Kapitel 33

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Justin Hendoras

Justin und Juliettes Kuss schien Ewigkeiten zu dauern.

So lange, dass es schließlich unausweichlich schien, dass sie unterbrochen werden würden. 

"Heerführerin Juliette, ich wollte Euch -". Die Person, die eingetreten war, war Goliardon. Natürlich hatte er die beiden Heerführer sofort gesehen, wie sie da standen, die Arme umeinander geschlungen, ihre Hände im Haar des jeweils anderen und ihre Lippen geteilt. Juliette war die erste, die ihn bemerkte, denn Justin war viel zu sehr von ihrem Kuss berauscht, in der Nähe roch sie noch besser als sonst und ihr Kuss war so perfekt gewesen, so himmlisch, dass er es jederzeit- "Klatsch"  Justin bemerkte die Gegenwart erst wieder, als sie ihr ein Zeichen schickte - Nämlich in Form von einer dicken Ohrfeige. Juliette hatte ihm eine Ohrfeige verpasst! 

Sie stand dicht vor ihm die Hand immer noch ausgestreckt. Goliardon sah aus, als wolle er im Erdboden versinken und Justin selbst sah Juliette verwirrt an. "Wieso hast du das gemacht?", fragte er perplex. Juliette murmelte etwas Unverständliches. Ihre Wangen hatten sich rot gefärbt. Goliardon lächelte peinlich berührt. "Ich warte dann mal draußen...", sagte er und verschwand im Eingang. "Juliette", setzte Justin an, doch sie unterbrach ihn. "Ich habe keine Zeit", sagte sie einfach. "Ich- Wir- Ich... Goliardon braucht mich." Damit rauschte sie ab, mit roten Flecken auf dem Gesicht.

Justin blieb verwirrt und alleine zurück. Was war das denn gewesen? Gemischte Gefühle kamen in ihm auf. Einerseits wegen dem Kuss, andererseits wegen ihrer Ohrfeige. War sie jetzt wütend auf ihn?

Er stöhnte genervt auf. Juliette war definitiv eine sehr spezielle Person. Zweifel kam in ihm auf. Hatte sie sich einfach nur von ihm verführen lassen, weil sie besorgt war? Weil Nenan nun fort und sie beide die Verantwortung hatten? Vielleicht empfand sie gar nichts für ihn, vielleicht verband sie nur das Pflichtgefühl ihrer Verantwortung. Justin seufzte, dann schob er die Gedanken von sich. Jetzt war es schon zu spät, etwas zu tun. Er müsste mit ihr reden, bald, wenn es ging. Aber fürs erste gab es anderes zu tun. Nicht unbedingt wichtigeres, aber anderes. Ach was, er musste Juliette schnell aus seinem Kopf loswerden, wenn er hier alles in den Griff bekommen sollte. Mit ihrer Hilfe würde es natürlich um ein Vielfaches einfacher werden, wie eigentlich alles mit ihr einfacher wurde. Bis natürlich auf seine Gefühle, die er hatte. Die wurden viel zu verwirrend, wenn es um Juliette ging. War er etwa verliebt in sie? Er tadelte sich selbst, dass er das erst nach ihrem Kuss infrage stellte. Und er tadelte sich gleich doppelt, weil er schon wieder an sie dachte, anstatt sich seiner Arbeit zu widmen. 

Schnell verließ er das Zelt und suchte nach Lethan, einer seiner neuen Ritter. Auch er hatte früher Lars gedient, doch nun war er zu seinem und Juliettes Heer gewechselt. Es hatte kaum Unterschiede gemacht, zu welchem der beiden Heerführer man gehört hatte, weil sie ohnehin die meisten Aufgaben zusammen bewältigt hatten. Lethan war außerdem ein guter Freund von Oreni. Allerdings war sie eine der Einzigen, die Lethan noch geblieben war. Ihn hatte Mortis' Fall sehr schwer getroffen. Soweit Justin es gehört hatte - denn er hatte kaum etwas mit ihm zu tun - hatte er seinen Bruder, seine Mutter und den Großteil seiner Freunde verloren. Wie auch Justins Freunde waren seine meisten Bekannten im Heer gewesen. Und von den gut hundertdreißig einfachen Leute, die noch am Leben waren, waren vielleicht fünfzehn einer guten Kampfausbildung unterzogen worden. 

Das exkludierte natürlich alle, die im Heer beruflich engagiert waren.

Justin ging weiter zu dem großen Zelt, das zu einem Lager umfunktioniert worden war. Als er es betrat, bemerkte er, dass ihr Vorrat stark geschrumpft war. In den hinteren Regalen waren Waffen und Rüstungen, sowie alles weitere, das Nenan mit Anton und Goliardon aus den Ruinen der Burg hatten retten können. Auf der Seite, an einem dunklen Holztisch aus der alten Schmiede, saß Lethan.

Sein blondes Haar sah frisch gewaschen aus, und war elegant zur Seite gekämmt. Sein sonst so perfekt geschnittener Bart war länger geworden als sonst.
Er trug die klassische Rüstung eines Ritters von Mortis. Tatsächlich war er Etons ehemaliger Page gewesen, der neben Chana zu Juliettes engsten Unterstellten gehört hatte, bevor er in der Schlacht umgekommen und Lethan zurück gelassen hatte. Seitdem hatte er mit vielen verschiedenen Ritters zusammen gearbeitet und war in Lars' Heer aufgenommen worden.

Als Justin hinein kam, blickte der jüngere Mann auf. Stechende grüne Augen trafen auf Justins blaue.

"Hey, Lethan", begrüßte er ihn. Lethan stand auf. "Mein Heerführer!" "Schon gut", winkte Justin ab. "Wie geht es mit den Vorräten? Du bist ja mehr oder weniger die Person, die sich darum kümmert, nicht wahr?" Der Ritter nickte. "Das bin ich." "Also, erzähl doch mal. Was ist deine Profieinschätzung?" Lethans Kiefer spannte sich an. "Nun... Darf ich frei sprechen?" Justin nickte. Jetzt spannte sich auch er an. "Um ehrlich zu sein", fuhr Lethan fort. "Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Wir haben zu wenig Verpflegung, geschweige denn von anderen Ressourcen, wie Decken, Futter für Vieh oder Kleidung für den Winter. Mein Lord, ich weiß nicht, wie wir das schaffen sollen. Es wir maximal für sechzig, vielleicht achtzig Personen ausreichen." "Und wir sind Hundertzwanzig, mal abgesehen von den Resten der Letzten Verteidigung und dem Heer... Ich sehe, wo das Problem liegt...", murmelte er. Seine gute Laune war wie weg gefegt.

"Was sollen wir deiner Meinung nach tun?", fragte der Heerführer. Lethan ließ seine Schultern kreisen, während er sagte: "Ich weiß, das wird Euch nicht gefallen, aber - wenn ich das sagen darf - ich glaube, wir müssen fort. Hier in Mortis gibt es kaum etwas, was uns retten kann." "Du meinst es gibt nichts." Der Ritter zuckte mit den Achsen. "Ja. Genau. Aber anderswo ist der Winter vielleicht nicht so hart. Und es gibt reichlich Nahrung. Hier in Ruinen und Schutt gibt es weder eine ordentliche Unterkunft, noch lebenswichtige Ressourcen." Justin setze sich auf den Tisch, dann sagte er gedankenverloren: "Und die Zeit läuft uns davon..." Lethan nickte leicht. "Ihr müsst Heerführerin Kerz überzeugen, von hier weg zu gehen. Also, wenn Ihr meine Meinung hören wollt."

Justin unterdrücte ein Seufzen. "Danke, Lethan. Du warst mir eine große Hilfe. Kümmere dich einfach weiter um die Verteilung von... naja, allem. Bis bald."

"Auf Wiedersehen, mein Heerführer!", rief Lethan ihm nach. Justin verließ das Zelt und seufzte laut. Wie sollte er das Juliette erklären?

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt