Kapitel 24

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Nenan Trolot

Chana Kaufff saß am Boden am Rande des Lagers und starrte in den Himmel, als Nenan Trolot zu ihr trat.

"Chana... Was... machst du da?", fragte er vorsichtig. Chana zuckte mit den Schultern. Nenan seufzte, dann ließ er sich zu ihr auf den Boden fallen. Die Erde hier war normalerweise staubiger, aber nach Einsetzung der Regenschauer war sie feucht. Meistens kam der Regen etwas später, nämlich im Winteranfang, doch dieses Jahr waren auch die Frühblüher und die erste Ernte früher gewesen, als die Bauern und Bäuerinnen erwartet hatten.

Nachdem es eine Weile still gewesen war, brach Nenan das Schweigen: "Weißt du, Chana... Ich... Wir schaffen das schon. Und wenn du was brauchst... Nun, du weißt ja, wo du mich findest. Nur versprich mir eines: Bleib stark. Es ist schwer, sehr schwer und besonders für uns, aber wir müssen durchhalten. Und Chana, Juliette braucht dich. Mehr denn je, jetzt wo Eton... nicht mehr bei uns ist. In Ordnung?"

Chana schloss für ein paar Sekunden die Augen, dann nickte sie. Die Ritterin sah zu Nenan auf und sagte: "Ich weiß nicht, ob Juliette mich braucht. Und ich weiß auch nicht, ob ich überhaupt noch einen Sinn in meiner Existenz finden kann." Nenan wollte etwas sagen, doch Chana hob die Hand und fügte hinzu: "Aber ich werde weiter machen. Für sie. Und ich werde kämpfen. Alleine um diesen verdammten Hurensöhnen zu trotzen, die uns so dringend tot sehen wollen. Oder zumindest wollten."

Nenan rückte auf dem Boden näher zu Chana. "Chana... Juliette hat es dir sicher schon erzählt... aber diese Geschichte mit dem Verräter hat sich sicher noch nicht erledigt..." Die Frau nickte sicher. "Eher nicht." "Hast du in der letzten Woche etwas bemerkt? Etwas auffälliges? Irgendwas?", fragte Nenan.

Chana schloss wieder die Augen. "Nenan, ich weiß nicht, was du erwartest..." "Ich erwarte, dass du ehrlich bist, Chana. Es ist wichtig, dass wir offen zueinander sind und dass wir uns vertrauen. Wir haben es auch schon so schwer genug. Also, ich wiederhole mich noch einmal: Hast du etwas bemerkt?" Die Ritterin bewegte sich nicht einem Zentimeter, doch dann - endlich - antwortete sie."Sagen wir so: Es gibt Unterschiede zu den Wochen davor. Nebel im Herbst ist normal, aber so dichten wie heute morgen hatten wir noch nie hier in Mortis. Ich sehe kaum mehr Tiere im Norden oder Nordwesten. Im Süden habe ich Wölfe gesehen - Große Viecher, vielleicht sogar ein Werwolfrudel oder so etwas. Im Südosten war es schon immer gefährlich. Aber der Norden... Der Norden ist still. Zu still." Nenan nickte. "Ich verstehe. Dein Vorschlag?", fragte er und Chana beugte sich näher zu ihm hin. "Mehr nördliche und südwestliche Wachen. Vielleicht einen Trupp, der sich das mal ansieht." Wieder nickte der Heerführer. "Danke", sagte er. "Siehst du, zumindest für mich ist deine Existenz bedeutend. Und vielleicht finden wir beide einen neuen Sinn", sagte er mit einem traurigen Gesichtsausdruck.

Nenan stand auf und wollte sich in Richtung Lager abwenden, doch dann zögerte er. Schließlich wandte er sich noch einmal um und meinte: "Sie wäre sehr stolz auf dich, Chana. Wisse das."

Chana reagierte nicht.
Zumindest nicht so, dass Nenan es sehen könnte, aber er war sich sicher, dass sie zumindest innerlich eine Veränderung durchmachte.

Chana Kaufff

Chana blieb noch auf dem Erdboden sitzen, als Nenan gegangen war. Der Heerführer hatte sich wahrscheinlich schlafen gelegt, schließlich war der Abend nicht mehr jung, sondern genoss noch die letzten paar Strahlen der Herbstsonne. Chana unterdrückte ein weiteres Seufzen. Sie blickte gen Sonne und die Strahlen wärmten ihre dunkle und frostige Haut. Ihr war nicht wirklich kühl, doch trotz dessen hatte sich eine eisige Kälte um sie gelegt und das nun schon seit dem Fall von Mortis. All dies hatte mit der Nacht begonnen, in der sie den letzten Ring verloren und die Feinde sich zurück in ihr Lager gezogen hatten, um ihren ultimativen Schritt zu planen. Juliette war an diesem Abend zu ihr gekommen und hatte ihr und Eton die Ereignisse des Tages und die Pläne für die Zukunft erklärt. Doch Chana hatte ihr kaum zugehört, hatte es kaum gekonnt. Dieser Abend war einer der schrecklichsten gewesen, den sie je erlebt hatte. Zu viele schlechte Neuigkeiten, zu viele Schnitte in ihrem Herzen.

Chana schob die dunklen Gedanken beiseite und begutachtete weiter die Landschaft. Die letzten Strahlen der Sonne tauchten die Bäume um das Lager herum in eine goldene, friedliche Atmosphäre. Der aufziehende Nebel dahinter verlieh der Natur eine gespenstische Aura.

Chanas Augen füllten sich urplötzlich mit Tränen. Wie friedvoll doch alles aussah, wie unberührt. So, als wäre nie ein Leid über die Lande Mortis' geraten, so, als wäre nie ein Unglück über sie alle gekommen. Chana wollte eigentlich gar nicht weinen, sie hatte kaum noch die Kraft dazu. Am besten wäre es, wenn sie sich ablenken würde und das, was noch an Energie übrig war, für andere Aktivitäten zu benutzen, die Mortis' ehemaligem Bewohnern vielleicht auch etwas bringen würde.

Chana erhob sich und wischte sich die Tränen aus dem Augenwinkel. Sie durfte nicht verzagen, nur das Weitermachen zählte. Das war schon immer das einzige gewesen. Und sie konnten es schaffen. Irgendwie.

Die Ritterin wollte sich gerade umdrehen, als sie auf einmal im Nebel etwas bemerkte. Das Etwas war groß, dünn und schien entweder etwas rundes zu haben oder rund zu sein. Es bewegte sich leise, lautlos schlich es näher. Chana kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, doch auch jetzt konnte sie die Gestalt nicht identifizieren. Was war das nur? Chana kniete sich auf den Boden und machte sich möglichst klein. Wenn sie selbst die Gestalt sah, würde sie sie vielleicht auch sehen! Die Ritterin legte vorsichtig ihre Hände an die Knäufe ihrer Dolche, dann spähte sie erneut in die Richtung, wo sie das Wesen gesehen hatte. Die Gestalt kam immer näher und Chana versuchte, sich noch kleiner zu machen. Langsam begann sie Ritterin zu erkennen, was es war. Chana hatte ein schlechtes Gefühl, denn was sie dort im Nebel des Waldes sah, gefiel ihr keineswegs.

Die Gestalt war ein Mensch und sie war nicht aus Mortis.

Irgendwelche Vermutungen, wer das sein könnte? Was haltet ihr von Chana? Und vor allem: Ich bin mir sicher, dass dieses Kapitel einige Fragen aufgeworfen hat, also wäre ich ziemlich interessiert daran, wenn ihr sie in den Kommis hinterlasst! :)

LG und danke fürs Lesen
❄️Chel❄️

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt