54. London - Alte Gewohnheiten

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Harry

Zwölf Stunden, Achtzehn Minuten und 23 Sekunden...24 Sekunden..25 Sekunden....26 Sekunden. Tick tack, Tick tack. Reiß dich zusammen Styles, konzentriere dich. Einatmen, Ausatmen. Ihre glasigen Augen, diese Stille und das ganze Wenn und Aber, es zerreißt mich. „Harry? Bitte sag etwas!" Ihre Worte waren klar, deutlich, klangen aber doch so fern. Wir saßen uns Stunden gegenüber, haben geweint, gelacht, geschrien und wieder geweint. Dieser eine Satz, dieser eine Moment als sie mir diese Worte, ihre Angst mitteilte...es zog mir den Boden unter den Füßen weg. „HARRY!" Sagte sie nun lauter und warf ein Kissen nach mir.

„Babe...ich...Lila...ich weiß es nicht. Ich meine es ist ein großer Schritt und ich...ich denke ich bin nicht so weit! Ich liebe dich, keine Frage und unterstütze dich, wo ich nur kann! Aber das...ich bin überfordert!" Langsam stehe ich auf, gehe durch den Raum, fahre mir durch die Haare. „Musst du meine Entscheidung heute wissen? Immerhin haben wir noch keine Ergebnisse, Babe...es kann auch was anderes sein. Oder nicht? Ich kann keinen klaren Gedanken fassen! Ich meine, wir sind noch nicht lange zusammen also nicht so lange, um an Kinder zu denken und jetzt über Eizellen einfrieren und befruchten. Ja ich will Kinder...aber nicht so... oh, Gott nein, versteh mich nicht falsch..."

„Harry Stopp!! Bitte hör auf...bitte...es ist nur eine Frage aus diesem Fragebogen hier. Eine Sache, worüber wir sprechen müssen. Wenn es Krebs ist und ich Eike Chemo machen muss, dann ist dieses eine Chance für mich Mutter zu werden. Egal was passiert oder deine Entscheidung ist, es ist okay! Wirklich!" Unterbrach mich ihre zarte Stimme und brachte mich zum Schweigen.

Ich lehne mich an den Türrahmen, fuhr mir durch meine Haare, schlechte Angewohnheit. „Ich habe Angst Lila! Ich weiß nicht was richtig oder falsch ist. Bitte...ich...das ist hart gerade!" Sie stand auf, mit schnellem Schritt stand sie nun vor mir, nahm meine Hand in ihre. „Ich habe auch Angst! Verdammte Angst, doch wir sein ein Team, Harry. Du sagst immer, dass wir stark sind, es zusammen schaffen...auch wenn man nicht alles im Leben schaffen kann und manchmal einfach fällt und versagt, hat man es versucht. Ich will nicht fallen, ich will nicht versagen... ich will alle meine Optionen kennen, durchgehen und mit dem Mann, den ich liebe, besprechen und angehen können. Ich brauche dich Harry, ich brauche uns!"

Ihre Worte trafen mich sehr. Sie waren stark und doch zugleich sehr schwach. „Ich werde dich nicht im Stich lassen...mehr kann ich gerade dazu nicht sagen Lila. Es klingt vielleicht egoistisch oder hart, doch kann ich das gerade nicht...ich muss atmen, es verstehen und erstmal nachdenken. Ich kaufe hier keine Schuhe, sondern gehe Optionen über das Leben, den Tod und Zukunft mit der Frau die ich Liebe durch. Es ist nicht einfach dabei immer fokussiert, aufrichtig und vor allem, fair mit mir gegenüber deinen Wünschen und Bedürfnissen zu bleiben." Nickend stimmte sie mir zu.

„Es ist richtig und vollkommen verständlich! Wirklich. Es gibt Dinge, die sind nicht so wie wir sie uns vorstellen oder uns wünschen. Das ist das Leben, das ist verdammt nochmal das Leben! Ich will dich zu nichts drängen oder sonst etwas. Ich Kreuze erstmal an, dass ich mir bei der Babysache unsicher bin...es ist okay" Sie ließ meine Hand los, ging zum Tisch und nahm sich diesen Papierbogen von Arzt wieder in die Hand und machte Notizen. Ich ging zu ihr, legte meine Hand auf den Bogen. „Nein es ist nicht okay! Wenn du Kinder haben willst, dann Kreuz es an! Willst du keine, dann nicht. Es darf hier nicht um mich gehen. Ich gebe dir alles, was du willst, Lila! Alles...ich, ich bin einfach innerlich am Durchdrehen. Dieses Warten auf die Ergebnisse, dieser Fragebogen, diese erdrückende Stimmung...ich drehe einfach nur durch!" Langsam nahm ich meine Hand von dem Bogen und setzte mich wieder auf den Stuhl neben ihr, wo ich vor meinem kurzen, wie soll ich es nennen...Panikattacke? Angstanfall oder egoistischer Rückzug...saß.

Wir unterhielten uns weiter, gingen diesen Fragebogen durch. Minuten, Stunden vergingen, bis wir ins Bett gingen. Lila schlief friedlich, sah zerbrechlich aus. Ich konnte nicht schlafen, meine Gedanken fuhren Achterbahn. Innerlich schrie ich, war am Boden und voller Angst. Leise stand ich auf, nahm mein Handy und ging aus dem Schlafzimmer runter ins Wohnzimmer. Die Uhr zeigte mir 5 Uhr in der Früh, beschissene Uhrzeit zum Trinken, doch tat ich es. Die brauen Flüssigkeit von Scotch füllte mein Glas, mit diesem Glas ging ich zum Fenster, schaute hinaus.

Meine Finger Strichen über mein Display, ich brauchte jemanden zum Reden...eine neutrale Person, jemand der nicht mit Lila und mir, nicht mit dieser Beziehung etwas zu tun hat. Einen Rat einer Person, die schon Kinder hat, die immer wusste, wann man wann etwas sagen musste, ohne mich in Watte zu hüllen.

Das leise Tuten an meinem Ohr fühlte sich schlimm an, mein Herz pochte nervös in meiner Brust. „Hallo?", kam es aus dem Handy, die Stimme war vertraut, aber doch fremd. „Hey...ich bin Harry...sorry...ich...ich brauche jemanden zum Reden" Kurze Stille! „Was ist passiert? Geht es dir gut? Ist jemand verletzt?"

„Nein...oder doch...ich weiß nicht. Mir geht es beschissen" Meine Worte sind voller Schmerz, Tränen bilden sich in meinen Augen. „hey hey...ich bin hier Harry! Rede mit mir, was ist passiert, was kann ich tun?" Ihre Stimme beruhigte mich, nicht dass sie es sollten, immerhin haben wir kein Kontakt mehr, waren kein wir mehr, aber sie wusste...sie kannte mich. Sie ist selbst Mutter und wir hatten dieses Gespräch auch schon einmal. „Lila, meine Freundin...sie...es kann sein, dass die Krebs hat, Olivia! Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich liebe sie wirklich und es bricht mir mein Herz sie so zusehen. Ich will nichts falsch machen. Sie hat diesen Fragebogen bekommen. Sie muss mit dummen kreuzen über ihr Leben bestimmen. Dumme kleine Kästchen, die mit Ja und Nein gekennzeichnet sind. Ich kann das nicht...ich kann das nicht" Meine Worte brechen ab, ich Weine.

„Ich kenne Lila nicht, doch wenn sie deine Freundin ist...dann ist sie Stark, Harry! Sie ist bestimmt eine sehr starke junge Frau, eine Frau, die sich nicht abhängig macht. So wie du! Du bist stark, aufrichtig und mit Abstand einer der verantwortungsvollen Menschen, den ich kenne! Du hast mich, meine Kinder immer mit Respekt und Anstand behandelt und genau das braucht Lila jetzt. Sei für sie da, sprich mit ihr über deine Ängste und Sorgen, Harry! Du schaffst das und hey, es ist okay zu weinen...es ist okay Angst zu haben und es ist okay einzubrechen"

„Was mache ich, wenn es wirklich Krebs ist und sie diesen schrecklichen Weg gehen muss? Ich...ich kann sie nicht verlieren!"

„Wenn es das ist, gehst du diesen Weg mit ihr zusammen! Du bist ihr Partner, hast dich für sie entschieden und daher wirst du diesen Weg mit ihr gehen. Doch denke auch an dich, Harry. Du bist auch nur ein Mensch und es ist okay auch mal egoistisch zu sein und an sich zu denken. Du hast mir immer gesagt, dass ich Prioritäten mit meinen Kindern setzen soll, das habe ich! Nach der Trennung von uns, sind dir beiden mein Halt gewesen und haben mich ermutigt jeden Tag aufzustehen...du kannst das auch. Und wenn du mich fragst, was du machen sollst wegen der Kindersache...du wirst mal ein toller Vater sein...aber wenn du dich nicht bereit fühlst, mach es nicht. Es gibt nichts Schlimmeres, als eine Mutter von Kindern zu sein, wo der Vater nicht anwesend ist oder dieses nur aus Mitleid oder einer Erkrankung gemacht hat"

Sie beruhigte mich, brachte mich zurück auf den Boden. Dieses schätzte ich an ihr. Auch wenn wir kein Paar mehr waren, viel vorgefallen war, brauchte ich sie auf eine Art und Weise gerade.

„Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, Olivia!" „du kannst immer auf mich zählen, Harry! Ich habe dir damals gesagt, dass eine Trennung nicht bedeutet, dass man sich fremd ist oder nicht mehr als ein Freund ein Ratschlag geben kann. Du kannst dich wirklich immer melden, wenn dieses für deine Freundin okay ist! Verheimliche nichts, sei ehrlich zu ihr. Gebe ihr keinen Grund dir nicht zu vertrauen oder gebe ihr nicht das Gefühl, dass sie dir nicht vertrauen kann!"

Wir unterhielten uns noch einige Zeit, bis mein Telefon verstummte und ich auf einen schwarzen Bildschirm starrte. Ich trank mein Scotch auf ex aus, ging wieder hoch ins Schlafzimmer und setze mich zu Lila.

„Babe?" flüsterte ich. „Babe, wach auf...ich muss mit dir reden" 

Late Night Talking (H.S.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt