Kapitel 34

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Nenan

Sie hatten beschlossen, dass es ihnen nichts bringen würde, wenn sie hier gemeinsam warten würden. Sie wussten nicht, wo Chana und Theyn waren, oder wo sie nach ihnen suchen sollten. Außerdem waren sie eine zu kleine, zu schwache Gruppe, um gegen die Leute im Lager ankommen zu können. Also mussten sie warten. Und das gefiel einigen gar nicht.

"Ich verstehe ja, dass wir nicht unüberlegt handeln können, aber wenn wir nur hier hocken, wird sich die Welt auch ganz normal weiter drehen...", begann Anton nach einer Weile zu meckern. Oreni rümpfte die Nase. "Die Welt dreht sich zwar immer weiter, aber er hat Recht." "Bei allem Respekt, Heerführer Trolot, aber wir sollten wirklich etwas unternehmen!", meldete sich nun auch Lahnol zu Wort. Nenan seufzte und richtete sich auf. "Und was schlagt ihr vor? Denn wenn ich euch mal ein kleines Geheimnis anvertrauen kann: Wir haben keine Ahnung, wo Chana uns Theyn sind. Wir wissen nicht einmal, ob sie noch am Leben sind!"

Weiter hinten wechselten Durand und Berain besorgte Blicke. "Denkt Ihr etwa, dass wir sie darum nicht sehen können? Glaubt Ihr, sie haben sie umgebracht?", fragte Berain entsetzt. Nenan seufzte leise und lehnte sich wieder an den Stamm des Baumes. "Ich weiß es nicht. Sie sehen aber nicht sehr gewalttätig aus, zum Glück. Aber Aussehen heißt noch nichts. "Naja, wenn wir rumsitzen hilft es Chana und Theyn auch nicht. Wir müssen einfach etwas tun, Nenan!", versuchte Anton weiter, seinen Freund zu überzeugen. "Selbe Frage", meinte Nenan trocken. "Hast du einen Vorschlag?" "Nein", gestand Anton kleinlaut. "Aber es gibt immer eine zweite Wahl."

"Ich habe eine Idee!", rief auf einmal Berain. Alle - eingeschlossen ihr Bruder - sahen sie stirnrunzelnd an. "Ihr tragt alle Rüstungen", begann sie zu erklären. "Durand und ich aber sehen wie ganz normale Leute aus. Wir könnten hin gehen und ihnen die selbe Geschichte erzählen wie euch. Dann finden wir heraus -" "Warte, was heißt da Geschichte erzählen?", warf Lahnol ein. Durand zog seine Augenbrauen zusammen. "Äh... Ja, was denn wohl? Unsere Geschichte natürlich." Anton streckte seinen Kopf in die Richtung der Geschwister. "Beinhaltet die auch, warum eure Gesichter leuchten?", fragte er. Nenan verschluckte sich fast an seiner eigenen Spucke. Was sollte das denn heißen?! "Was soll das denn heißen?", fragte Oreni laut, was Nenan gedacht hatte. "Ja, das war jetzt ein ordentlich bescheidener Moment, um uns davon zu erzählen, Anton. Und ein noch bescheidenerer, als du" - Nenan zeigte auf Durand - "und deine Schwester beschlossen habt, uns nichts davon zu erzählen."

Durand und Berain wechselten einen Blick. "Wir haben keine Ahnung, wovon er redet!", rief Durand laut. "Na, jetzt ist's auch schon egal, die Katze ist aus dem Sack. Also, da könnt ihr uns ebenso die ganze Geschichte erzählen - und zwar die echte. Und wenn es geht vielleicht auch ohne Lügen." Berain fuhr sich hektisch durch das Haar. "Wir wollten nicht lügen! Wir wussten nur nicht, wie wir es euch sagen sollten. Schließlich habt ihr keine sonderlich gute Erfahrung mit Magie!"

"Magie?", fragte Lahnol.

"Berain!", rief Durand laut. Seine Schwester zuckte mit den Achseln. "Ja, was hätte ich denn sagen sollen? Was willst du ihnen erzählen? Es ist Zeit, reinen Tisch zu machen!"

"Magie", dachte Nenan und in seinen Gedanken tauchte sofort das Bild des Mädchens in dem gelben Kleid auf, das im Gras saß und der Musik lauschte. Vielleicht war er ja nicht verrückt, vielleicht war alles nur Magie.

"Was heißt das bitte?", fragte Lahnol laut. "Ihr seid Magier?!" Berain sah zu Durand, dann wieder zu der Gruppe. "Naja, nicht wirklich. Aber irgendwie auch schon. Also... Ihr kennt doch sicher alle den Stereotypen von Magiern, nicht wahr? Sie zaubern, fuchteln mit Stäben oder ihren Händen herum und - puff - plötzlich Magie. Wir... Wir sind nicht so. Wir... Also wir kommen von einer Gruppe die sich selbst 'der Sonnenbund' nennt. Wir sind Heiler. Wir heilen mit Magie, aber mehr können wir nicht. Wir haben beschränkte magische Kräfte."

"Seid ihr darum immer bei den Verletzten gewesen? Habt ihr ihnen geholfen? Sie geheilt?" Durand nickte. "Aber wieso habt ihr uns das nie erzählt?", fragte Anton. "Wir kennen uns jetzt nicht sonderlich lange...", meinte Durand. Berain schluckte. "Aber es ist nicht der einzige Grund. Es gab viele, die gegen uns waren. Leute, die behaupten, dass wir bösen Mächten dienen würden. Dass wir Kinder entführen und die die wir heilen, vergiften würden. Dass wir ihre Seelen an unsere Hohepriesterin binden würden."

Oreni runzelte die Stirn. "Und das hab ihr nicht, hm?" "Natürlich nicht!", rief Durand. "Es ist schon wahr, dass die Hohepriesterin andere Kräfte als wir haben. Stärkere. Vielleicht ist sie sogar eine echte Magierin. Wir aber sind nur Heiler." "Und wie kommt ihr dann hier her? Wart ihr auf dem Weg in ein Dorf?", fragte Nenan. "Nein", antwortete Berain. Sie seufzte, bevor sie weiter sprach. "Nachdem wir viele Feinde haben, viele die und misstrauen, haben wir uns versteckt. Wir hatten ein Geheimversteck, das wir stets gut behütet haben. Aber irgendetwas ist durchgesickert. Wir würden verraten und in der Nacht angegriffen. Wir hatten Glück, weil alle wegen eines Festes wach waren, aber wir mussten fliehen. Unsere Hohepriesterin hat sie aufgehalten, damit wir verschwinden können. Wir wurden in unserer Panik getrennt. Und nun sind wir hier."

"Und nun seid ihr hier."

"Wie wissen nicht, wer sonst noch überlebt hat. Sie haben uns bis hier hin gejagt", fügte Durand mit ernster Miene hinzu. Sie waren ein paar Augenblicke still, bis Nenan sagte: "Darum wart ihr so misstrauisch und zurückhaltend. Ihr hattet Angst, dass wir euch verraten oder töten würden." Die Geschwister nickten. "Ihr hab uns geholfen", meinte Nenan. "Hier sollt ihr Schutz finden. Zumindest, wenn wir so etwas überhaupt noch selbst haben. Auch wir stehen am Ende." Die Geschwister nickten. "Danke", sagte Durand. "Es ist in diesen Tagen schwer, ehrliche Hilfe zu erhalten und es ist schon lange nicht mehr selbstverständlich." "Ihr habt und geholfen", wiederholte Nenan noch einmal. "Ihr sollt dafür bekommen, was ihr braucht. Denn nicht nur Hilfe ist wertvoll heutzutage - Leben ebenso. Nichts kann einen verlorenen Menschen ersetzten."

"Ja", flüsterte Berain. Nenan war sich sicher, dass sie an ihre alten Freunde dachte, an die, die mit ihr Teil des Sonnenbundes gewesen waren und von denen sie nicht wusste, ob sie lebten oder tot waren.

Manchmal würde Nenan alles dafür geben, nicht zu wissen, dass Nadine tot war.

Dann hätte er wenigstens noch Hoffnung.

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt