Kapitel 21

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Chana

Als der dritte Tag, in dem Anton und Goliardon die Unterlagen des Sehers gesucht hatten, sich dem Ende zuneigte, waren Juliette, Justin, Chana und ihre Truppe bereits zurückgekehrt. Sie hatten einige Ressourcen mitgebracht, aber zu wenig Nahrung, um alle versorgen zu können. Die Verletzten und Kinder hatten natürlich Vorrang, und jeder, der noch stehen konnte, half, egal ob es um kochen, jagen, aufbauen, verteidigen oder versorgen ging. Natürlich gab es hier und da ein paar, die sich sträubten, aber man hatte keine Wahl- entweder man half, oder wurde aus dem Lager verstoßen. Und das zogen die Heerführer auch wirklich durch, denn sie hatten ohnehin von allem zu wenig. Natürlich mussten sie ihre Leute beschützen, aber wenn sie durch den Rest des Herbstes kommen wollten, konnten sie nicht alle durchbringen.

Auch Chana war das bewusst, und darum hatte sie eine strenge Fastenzeit vorgeschlagen, an die sich von nun an alle hielten mussten. Nur so konnten sie alle mit genug Essen versorgen. Chana hatte den ganzen Tag mit Juliette und Justin gejagt. Die Müdigkeit von dem Zwei-Tage-Ritt sah man ihr an. Dennoch war sie zum Verwundeten-Lager gegangen und gab dort gerade ihr Bestes, um den Kranken und Verletzten eine Hilfe zu sein. Die Zahl ihrer Leute schrumpfte von Tag zu Tag. Alleine heute waren sechs Patienten ihren Wunden erlegen. Chana wickelte gerade die letzte Bandage um den Arm eines jungen Soldaten. Er schlief. In der Ferne sah die Ritterin Heerführer Nenan Trolot, Justin Hendoras , ihre Anführerin Juliette Kerz und den Seher Goliardon an einem großen Lagerfeuer sitzen, irgendetwas bratend.

Chana wickelte lautlos weiter, bis sie auf einmal eine Stimme aufschreckte. "Hey, Chana! Sag mal, wie lange machst du das schon? Also gerade jetzt?". Als Chana sich umdrehte, sah sie den Ritter Anton Bredegard, der aus Trolots Gruppe war. Die Dunkelhaarige antwortete tonlos: "Zwei Stunden." Der Blick des Ritters blieb gleich. Es war offensichtlich nicht in seinem Interessensbereich. "Hast du vielleicht eine merkwürdige Frau gesehen? Sie hat ziemlich... unritterliche Kleidung getragen." "Es gibt viele Dorfbewohnerinnen hier.", sagte sie trocken. Das war also das, was ihn wirklich interessierte. Um ehrlich zu sein freute sich Chana ein wenig, dass sie dem Ritter nicht weiterhelfen konnte. Es war nichts Persönliches zwischen ihr und Anton, aber sie konnte weder seinen sogenannten Humor, noch seine nicht vorhandenen Strategiefähigkeiten leiden. Er gab allerdings nicht so leicht auf. "Ich weiß, ich weiß. Aber sie ist ganz anders. Sie hat langes, schwarzes Haar, einen langen Rock, aber vorne ist er nicht ganz so lang, wie hinten. Und sie trägt Armschützer. So was macht keine normale Dorfbewohnerin!," rief Anton hastig und hibbelig zugleich. Chana durchsuchte ihr Gedächtnis, konnte aber nichts finden. "So eine ist mir nicht begegnet.", bemerkte sie abwesend. Ihr Gegenüber machte einen enttäuschten Ausdruck, dann seufzte er. "Dann muss ich sie wohl selbst suchen." Ja, sollte er auch! Vielleicht machte er sich dann endlich mal nützlich.

Ehe der Ritter noch etwas hinzufügen konnte, wurde ihm das Wort abgeschnitten. "Ihr sucht Berain?", mischte sich ein Mann ein, den Chana nie zuvor gesehen hatte. Er sah nicht aus, als würde er nach Mortis gehören. Eilig legte sie ihre Hand an einen ihrer Dolche. Sie musterte ihn abschätzend und neugierig. Auch er hatte dunkles Haar, sonnengebräunte Haut, und eben genau den Rock, den Anton ihr zuvor so lächerlich erklärt hatte. Chana fiel ein, dass man es Gehrock nannte. Anton hatte wirklich einen geringen Wortschatz.

"Du!", rief er gerade, offenbar kannte er den Fremden. "Du bist doch der Typ, der mit ihr gelaufen ist, oder? Bist du ihr... Ehemann?" "Nein", sagte der Mann und klang dabei angewidert und belustigt zugleich. "Berain ist meine Schwester. Und ich bin Durand. Euren Namen weiß ich ja schon, Herr Anton. Ich danke Euch vielmals, dass Ihr meine Schwester gerettet habt! Sie ist dort hinten, kommt, wenn Ihr mit ihr reden möchtet!" Chanas Interesse war geweckt und so folgte sie den beiden. "Sie ist wach?", fragte Anton verwirrt. "Bei guter Gesundheit und hellwachem Verstand!", meinte ihr Bruder. Chana hätte einige Fragen an den merkwürdigen Fremden, aber sie redete nicht gerne, schon gar nicht mit Leuten, die sie nicht kannte. "Woher seid Ihr überhaupt? Ihr seht nicht aus, als würdet ihr hier in der Gegend aufgewachsen sein.", sprach Anton aus, was Chana gedacht hatte. "Nein, wir sind nicht von hier.", sagte Durand so fröhlich, wie es wohl ging.

Das Trio ging an einigen Reihen aus provisorischen Betten und Matratzen entlang, bis sie weiter hinten am Ende des Krankenlagers angekommen waren. Dort erblickte Chana die Frau, die Antons Beschreibungen entsprach - zumindest zum Teil. Ihr Rock war genau gleich, wie der ihres Bruders, ihr Haar schwarz wie Tinte mit langen, wilden Stirnfransen mit einem leichten Blauton darin und tatsächlich trug sie die Armschützer, die Anton erwähnt hatte. Damit hatte Chana ehrlicherweise nicht gerechnet. Die Augen der Frau waren geschlossen, bis die Gruppe sich ihrem Lager näherte. Chana bemerkte, dass ihr Arm verbunden war.

"Berain! Wie fühlst du dich? Ich habe dir einen Gast mitgebracht, Sunny!", rief Durand laut und setzte sich auf den Boden zu ihr. Er legte behutsam einen Arm auf ihre Schulter. Die Frau sah zuerst ihn, dann den Rest, der sich um sie aufgestellt hatte, an. "Ich fühle mich ganz in Ordnung, dank diesen Heilern, die hier überall herum laufen. Hast du... uns vorgestellt?", fragte sie schließlich zaghaft. Durand nickte. "Zum Teil. Nicht alles. Nur unsere Namen." , antwortete der Mann leise. "Gut." Da schob sich Anton neben Chana durch und stellte sich vor die beiden Geschwister. "Hallo, ich bin Anton Bredegard, ihr kennt mich vielleicht schon, vielleicht auch nicht, aber ich bin jedenfalls ein Ritter von Mortis, dem Land, in dem ihr gerade seid, und dessen Untergang ihr zeitgleich miterleben durftet!" Chana versuchte, nicht laut aufzustöhnen. In was für ein schlechtes Licht wollte er Mortis denn noch stellen?

Ehe sie sich beschweren konnte, was sie aber gar nicht einmal vorgehabt hatte, fing Anton schon an, die beiden Neulinge auszufragen. "Woher seid ihr beiden also?", stellte er gleich die erste Frage. Durand und Berain sahen sich kurz an, dann antwortete Letztere, ohne den Blick komplett von Durand zu wenden: "Wir sind, äh, aus dem Osten." Der Ritter schien zu grübeln, auch Chana überlegte kurz. Im Osten gab es nichts Interessantes für Mortis. natürlich konnten die beiden Geschwister auch einfach lügen. Falls sie überhaupt verwandt waren. "Und was... Was hat euch hier her geführt?".

Durand lachte kurz trocken auf.

"Das, mein lieber Freund, ist eine lange Geschichte."

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt