Kapitel 43

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Anton Bredegard

Der Weg durch den Wald zurück war nicht ansatzweise so schwierig, wie der Weg hinein.

Sie hatten Oreni, Berain, Durand und Lahnol wie erwartet am Treffpunkt vorgefunden und waren gemeinsam los gegangen, um wieder ins Lager der Bevölkerung von Mortis zu kommen.

Anton hielt Theyn immer noch fest und half ihr über den Boden. Er war nicht mehr so fecht wie am gestrigen Tag, denn die Sonne des Herbsts hatte das Wasser verdampfen lassen und die noch vom Spätsommer trocken gewesene Erde hatte es gierig aufgesaugt, bis es schon lange genug gehabt hatte.

Nenan ging hinter Oreni, Lahnol und den beiden Geschwistern neben Chana her. Die beiden sprachen kein Wort miteinander, aber man konnte sehen, wie erleichtert sie waren. Zumindest Nenan, denn Anton kannte Chana nicht gut genug, um ihre Lauen einschätzen zu können. Tatsächlich hatte er sie nur vom Sehen her und von den paar Malen gekannt, wo Nenan Anton mitgenommen hatte, um mit seinen Freunden Zeit zu verbringen. Chana und Prinzessin Nadine hatten schon immer zu seinem engerem Freundeskreis gehört, aber dass Chana wirklich seine Freundin war, hatte Anton nicht gewusst. Er hatte um ehrlich zu sein nie verstanden, warum Chana immer mit Nenan und der Prinzessin unterwegs gewesen war. Vor allem weil sie relativ unscheinbar gewesen war, es war ziemlich offensichtlich gewesen, dass sie sich in großen Gruppen nicht wohl gefühlt hatte, wie, als hätte sie ein verborgenes Geheimnis tief in sich, von dem sie fürchtete, dass es jemand herausfinden könnte, wenn sie ihr Herz auch nur irgendwem Fremden öffnen würde. Also hatte sie es verschlossen gehalten, und Anton hatte nie die Chance bekommen, sich dem Trio aus ihr, Nenan und Prinzessin Nadine anzuschließen, geschweige denn Teil davon zu werden. So waren es immer nur Anton und Nenan geblieben, oder er war mit Lahnol herumgezogen, dem Boten, der früher unter Lars gedient hatte. All diese Gruppen, die unterschiedlichen Heere von Mortis, gab es nun nicht mehr. Sie waren jetzt alle nur noch eine große Gruppe, bestehend aus hundertvierundzwanzig Zivilisten, hundertachtzehn Soldaten, drei Heerführer, Goliardon und Berain und Durand.

Die aktuelle Gruppe, Nenan, Oreni, Lahnol, Berain, Durand, Chana, Theyn und Anton selbst kamen gut voran. Zumindest derweil, denn Theyns Verletzungen schienen immer schlimmer zu werden. Vielleicht hatte sie sich eine Infektion geholt? Was mit einem einfachen geknickten Knöchel angefangen hatte, war nun eine lange, tiefe Schramme, die ihr dieses Ding mit den Tentakeln verpasst hatte.

Anton hörte die blonde Frau unter seinem Arm aufstöhnen. "Alles okay, Theyn?" Theyn nickte nur, aber Schweißtropfen rannen ihr die Stirn hinab. Anton warf einen besorgten Blick zu Nenan, doch sein bester Freund sah ihn nicht an, sondern starrte auf den Boden. Anton hatte nur eine Sekunde lang nicht aufgepasst, als er plötzlich fast mit Theyn hinfiel. "Woah! Pass auf!", rief er, als er ihren gemeinsamen Sturz gerade noch verhindern konnte. Theyn allerdings antwortete nicht, sondern ließ sich auf den Boden fallen. "Ich... Ich brauch... Ich brauch eine Sekunde...", keuchte sie unter unregelmäßigen Atemzügen hervor. Chana und Nenan tauschten einen Blick und erstere ließ sich neben ihr auf die Knie sinken. Sie beäugte sie zuerst nur, dann legte sie der jüngeren Ritterin eine Hand auf die Stirn. Ohne Kommentar stand sie wieder auf. "Sie ist heiß", fügte sie hinzu, nachdem Nenan sie fragend angesehen hatte.

Berain und Durand traten hinter Nenan und Chana hervor. "Vielleicht können wir helfen. Wir sind ja Heiler." Chana runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Anton nickte. "Ja, sicher! Das ist doch großartig!" Berain lächelte, dann zog sie ihren Bruder zu Theyn auf den Erdboden. "Hi", sagte Berain leise und legte ihr ebenfalls eine Hand auf die Stirn. Durand zog den Stoff von Theyns Hosenbein hinauf und gab somit den Blick auf eine widerliche Wunde frei, wo das Tentakel ihre Wade aufgerissen hatte. "Da... Das hat sie mich erwischt", murmelte Theyn. "Sie?", fragte Nenan. Chana antwortete, ihre Stirn immer noch in Falten: "Die Listerin." "Ach, so heißt diese hässlich Gestalt?", fragte Anton. "Wir haben davon gehört. Wenn sie ihr Tentakel um einen schlingt, fährt sie Stacheln aus, die diesen ekeligen lila Schleim absondern", sagte Durand, während er Theyn einen Stiefel auszog. Berain nickte. "Dieser Schleim ist verdammt ätzend. Die Listerin versucht, das Opfer von innen heraus zu töten, und irgendwann bleibt von dir nicht mehr als ein Haufen Schleim übrig. Den saugt das Viech dann auf", fügte sie hinzu. "Ew!", machte Anton. "Das ist ja widerwärtig!"

Nenan sah an sich herab, seine Rüstung mit dem violettem Schleim bedeckt. "Na toll", murmelte er. "Keine Sorge", sagte Durand. "Du hast keine Wunde, also wird es dir nicht schaden. Sonst hätten wir schon was gesagt. Aber abwaschen solltest du es vielleiht schon." "Beim nächsten Fluss", versprach Nenan. "Aber jetzt helft Theyn."

Berain seufzte, dann legten sie und Durand ihre Hände auf die Wunde, sodass sie vollkommen von ihren Fingern bedeckt war. Anton sah skeptisch zu, aber er war fasziniert von dem Feingefühl, das die beiden aufbrachten, um Theyn zu versorgen. Die beiden Geschwister schlossen die Augen und Theyn sah etwas verängstigt zu. Auf einmal leuchteten die Stirn von Berain auf und Anton erkannte wieder das sonderbare Mahl, das er schon damals vor der Burg an ihr gesehen hatte. Es war das gleiche Zeichen, das die beiden Geschwister auch am Gürtel trugen. Ein Blick auf Durand reichte, um sehen zu können, dass auch er ein leuchtendes Mahl hatte, nur, dass es von seinem Stirnband bedeckt wurde. Berains Haarsträhne, die immer vor ihrer Stirn lag, rutschte zur Seite und gab den Blick auf das Zeichen frei. Der Kreis, umringt von Regentropfenformen, leuchtete hell und klar auf. Auf einmal sah Anton, dass auch die Handinnenflächen der beiden leuchteten.

Nenan, Oreni und Lahnol sahen gebannt zu, nur Chana schien unbeeindruckt wie eh und je, aber Anton war sich ziemlich sicher, dass auch sie innerlich staunte.

Der Moment war vorbei, ehe Anton ihn richtig genossen hatte. Die Geschwister lösten ihre Hände von Theyn und das Leuchten verblasste, löste sich auf, als wäre es nie da gewesen. Berain und Durand standen auf, und Durand wischte sich die Hände an seinem Gehrock ab. Er hatte beim Heilen von Theyns Wunde etwas von dem violettem Schleim auf seine Hände bekommen. Berain lächelte und half Theyn, sich aufzusetzen. Ihr Schweiß war immer noch da, aber es war keine neue Perle dazu gekommen. Erstaunt begutachtete sie die Wunde - es war nur noch eine violette, neue Narbe. "Wow....äh...danke", sagte sie und klang genauso überrascht, wie Anton sich fühlte und Nenan aussah. "Wow", wiederholte Anton. Die Geschwister winkten ab. "Das war doch kein Problem." "Eines verstehe ich nur nicht", sagte Nenan. "Wenn ihr so gute Heiler seid, wieso werdet ihr dann so.... verachtet? Der Sonnenbund, meine ich?" Durand seufzte. "Viele glauben, dass wir unsere Kräfte von bösen Göttern haben, dass wir für sie arbeiten, und dass wir denen, die wir zu heilen vorgeben, das Leben aussaugen." "Oh", sagte Anton und machte große Augen. "Okay." Theyn schmunzelte. "Also ich kann bestätigen: Sie haben mir nicht das Leben ausgesaugt."

Die Gruppe verfiel in Gelächter.

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt