Kapitel 16

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Nenan Trolot

Abermals kämpfte Nenan um sein Überleben.

Er war von einer riesenhaften Spinne auf den Boden geworfen worden und versuchte sie mühevoll abzuschütteln. Nenan wälzte sich auf der Erde auf die Seite, das Tier - oder war es überhaupt ein Tier? - schlug mit den Beinen nach ihm, Nenan kickte eines davon weg, die Spinne verlor das Gleichgewicht, kippte und landete auf Nenans Bauch. Der Heerführer stieß einen Schrei des Ekels aus, dann griff er nach seinem Schwert, welches ihm bei dem vorherigen Kampf entfallen war und stieß es seitlich in das Wesen. Ein leises Quieken ertönte und grüne Flüssigkeit tropfte aus der Stelle, wo Nenans Schwert sie verletzt hatte. Angewidert stieß er den Leichnam von sich.

Er rappelte sich so schnell er konnte auf, um den Überblick und die Oberhand über seine Umgebung zu bewahren. Hinter ihm hörte er einen vertraulichen Schrei, er drehte sich um, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der höchstrangige der Ritter unter seinem Kommando erstochen wurde. "Nein!", rief Nenan frustriert, dann aber wurde er von einem Orgale abgelenkt, der auf einmal in dem Moment seiner Ablenkung, vor ihm aufgetaucht war. Als er auch den mit Müh und Not zu Fall gebracht hatte, sah er sich erneut um, um seine Verluste im Auge zu behalten.

Dutzende seiner Männer und Frauen waren bereits gefallen, viele kämpften um ihr Leben. So gut wie alle hatten mehr oder weniger drastische Verletzungen eingebüßt. Auch Nenan war nicht nur an der Schulter, sondern auch am Arm verwundet worden. Seine Rüstung hatte sich ausgezahlt, war aber nun dreckig und -was wesentlich schlimmer war- beschädigt. Nenan bezweifelte, dass das Ding noch lange ein Schutz, sondern mehr eine Last sein würde. Seine dunklen Haare waren ebenfalls zerrupft und wären wortwörtlich um ein Haar kürzer geworden, als ein Säbel ihn fast am Kopf erwischt hatte.

Nenan musste plötzlich einem erneuten Todesstoß ausweichen, aber diesmal ließ er sich nicht auf einen Kampf ein, er ging rückwärts, nur ein Stück, dann drehte er sich um und parierte einen Schlag, der ihm sonst in den Rücken gestoßen worden wäre und den Heerführer auf brutale Art und Weise getötet hätte. Unerwarteterweise nahm er auf einmal ein Geräusch wahr.

Ein Horn.

Plötzlich schien die Zeit für Nenan wie im Schritttempo zu vergehen. Er drehte sich nach Westen. Eine dunkle Wolke zog auf die Kämpfenden zu, am Himmel, als auch am Boden. Nenan hörte seinen Herzschlag, dann drehte er sich abermals, diesmal nach Osten.

Rauch.

Rauch über Mortis und es war nicht von den letzten paar Gefechten. Noch einmal ertönte ein Horn, diesmal aber heller, lauter und vertrauter. Es holte Nenan zurück in den Augenblick. "Lars", dachte er, dann rannte er in die Richtung, wo er das Horn vernommen hatte, nämlich Nordwesten, beim Fluss.

Er ignorierte die Feinde, die sich ihm in den Weg stellten, stieß Freunde sowie Feinde zur Seite, parierte nur, um sich zu schützen und um zu laufen, zu laufen, zu Lars und Juliette, denn er fühlte es, wie man das Ziehen in einer alten Narbe spürte, wenn ein Sturm aufzog, fühlte, dass etwas passiert war. Irgendetwas musste doch geschehen sein! Irgendwann begann er zu rufen, er achtete nicht auf die ganzen Leute und Wesen um ihn herum. "Lars! Lars, Juliette!", hörte er seine eigene Stimme brüllen, angsterfüllt und doch mit Hoffnung überflutet.

Plötzlich hörte er ein Wiehern, ganz nahe. Es konnte irgendein Pferd sein, eines, dass den Reiter verloren oder abgeschüttelt hatte, eines, dass noch geritten wurde, oder gerade starb, aber es konnte auch Lars' Hengst oder Juliettes Raklagon sein, und das gab ihm Mut, Hoffnung, dass sie lebten und hier waren.

Zumindest war das so gewesen, bis er auf einmal angerempelt und auf den Boden geworfen wurde. Nenan spürte, wie er getreten wurde, er versuchte sich aufzurappeln, wurde aber immer wieder zu Boden getreten. "Scheiße!", spuckte er aus, irgendwann gelang es ihm, wieder hoch zu kommen, er spürte allerdings, dass seine Rippe mindestens angeknackst war. Er stützte sich auf seinen heilen Arm, bis er hochkam, in einer perfekten Position, um einem Mann in schwarzer Rüstung von unten den Kopf abzuschlagen. "Umso weniger, umso besser.", dachte er, ohne auch nur den Anflug von Reue zu spüren.

Erst jetzt erkannte er, dass seine Truppe nicht ohne Grund nach hinten gewichen war -die Wolke, die er vorhin erblickt hatte, war da, und es war gar keine Wolke, sondern eine Flut von Feinden - Eine neue Welle von Angreifern. Nenan öffnete den Mund um die schlimmsten Schimpfwörter seines Wortschatzes zu äußern, aber dann entsann er sich anders und rief stattdessen: "Rückzug! Rückzug nach Mortis!" Leise fügte er, mit Blick nach vorne, hinzu: "Verzeiht mir, Juliette und Lars. Verzeiht mir, dass ich euch alleine lasse. Aber Mortis braucht mich lebendig- uns, und ich werde unsere Leute nicht im Gemetzel töten lassen." Damit wandte er sich um und lief zu seinen zurückgedrängten Leuten durch das Schlachtfeld.

"Schützen zu mir! Speerträger nach vor! Wir müssen den anderen eine sichere Flucht gewährleisten!" Wenn sie sterben sollten, dann nicht durch einen feigen Hinterhalt. Die Bogenschützen stellten sich hin, die Speerträger wie besprochen unmittelbar vor sie, ihre Waffen gegen die tobende Armee vor ihnen gerichtet, die Entfernung zwischen ihnen betrug nicht viel. Nenan nahm seinen eigenen Bogen vom Rücken, sobald er hinter der Linie aus Schützen war, die sie gebildet hatten. "Alle anderen fliehen nach Mortis! Heerführer Hendoras wird euch dort neue Befehle erteilen! Schützen, anlegen und zielen!".

Nenan nahm einen Pfeil aus seinem Köcher, der fast noch komplett voll war, denn er hatte ihn nach Nadines Verlust auffüllen lassen und in der momentanen Schlacht kaum gebraucht, alle Arbeit hatte sein Schwert getan, welches durch die vielen Körper, durch die es geschnitten hatte, schon beinahe stumpf war. Aber es war immer noch eine Waffe.

"Feuer!", brüllte Nenan, als die Feinde nahe genug und die Schützen allesamt bereit waren. "Schilde!", rief eine Kriegerin der feindlichen Armee so laut, dass selbst Nenan sie hören konnte. "Bogenträger, zurück! Freies Feuer! Speerträger, langsam rückwärts!" Nenan blieb bei den ihnen, ein paar Pfeile trafen vier von ihnen. "Scheiße!", rief Nenan laut. "Alle Schilde hoch! Schilde! Schnellerer Rückzug! Bewegung!". Ein Blick nach hinten verriet ihm, dass seine Truppen schon weit genug weg waren, abgesehen von einigen Verletzten, die von ihren Kammraden und Kameradinnen gestützt wurden. "Freier Rückzug!", rief er darum. "Halt!", brüllte da auf einmal eine Stimme. Nenan drehte sich zum hundertsten Mal an diesem Tag, wie es ihm schien, doch diesmal -endlich- schien es sich zu lohnen.

Dort, an der Grenze des Waldes waren Pferde und Fußtruppen und an der Spitze der Gruppe ritten Lars und Juliette, wie Kriegsgötter, ihre zerrupften, wehenden Haare und blutigen Rüstungen von der Abendsonne vergoldet und in ein magisches Licht getaucht. "Halt!", rief Lars nochmals. "Koordinierter Rückzug! Kein freier! Wir halten Stellung und euren Rücken frei." Nenan nickte den Speerträgern zu. "Koordinierter Rückzug. Geht!". Sofort setzten sich die Truppen in Bewegung. Lars selbst stieg von Siegesstolz, sobald sich seine und Juliettes Leute ins Gefecht gestürzt hatten und drückte Nenan mit einem brüderlichen Handschlag die Zügel in die Hand. "Danke. Lars- Mortis.", sagte Nenan ernst und deutete in die Richtung der Burg. Lars nickte mit der gleichen Miene. "Ich weiß. Geh und hilf Justin. Er wird dich brauchen. Wir kommen gleich nach, wenn wir etwas Abstand zwischen euch und sie gebracht haben." "In Ordnung", antwortete Nenan.

Dann lief Lars zu seinen Kämpfern in die Rettungsaktion für Nenans Leute. Juliette und Nenans Blicke trafen sich, auch sie nickte und Nenan sah sie dankend an, während die Heerführerin Lars nachritt. In dem Licht des Abends sah sie wirklich aus, wie die größte Kriegerin aller Zeiten, aber wenn man genauer war, merkte Nenan, dass sie nicht gut aussah. Etwas hatte sie sehr mitgenommen. Da stupste ihn Siegesstolz an, und dann verlor Nenan keine Sekunde mehr und ritt zurück zu dem in Rauch versunkenem Mortis.

Anmerkungen der Autorin: 

Zum Schreiben der Kapitel hier höre ich meistens Musik. Am liebsten Two Steps from Hell Soundtracks. Wer ebenfalls gerne eine musikalische Begleitung zum Lesen hat, dem kann ich das nur weiterempfehlen. Dabei ist es ganz egal, welches Stück ihr von ihnen hört. Irgendwie findet es immer einen Weg, dazu zu passen. 

Und zu meiner Verteidigung: Ich hatte diese Kapitel schon lange fertig, aber bin nie dazu gekommen, es abzutippen, also entschuldigt, dass das letzte Woche nichts geworden ist, dafür ist es aber auch ein längerer Teil. =)

❄️Chel❄️

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt