdient, zerstört zu werden.
„Oh Gott,Ava. Was ist passiert? Komm schnell rein." empfing mich Amelia und zog mich sofort in ihre Arme. Ich ließ es zu , dass sie mich auffing und ließ dabei meinen Tränen freien Lauf. Ich schluchzte niedergeschlagen in die Schultern meiner kleinen Schwester und fühlte wenigstens einen kleinen Funken an Geborgenheit.
„Ich mach immer alles kaputt." murmelte ich und Amelia legte fürsorglich eine Hand an meinen Hinterkopf und zog mich zu ihrem Schlafzimmer. Ich konnte nur spüren, wie immer mehr und mehr , die Dunkelheit über mich kam und mich klein machte, obwohl ich es eh schon war.
„Was ist los?" hörte ich Jakes besorgte Stimme,wahrscheinlich erhebt er sich gerade aus seinem Bett. Ich ließ es nicht zu, dass er mich so zerbrochen sah. Ich versteckte mich weiter in den Armen von Amelia , während die Kälte weitere Teile meines Seins einnahm.
„Sorry, Kumpel. Du musst heute eine Nacht auf dem Sofa schlafen. Ich muss mich um meine Schwester kümmern." erklärte sie und Schritte näherten sich uns und ich zuckte zusammen. Ich will Jake nicht ansehen, ich bin einfach nur so müde.
„Geht klar, Babe." willigte er ein , als er kurz seine Hand auf mein Schulterblatt legte und versuchte zu gehen.
„Könntest du noch Mav ausrichten, dass Ava morgen nicht kommen wird und dass er sich keine Sorgen machen muss?" bat Amelia und ich spürte wie sich Jake über mich bog. Ich war Amelia noch nie so dankbar. Ich wollte Dad eh nicht sehen, nach der Offenbarung von Sam. Allerdings gibt es da doch noch jemanden , den ich noch weniger sehen wollte, aber ich wusste, dass ich trotzdem mit ihm reden muss. Aber darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken. Ich will einfach nur schlafen und für wenigstens kurze Zeit , meinen Alltag ausblenden.
„Sicher, gute Nacht." sagte er und gab ihr noch einen Kuss, bevor er ging.  Danach schloss Amelia die Tür und forderte mit ihren warmen Händen mich auf , sie anzusehen. Meine Beine würden jede Sekunde nachgeben.
„Du bist am ganzen Körper durchgefroren, Schwesterherz. Ich werde dir jetzt die Sachen ausziehen und dann kriegst du etwas Neues von mir. Danach gehen wir schlafen und morgen erzählst du mir, was dich so beschäftigt und was passiert ist, in Ordnung?"
„Ja, danke Amelia. Wirklich." flüsterte ich und nickte dabei stumm. Sie legte mir eine Haarsträhne hinters Ohr und lächelte aufrichtig. Ich bin so froh, dass ich Sie an meiner Seite hab. Langsam versuchte sie meine durchnässten Klamotten mir vom Leib zu ziehen. Zum Glück handelt es sich ja nur um Sportstoff, weshalb es wesentlich leichter ging, als erwartet. Danach zog Amelia mir einen dicken Pullover über und eine karierte Schlafhose. Sie umwickelte mich in ihre Decke ein und knipste danach das Licht im Zimmer aus. Sie legte einen Arm um mich, bevor sie ein leises Gute Nacht nuschelte, aber ich hatte keine Kraft zu antworten. Stattdessen verschwendete ich meine Gedanken erneut an Brad. Durch unseren Kuss hab ich so viel zerstört .Sam hatte Recht, durch den Unfall vor vierzehn Jahren und Brads Verlassen, hab ich mich verändert. Brad hatte mich auf eine Weise verletzt und zerstört und ich hab es nicht geschafft, damit abzuschließen. Ich werde darüber auch nicht hinwegkommen, wenn ich Brad weiter so nahe bin. Bis jetzt weiß ich nur, dass ich so, wie Brad mich verletzt hatte , nie wieder verletzt werden möchte. Deshalb werde ich morgen mit ihm reden und das Kapitel mit Brad beenden. Zumindest werde ich es versuchen.Bis dahin versuche ich etwas Schlaf zu bekommen.

„the earth divided us,but the sky made us one."-Bradley (Rooster) Bradshaw ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt