Nenan
Kaum als Nenan auf seine geliehene Stute, ein roter Fuchs namens Lula, gestiegen war, preschte er bereits los. Seine Gruppe folgte ihm nur sehr mühsam aus dem Tor.
Sein letzter Blick über die Schulter galt Juliette. Angelehnt an einem Holzpfosten des Stalls, mit verschränkten Armen, blickte sie zu ihm hinüber, teils skeptisch, teils besorgt.
Nenan verstand warum: würde man das Land angreifen, müsste sie es alleine verteidigen. Der König war kaum im Stande dazu. Eine Krankheit hatte ihn heimgesucht; die Trauer um Nadine hatte ihn wohl krank gemacht.
Nenan kam problemlos durch das zweite Tor. Es überraschte ihn kaum, dass sich die Feinde weiter beim Fluss stationiert hatten. Somit verhinderten sie teilweise die Wasserversorgungen von Mortis, allerdings auch von dem entfernen Land Vulkania, welches näher an den vier Hauptregionen lag, nämlich dem Feuerland Fanoria, in dem karge Wüsten und trockene Erde dominierten. Das Land war von Vulkanen, Lavaströmen und -Seen übersäht und prägte sich durch ständige Hitze und Trockenheit.
Nenans Leute und er waren langsam, langsamer als das letzte Mal als sie an ausgeritten waren. Vielleicht weil sie wussten, dass sie möglicherweise nicht mehr zurückkommen würden.
Erst als Nenan eine Weile in Richtung Fluss geritten war, bemerkte er drei verschiedene Dinge gleichzeitig: Das Erste war der Geruch. Der Wind wehte ihm ins Gesicht und es roch nach einem bekannten Duft: Blut und Schweiß. Das Zweite war, dass am Flussufer eine kleine Schlacht tobte, angeführt von Justin und Lars. Das Dritte war, dass er gerade noch rechtzeitig kam.
"Lars! Justin!", rief Nenan, um die beiden auf ihre Verstärkung aufmerksam zu machen.
Lars kämpfte weiter, aber dafür hatte Justin ihn gehört. "Nenan, du Held! Was machst du denn hier?! ", rief er begeisterst. „Euch retten, alleine kommt ihr ja offensichtlich nicht klar.", rief Nenan zurück, dann ritt er zu den anderen Truppen in das Gemetzel.
Für eine Sekunde geriet er in Panik. Er sah Nadine vor sich in einer Lache aus Blut und Tränen, oder waren das sogar seine eigenen, die langsam über Nadines totem Körper flossen? Doch bevor er weiter denken konnte, holte ihn ein Stoß von seinem Pferd in die Gegenwart zurück. Die Stute hatte einen Pfeil in den Kopf bekommen.
Plötzlich ertönte ein schrilles Geräusch. Die Männer um ihn herum hielten sich die Ohren zu. Ein Tier mit einem Löwenkopf, orange und mit einem roten Kragen darum herum, stellte sich auf die Hinterbeine, Pferdefüße, die Vorderen die eines Drachen, nur nicht schuppig sondern mit Fell bedeckt: ein Kirian.
"Der Kirian schreit so laut, dass man sich lieber die Ohren zuhalten sollte, denn ansonsten würde man sofort taub werden. Manche haben dadurch ihr Gehör für immer verloren.", hatte er Nadine in einer Erinnerung sagen hören. Sie hatten damals versucht, ein Tier zu finden, das in der Nähe von Mortis herum gestreift war. Damals war es allerdings kein Kirian gewesen. "Und wie bekämpft man ihn dann?", hatte Nenan gefragt. "Ich habe zwei Sachen davon gehört... Erstens soll Wasser seine Schwäche sein, und sein Unterleib. Aber die zweite Sache ist, dass nur die Jäger wissen, wie man sie töten kann."
Nenan fröstelte, dann hob er seine Hände, die immer noch auf seinen Ohren waren an, und wickelte seinen Umhang, so gut es ging, um seine Ohren. Seine Leute hielten sich die Hände an den Kopf, einige wälzten sich auf dem Boden. Sie brüllten unverständliche Worte und unausgesprochene Flüche lagen in der Luft.
"Bleibt, wo ihr seid!", schrie er, so laut er konnte. Nenan stürmte voran, direkt auf den Kirian zu. Seine Ohren schienen zu explodieren, aber er konnte jetzt nicht zurück. Er musste diesen überaus unfairen Gegner, wie Anton sagen würde, dringend loswerden. Laut seiner Meinung war der Krieg nun mal unfair, oder besser gesagt: Im Krieg gab es keine Regeln. Und das war die einzige Regel, an die er sich halten würde.
Nenan sprang so hoch er konnte, der Kirian war immer noch damit beschäftigt, seine beste Fähigkeit anzuwenden, das Schreien. Das Mischwesen merkte nichts, von seinem heimlichen Angreifer. Nun war Nenan an der Reihe mit dem Schreien. Mit einem Laut des Sieges und Krieges zugleich, zog er sein Schwert und rammte es dem Tier in den Hinterleib. Der Schrei wurde ohrenbetäubend schrill. Dann verklang er, so plötzlich, wie er ertönt war. Die Hinterbeine des Tieres brachen zusammen und danach folgte ihnen der Rest des Kirians zu Boden.
Neben sich hörte Nenan ein erstauntes Nach-Luft-Schnappen. "Nenan!", rief Justin dicht an seinem Ohr. "Du hast es geschafft!" An Nenans Ohr kamen die Worte nur dumpf an, als hätte er sie sich verschlagen. Ein ihm nur allzu bekanntes Piepen war in seinem Ohr.
Er wickelte sich den Umhang vom Kopf. "Was?", fragte er. "Gut gemacht!", brüllte Justin, nun laut genug, damit er ihn hören konnte. Es schien, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ihre Angreifer blickten kurz auf den toten Leib des Tieres, dann stürmten sie wieder auf ihre Gegner zu.
Nenan hatte kaum Zeit sich zu sammeln, da wurde er auch schon von rachsüchtigen Feinden umzingelt. Nenan verfiel wieder in sein altes Spiel, das Spiel des Kampfes. Er war sich sicher, dass diese Schlacht noch nicht geschlagen war, und irgendetwas sagte ihm, dass ihnen noch etwas Schlimmes blühen würde.
Er schlug sich tapfer, genau wie sein Schwert, genau wie Lars und Justin, genau wie Juliette, die ganz allein in Mortis wachte, ohne Sicherheit, dass sie je wieder Hilfe bekommen würde. Genau wie sich in diesem Augenblick keiner sicher sein konnte, wer überleben würde, und wer sein Zuhause für immer verlassen hatte.
"Nenan! Nenan!", hörte er Lars rufen, es war das Erste, was er zu ihm sagte. "Nenan!" Da war es. Da war das Problem, das Nenan vorhergesehen hatte, das Problem vor dem er sich fürchtete.
"Nenan!", rief Lars wieder. Nenan sog die Luft ein, dann drehte er sich, so gut es ging, zu ihm um. "Ja?" "Nenan! Nenan, wir...Sie haben Verstärkung!" Verdammt. Da sah er sie: eine vielzählige Gruppe an Feinden. Dann sprach Nenan das Offensichtliche aus: "Wir sind nicht nur in der Unterzahl. Wir sind tot."
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Lothoria: Schwarzes Blut
Fantasía»𝕹𝖎𝖊𝖒𝖆𝖓𝖉 𝖜𝖎𝖑𝖑 𝖘𝖎𝖊 𝖘𝖊𝖍𝖊𝖓, 𝖉𝖎𝖊 𝖇𝖎𝖙𝖙𝖊𝖗𝖊 𝖂𝖆𝖍𝖗𝖍𝖊𝖎𝖙. 𝖁𝖔𝖗 𝖑𝖆𝖚𝖙𝖊𝖗 𝕷ü𝖌𝖊𝖓 𝖎𝖘𝖙 𝖓𝖚𝖗 𝖓𝖔𝖈𝖍 𝖉𝖎𝖊 𝕰𝖗𝖎𝖓𝖓𝖊𝖗𝖚𝖓𝖌 𝖜𝖆𝖍𝖗.« Krieg! Das lange im Frieden lebende Königreich Mortis wird angegriffen! A...