Kapitel 15

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Justin Hendoras

Justin Hendoras öffnete die Türe zu dem Zimmer des Königs erst, als er sicher war, dass Nadines Lied verklangen war. In seinem Kopf schwirrte eine Erinnerung an eine Zeile daraus und an Nadines kraftvolle Stimme. "Bis es nach langen Jahren endlich findet heim..." Das war die Zeile mit dem Kind aus dem Wald, das irgendwann nach Hause kam. Justin interpretierte die Zeile jedes Mal anders. Heute schien es ihm sehr passend, dass Nadine es immer gesungen hatte, damals, als ihre größten Probleme ein Bär, eine Räuberbande oder zu wenig Bier im Keller gewesen waren. Justin fiel es schwer zu glauben, dass es nie wieder so sein würde. Das Lied in seinem Kopf wurde leiser, so leise, dass er das "Herein" von der Türe bemerken konnte. Justin riss sich zusammen. Nadine war tot, Juliette, Nenan und Lars im Krieg und er war hier, der letzte Heerführer in Mortis und auch der, der auf den König achten musste.

Der Mann stieß die Fichtentüre auf, vielleicht etwas zu entschlossen, sich nicht von der Vergangenheit ablenken zu lassen. Der Raum hatte eigentlich eine Verkleidung aus dunklem, weichem Holz, wie Justin wusste, aber das Büro war tapeziert mit dunkelorangen Tapeten, auf denen das Wappen Mortis'-der Magnolienbaum mit den rosafarbenen Blüten - in dunklem orange abgebildet war. Auch die Polster waren in der gleichen Farbe, was das Zimmer wie einen Sonnenuntergang im Oktober aussehen ließ. Es gab nur wenige Möbel, einzig allein ein Schreibtisch mit einem Sessel, zwei Schränke dahinter und eine Vitrine aus dem gleichen Holz.

Der König trug einen gelben Umhang mit einem weißen Pelz dran, was Justin die Frage in den Kopf brachte, wie viele Tiere wohl dafür ihr Leben gelassen hatten. Darunter trug der König eine dünne Schicht Kleidung an. Braune, abgewetzte Stiefel schützen seine Füße vor der beißenden Kälte, die vom offenen Fenster ausging.

"Mein König.", sagte Justin, als er hinein trat. "Heerführer.", erwiderte der König schwerfällig. Justin beschloss, es langsam angehen zu lassen. "Wie geht es Euch?". Der König sah Justin an, direkt in seine Augen und sein Blick war kalt und hart wie Stein. "Verzeiht, mein Herr.", entschuldigte sich der Heerführer kleinlaut. Herand Magnolienblüte seufzte, dann drehte er sich wieder zu seinem Schreibtisch. "Ich bringe Botschaft.", versuchte des Justin erneut. "Fahrt fort." "Die Heerführer Kerz, Prence und Trolot sind dabei, einen Weg zu finden, das Land zu..." 'Retten', wollte er sagen, doch es wäre eine Lüge gewesen. Er wollte nicht lügen, nicht hier und nicht heute. "Verteidigen", beendete er schließlich seinen Satz "Ah. Und wie wollen sie das machen?", fragte der König langsam.

Justin überlegte kurz, ob an der Wahrheit etwas falsch war. "Trolot lenkt die Truppen ab, während Kerz und Prence sich den Anführer vorknöpfen, aus dem Hinterhalt, wo er es nicht kommen sehen wird." "Sie stürmen also das Lager?" "Genau." Justin zog sich seinen Umhang näher um die Schultern, die Kälte von draußen trat in sein Gesicht und machte ihm langsam zu schaffen. Wie hielt der König das aus?

Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, unsicher, was er jetzt machen sollte. Der Herrscher von Mortis aber schien ihn absichtlich zu ignorieren, oder war wieder in Gedanken versunken. Justin beschloss, sich zu räuspern. Herand Magnolienblüte sah auf. "Ah, du bist ja immer noch da. Du darfst gehen, Hendoras." "Er duzt mich.", ging es Justin durch den Kopf. "Merkwürdig." "Mein König.", verabschiedete er sich. Der Ritter verbeugte sich, dann gong er rückwärts aus dem Raum. Erleichtert schloss er die Türe zu, trotzdem kam es ihm so vor, als wäre diese Türe gerade für immer geschlossen worden.

Juliette Kerz

Juliette hatte keine Angst. Das, was sie fühlte war Müdigkeit. Müdigkeit und eine tödliche Kälte, aber nicht so eine, die einem dem Hals und die Arme hochkroch, sondern eine allgegenwärtige , einschläfernde Kälte. Außerdem war da noch der Ekel und die Fassungslosigkeit, worüber genau wusste die Heerführerin nicht. Nein, Juliette hatte keine Angst.

Lars Prence hingegen sah aus, als wollte er weglaufen und das war es wohl wahrscheinlich auch, was Chanas Gesichtsausdruck ausgelöst hatte, denn wenn Lars, der noch vor Monaten eben die schwierigsten Konflikte gelöste hatte, Angst hatte, dann konnte es kaum gut für sie aussehen. Ein Blick auf Lahnol reichte, um zu sehen, dass auch er verschreckt war. In die Richtung des Orgales zu schauen, war hingegen ein eindeutiger Fehler. Juliette tat es trotzdem.

In ihrem ganzen Leben hatte sie nie etwas gesehen, was auch nur Ähnlichkeiten mit der Kreatur hatte, die da gerade vor ihnen stand. Oder stand sie überhaupt? Denn zuerst einmal hatte das Wesen keine Füße oder überhaupt Beine. Stattdessen war dort eine Spirale aus Rauch, aus schwarzem, undurchsichtigem Nebel, der unentwegt in Bewegung blieb. Das Zweite, was der Heerführerin sofort auffiel, war die schwarze Kapuze, die das Ding trug um das, was wahrscheinlich der Kopf sein sollte. Darunter war nur tiefe Schwärze zu erkennen. Der restliche Körper war ebenfalls pechschwarz, obwohl man nicht genau sagen konnte, ob das der Körper, oder die Kleidung war. In der Hand hielt es ein dunkles Langschwert.

Das Erste, war Juliette merkwürdigerweise dachte, war: "Es kann bestimmt fliegen. Wie schön muss es sein, zu fliegen?", bevor sie plötzlich die unausweichliche Angst überkam und sie mitriss, als hätte sie ein Troll bei den Schultern gepackt. Auch Juliette starrte nun mit angsterfülltem Blick auf das Wesen, genau wie Lars und Lahnol. Sie registrierte eine Bewegung neben ihr, Lahnol schien zurückzuweichen, genauso wie Chana zu ihrer Rechten. "Was, bei allen Göttern ist das?", murmelte er.

Auf einmal kamen alle in Fahrt. Chana zog ihre Dolche, Lahnol machte schnellere Schritte rückwärts und Lars stellte sich schützend vor sein Pferd Siegesstolz, welches sich zusammen mit Chanas Pferd Jula, vorhin zu ihnen zurück gewagt hatte. Nun bereuten die beiden es wieder und ritten erneut davon Lars rief ihnen diesmal nichts nach.

"Seid Ihr..." Lars' Stimme versagte. "Seid Ihr der Heerführer?". "Das bin ich." Eine kratzige, tiefe Stimme, dunkel und böse. Juliette sah nicht zum ersten Mal Parallelen zwischen dem Wesen und alten Märchengestalten, die sie als Kind gefürchtet hatte.

Lars sah kurz zu ihr, doch nachdem sie nur weiterhin, in Todesangst versetzt, nach vorne starrte wendete er sich an Chana. Die nickte leicht, aber ohne ihre Dolche wegzustecken, ohne sie auch nur zu senken. "Wir möchten verhandeln, wie Ihr sicher wisst.", sagte Lars. "Ja.", sagte die Stimme. "Und wir lehnen ab". Schweigen. Was sollte das denn bitte heißen? "Was?", fragte Lars. Chana verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. "Wir verhandeln nicht." "Ihr zieht einen Krieg vor?" Der Orgale hinter der Kreatur hatte einen Gesichtsausdruck, der schadenfrohem Lachen glich. "Was...Was soll das denn heißen?", fragte Lahnol. In seiner Stimme lag der Anflug von Verzweiflung. "Ihr werdet sehen." Mit diesen Worten dematerialisierte sich das Wesen, genauso, wie es erschienen war.

Der Orgale verzog sich ebenfalls. "Hiergeblieben!", rief ihm Lahnol noch nach. Lars fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. Er sah plötzlich alt aus. Sein Blick blieb an Juliette hängen. "Juliette? Ist alles in Ordnung?", fragte er mit der größtmöglichen Sanftheit, die er gerade aufbringen konnte. "Ob alles in Ordnung ist?", fragte sie etwas zu emotionslos. Lars sah sie an, seufzend wollte er etwas sagen, doch Juliette schnitt ihm das Wort ab. "Ich habe keine Lust mehr! Ich habe keinen Bock, ich habe keine Energie mehr für beschissene Magie, Kriege oder Schlachten! Ich habe keinen Bock auf Verluste oder diese ganze Scheiße!", rief sie aggressiv, während ihr Tränen der Trauer und der Wut über das Gesicht strömten. "Juliette, ich weiß, wir alle-", begann Lars, doch er wurde unterbrochen. "Verdammt, ich will und kann das alles nicht mehr! Ach, fickt euch doch alle!". Chana sah aus, als wüsste sie nicht recht, ob sie lachen oder weinen sollte.

"Juliette, was wir alle sagen wollen", er machte eine umfassende Geste, "ist, dass wir für dich -". Abermals wurde Lars unterbrochen, doch diesmal war es nicht Juliette. "Hörner?", fragte Lahnol. Und tatsächlich: In der Ferne konnte man Hörner hören und eine sehr laute Stimme, die im nicht weit entfernten Lageretwas lautstark verkündete. "Angriff! Greift das Land an, nehmt es ein, macht Asche daraus!", konnte man klar und deutlich vernehmen. "Fickt euch doch alle.", wiederholte Juliette, doch diesmal leise und wahrlich entsetzt. "Das war ihr Plan, das war ihr verdammter Plan!", rief Chan. "Was?" "Eine beschissene Ablenkung!". "Verdammte Scheiße.", murmelte nun auch Lars. "Einem Frontalangriff halten wir nicht stand. Wir müssen nach Mortis zurück und ihnen davon berichten.", sagte Lars. "Na, worauf wartet ihr denn? Sofort!"

Die Angst war zurück und sie war erstickender als je zuvor.

P.S. Die Überarbeitung alleine dauerte eine Stunde und zwanzig Minuten :/

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt