Kapitel 1

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Nadine

Hufgeklapper ertönte auf Mortis' Schlosshof. Ein braunes Pferd galoppierte eilig auf zwei Männer zu, ohne sich große Mühe zu machen, die Soldaten, die versuchten sich neu zu formieren, zu umgehen. Auf dem Pferd saß eine schlanke Frau, rechts und links von ihr ritten zwei Ritter mit Mortis Wappen- einem Magnolienbaum mit gelben Ornamenten.

Die beiden Männer, auf die sie zuritten, saßen gehockt inmitten des Schlachtfeldes, welches die feindlichen Geschosse der Katapulte angerichtet hatten. Geduckt, hinter einem Mauerbruchstück, das aus dem Turm über ihnen herausgebrochen worden war, schossen sie Pfeile in die Feinde, die ungeduldig hinter dem zweiten Ring der Mauer warteten.

Als die kleine Gruppe bei den beiden angekommen war, stieg die Frau schwungvoll von ihrem Hengst ab. Ihre braunen, dünnen Haare hatte sie geflochten und über eine Schulter gelegt. Sie trug die beinahe gleiche Rüstung wie die Ritter hinter ihr, mit dem Unterschied, dass ihr Umhang rot war und ihr Panzer mit goldener Farbe, anstatt gelber, verziert war. Die Frau und die beiden Ritter knieten sich mit gezogenen Schwertern und einer Axt zu den beiden Bogenschützen hinunter, um mit ihnen zu sprechen.

Während der eine Bogenschütze, der Rechte namens Nenan, immer noch seine Pfeile in die Sehne spannte, fragte er: "Was verschafft uns denn die Ehre, Prinzessin Nadine?". Er sagte es tonlos, als ob ihn nichts glücklich machen würde, bis auf den Gewinn des Krieges.

Als ob Nadine den Stimmton nicht bemerkt hätte, erwiderte sie: "Ich bin gerade von einem kleinen Ausflug zurückgekommen. Wir mussten einen Bären töten, der den Hirten die Schafe gerissen und den Imkern den Honig gestohlen hat. Als wir von eurer Lage hörten, mussten wir selbstverständlich sofort zurück. Durch den geheimen Hintereingang, natürlich."

Nadine lächelte kurz, dann wurde sie wieder ernst. "Wie lange haben wir noch?" Nenan sah den Mann neben ihm scharf an. "Anton?" Anton, Nenans bester Freund, erklärte: "Etwa zwanzig Minuten, wenn die da keine Pause machen". Sein blondes Haar wurde vom leichten Wind zerzaust, der den Geruch von Schweiß mit sich brachte. Er rümpfte die Nase.

Nadine seufzte bedrückt. "Wer sind eigentlich 'die da'?", fragte sie kopfschüttelnd. Antons braune Hundeaugen begegneten ihren, dann antwortete er: "Orgales, Menschen, Spinnen, Trolle, es ist alles dabei. Zur Krönung haben sie auch noch einen, vielleicht zwei Drachen. Wir wissen beim besten Willen nicht wer das ist und was genau er eigentlich will". Nadine und Nenan tauschten einen Blick. "Sie lassen weder mit sich kommunizieren, noch schicken sie Boten".

Nenan meinte leise: "Ich schätze, wenn sie nichts von beidem tun, dann wollen sie nur Platz auf der Karte machen". Einer der beiden Begleiter Nadines sah auf. "Oder einfach das Geschlecht der Magnolienblüten auslöschen".

Nadine seufzte nochmal, denn sie selbst hieß Magnolienblüte mit Nachnamen, was auch der Grund dafür war, dass Magnolienbäume auf dem Hof des letzten Rings wuchsen und der Stammbaum von Nadines Familie durch denselben Baum dargestellt wurde. Ihr Vater sagte immer, dass jeder alte Königshof einen Baum habe, was einige Leute, eingeschlossen sie, für Schwachsinn hielten.

Auf einmal bog ein weiterer Mann um die Ecke, Goliardon, der bekannt dafür war, Texte zu schreiben, welche die Zukunft vorhersagten. Anders als die Ritter trug er ein schlichtes, gelbes Gewand mit einem Paar brauner Stiefeln und einer weißen Tunika. Goliardon war klein und dunkelhäutig und hatte schwarze Haare. Er war ein begabter Autor, aber im Krieg nicht zu gebrauchen. Er wedelte mit einem Pergament herum. Nadine ahnte Böses. Sie winkte zurück und seufzte abermals.

Nenan schloss sich ihrem Seufzen nur an, denn das letzte von Goliardons Gedichten hatte den Tod von Nadines Mutter und ihrer Reisegruppe vorausgesagt, was schlussendlich auch gestimmt hatte. Das war nun schon mehrere Monate her. Er fuhr sich durch sein struppiges, braunes Haar, das mit seinem braunen Hautton einen starken Kontrast zu seinen spinatgrünen Augen erzeugte.

Goliardon bahnte sich seinen Weg durch eine Gruppe von Rittern, dann setzte er sich zu ihnen dazu. "Prinzessin.", begrüßte er Nadine. "Das könnte Euch interessieren". Er drückte Nadine den Zettel in die Hand. Sie ließ ihren Blick über den Text wandern, dann begann sie mit tiefer Stimme vorzulesen:

"Schwarzes Blut inmitten von goldenem Regen, der alles umfängt. Der Magnolienbaum stirbt. Sieh! Die Blätter werden braun und der Regen fällt. Wasche die Lüge rein, nur um die blutrote Wahrheit aufzudecken. Versuche nicht den Baum zu retten, wenn er längst verloren ist. Wasche die Lüge rein, nur um die trostlose Wahrheit aufzudecken. Brennt, Feuer des Widerstandes gegenüber Bösem, brennt! Der Baum brennt und die Sonne beginnt zu bluten, während die Erde als reiner Zyklus bleibt. Wasche die Lüge rein, nur um die bittere Wahrheit zu erfahren. Wenn einer von ihnen fällt, wird man die Welten entzweien um die Zukunft von ihnen zu bestimmen. Das rote Banner über der goldenen Stadt und schwarz färbt sich Holorons Rachefeldzug. Weiche, Licht, sagt die Finsternis, und das Licht tut wie gewollt, denn es kennt die Rebellion nicht mehr."

Als Nadine geendet hatte, war es still, bis auf das Kampfgetöse vor dem Tor. Um die Stille zu brechen, sagte Nenan: "Da hat sich jemand mal was vorgenommen". "Ich würde eher sagen: 'Das hört sich aber ernst an.'", meinte Anton trocken. Der zweite Ritter, namens Fridolin, sagte: "Fakt ist, beides ist nicht gerade gut". "Was soll das heißen, der Magnolienbaum stirbt?!", rief Nadine, plötzlich hysterisch. Langsam wurde ihr unwohl. Ammenmärchen, wie die ihres Vaters, waren eine Sache, Goliardons Prophezeiungen eine andere.

 Anton meinte: "Mit Verlaub, Prinzessin, aber ich nehme an, es soll vom Ende eures Herrschergeschlechts sprechen".

"Aber ... aber das darf nicht wahr sein! Ich lasse nicht zu, das Mortis fällt!". Plötzlich ertönte ein lauter Knall und eine Wache beschrieb das Ereignis in einem lauten Warnruf: "Das Tor ist aufgebrochen! Zieht euch in die Burg zurück!" Anton sah erstaunt aus. "Bitte?! Schon zwanzig Minuten vorbei?" "Sieht so aus", meinte Nadine, dann sprang sie auf. "Los, verschwinden wir. Für Mortis!", rief sie ehrgeizig. Die Sechsergruppe stürmte los, allen voran Prinzessin Nadine.

In Mortis war es üblich, dass jeder in der Königsfamilie eine herausragende Kampfausbildung hatte, darum war auch Nadine, als das einzige Kind der Königsfamilie, in vielen Bereichen ausgebildet worden, darunter Bildung, Kampf und Strategie.

Sekunden wurden zu Minuten. Während Goliardon sich in das Gebäude verzogen hatte, hatte Nenan bereits drei Kreaturen besiegt, Anton vier, der erste Ritter zwei, Fridolin, der zweite Begleiter Nadines, sechs und Nadine kämpfte mit dem fünften.

Ein Schrei, Nadine und Anton drehten sich um, ein weiterer Ritter war gefallen! Der Spalt im Tor war klein, aber die Kreaturen zwängten sich trotzdem durch und zwar rasch. Nach weiteren fünf Minuten ertönte erneut ein Schrei, die Klinge eines feindlichen Menschen hatte Fridolin durchbohrt, der es gerade noch schaffte, seine eigene in den Menschen vor ihm zu rammen. Beide fielen tot um, während ihre Leichen in ihrem eigenen Blut die letzte Ruhe fanden.

Nenan bekam plötzlich Panik, er hatte bereits sechs getötet, aber wie viele, bis auch er, wie Fridolin, seinen finalen Atemzug tat? Anton war schon mit seinem sechsten Gegner beschäftigt und Nadine bei ihrem siebten. Gerade kämpfte sie mit einem bis auf die Zähne gepanzerten Orgale, mit einer roten Augenklappe über dem linken Auge. Schon im nächsten Moment war er tot. "Wie schnell es doch ging ein Leben zu beenden", dachte Nenan bei sich.

Plötzlich spürte er etwas an seiner Hand, einen blendenden Schmerz. Es widerstrebte ihn hin zu sehe, doch er konnte nicht anders. Als sein Blick nach unten glitt, sah er Blut aus der Stelle tropfen, wo einmal sein Daumen gewesen war, doch es blieb keine Zeit für Angst oder zu langes Starren. Wütend stieß er dem Verantwortlichen sein Schwert hinein.

Nadine bewegte sich schnell, zu schnell um das Blut an ihren Händen zu registrieren, dass sich bald als ihr eigens herausstellen sollte. Gerade als sie einer Spinne das Leben beenden wollte, sah sie einen Schatten hinter sich. Und dann spürte Nadine wie ihr eine Klinge in den Rücken gerammt wurde.

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt