Kapitel 41

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Nenan Trolot

Schreie. Es waren Schreie, die durch den Wald hallten. Chanas und Theyns Schreie.

Anton und er liefen so schnell sie konnten. Nenan hatte weder von sich selbst, noch von Anton gewusst, dass sie so schnell sein konnten. Nenan lief weiter, niedrige Äste schlugen ihm ins Gesicht, aber er lief weiter, ignorierte die Bitten seines Körpers stehen zu bleiben, Luft zu holen. Sein Gehirn trieb ihn weiter, immer weiter. Chana war dort, und er würde sie nicht verlieren, dieses Mal würde er nicht zu spät kommen.

Er lief weiter, immer weiter. Und dann -endlich - sah er sie.

Chana stand auf einem Stein, ihre Dolche erhoben, ihr Zopf löste sich auf, ihr Hosenbein war unten zerrissen und dreckig, aber ansonsten sah sie gut aus - so gut, wie man eben aussah, wenn man gerade gegen ein riesiges, zweiköpfiges Ding kämpfte.

Das Ding war gut drei Meter groß und es war widerlich. Es hatte große, lange Tentakel als Hände, vier Stück davon. Darauf waren große, widerwärtige Noppen, aus denen violetter Schleim entwich. Es hatte lange Beine, dünn wie Stöcke und die Köpfe waren lang und oval, mit zwei Hörnern, die aber in die Wangen des Lebewesens zu wachsen schienen. Nenan hatte so ein Ding noch nie gesehen und ehrlich gesagt wäre er auch froh gewesen, wenn es dabei geblieben wäre.

Er registrierte Theyn, die am Boden lag und mit ihrem Schwert nach einem der Tentakel schlug. Ihr blondes Haar lag ausgebreitet am Waldboden und darin hatten sich allerlei alte Blätter verfangen. Nenan sah sie nicht lange an, denn Anton sprang seiner Kindheitsfreundin bereits zu Hilfe.

Nenan hatte nicht bemerkt, wie er sein Schwert gezogen hatte, er hatte es irgendwann einfach in der Hand, holte damit aus und schlug dem Ding gegen den Bauch, oder was auch immer das war, aber es war jetzt nicht wichtig, nur Chanas Überleben. Da sah Chana ihn plötzlich, sie sah ihn an und etwas in ihr schien Feuer zu fangen. Sie holte mit ihrer eigenen Klinge aus, gegen das Ding. Das Ding schlang auf einmal ein Tentakel um Nenan, er schrei vor Überraschung auf und schlug um sich. Doch Anton war nicht da, er hatte Theyn inzwischen aufgeholfen und brachte sie in Sicherheit, obwohl die Eliteritterin laut behauptete, noch kämpfen zu können. Anton war zu beschäftigt, um die Not seines Freundes zu sehen, aber Chana, Chana war da und holte mit einem Brüllen aus, schlug auf den Tentakel, der Nenans Brust einschnürte. Violetter Schleim spritzte, als Nenan auf den Boden krachte, die ekeligen Tentakel wanden sich, obwohl sie vom Körper getrennt waren. Nenan kroch aus der Schlinge, befreite sich von dem zuckenden Fleisch.

Er blickte hoch zu Chana, die wild ihre Dolche wirbelte und abermals eines der drei Tentakel durchtrennte, die ihm geblieben waren. Das Ding johlte auf, ein lautes, wütendes Geräusch und Nenan kam auf die Beine. Er tastete nach dem Heft seines Schwerts, das er vor Schreck hatte fallen gelassen. Endlich bekamen seine Finger den kühlen, in Leder gewickelten Griff zu fassen, er nahm es wieder in die Hand und trat an Chanas Seite. Eilig nickte er Anton zu, der mit Theyn hinter einem Baum hervor lugte und ihre Wunden ansah.

Chana wehrte eines der restlichen zwei Tentakel ab, doch dieses Mal wurde es nicht sofort abgetrennt, sondern erhielt nur einen blutigen Kratzer. Das violette Sekret tropfte heraus. Nenan setzte zum Sprung an, dann schlug er auf das Bein des Dings. Das Ding quiekte, und Chana nutzte den Moment, um ein weiteres Tentakel ab zu schlagen. Wütend warf das Ding seinen letzten Arm um sich, Chana wurde erfasst und gegen einen Baumstamm geschleudert. Sie keuchte auf, aber schien in Ordnung zu sein. Nenan verschwendete kaum eine Sekunde, sondern holte tief aus, schlug auf das letzte Tentakel. Es flog in hohem Bogen an ihm vorbei, noch in der Lift stieß es die violette Flüssigkeit aus. Nenan zögerte nicht, er sprang auf den Stein, auf dem zuvor Theyn gestanden hatte und durchtrennte den Hals des Dings. Nenan kam schlitternd zu stehen, der Boden feucht und glitschig vom violettem Blut. Er hörte das Ding hinter ihm zu Boden krachen. Noch ein letztes Mal zitterte es, dann war es vorbei.

Nenan atmete tief ein, dann aus.

Er sah hinüber zu Chana, die aufgestanden war. Kaum, dass er sich versehen hatte, stand er schon vor ihr. "Geht es dir gut? Bist du verletzt?" Chana nickte. "Ich bin nicht verwundet", fügte sie hinzu, als sie Nenans Gesicht sah. "Wie habt ihr uns gefunden?", fragt sie. Nenan lächelte. "Das war ziemlich harte Arbeit. Wir werden es euch erzählen, aber jetzt müssen wir zum Treffpunkt, zum Rest." "Rest?" "Oreni, Lahnol, Berain und Durand." Nenan wollte sich umdrehen, doch Chana packte ihn am Arm. Er sah sie an. "Danke, Nenan." Nenan nickte knapp, doch Chana fügte hinzu: "Ich weiß... Ich weiß, du tust das nicht für mich. Aber ich danke dir trotzdem." Nenan nickte noch einmal, doch dieses Mal nicht mehr so enthusiastisch, sondern fast schon traurig. Die beiden gingen schweigend hinüber zu Antoon und Theyn. "Keine Sorge, Theyn. Berian und Durand sind magische Heiler! Die werden dich wieder auf die Beine bringen", sagte Anton gerade. Theyn sah ihn mit großen Augen an. "Magische Heiler?" Anton nickte stolz, als wäre das sein Verdienst. "Ja! Sie haben es uns verraten, vorhin." Chana und Theyn runzelten beide die Stirn, und Theyn sagte: "Ich glaube, du hast Wahnvorstellungen." Nenan schüttelte den Kopf. "Es stimmt wirklich. Berain und Durand sind Magier... oder so ähnlich. Kannst du laufen, Theyn?", wandte Nenan sich an sie. Sie nickte. "Wenn Anton mich stützt, dann schon." Anton rollte mit den Augen. "Na gut." Die beiden richteten sich auf.

Nenan deutete in eine Richtung. "Dort drüben ist der Treffpunkt. Ich weiß leider nicht, wie spät es ist, aber sie werden dort sein." Theyn nickte, ihr Gesicht war aber schmerzverzerrt. Sie unterdrückte ihr Leid und biss die Zähne zusammen. Chana tat es ihr gleich, obwohl sie kein Schmerz bedrückte. Nenan hatte das Gefühl, als wäre es gut, auf alles gefasst zu sein. Sie mussten tapfer sein.

Sie alle mussten das.


Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt