Kapitel 29

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Chana Kaufff

Chana erwachte ruckartig. 

Das Erste, was sie vor sich sah, war etwas Rotes.

In ihrem Erwachen hatte sie nur kurz gezuckt, vielleicht war das aber eine ausreichend kleine Bewegung gewesen, um ihre Wachen -falls es welche gab - im Ungewissen zu lassen, dass sie wach war. Chana hielt weiterhin still, als sie vorsichtig noch einmal die Augen öffnete. Wieder dieses rote Etwas. Und es war nass. Angewidert blickte sie das an, was ihr die Sicht versperrte. Doch da, irgendwo hinter dieser roten Wand, war auch etwas Helles - Licht. Chana versuchte durch zu spähen, sah aber nichts. Wahrscheinlich war es eine Augenbinde. In einer hoffentlich unauffälligen Geste bewegte sie ihren Kopf langsam zur Seite, wie als würde sie sich in einem Traum auf die Seite drehen. Nur ein kleines Stück noch... 

Endlich rutschte die Augenbinde zur Seite, weg von ihrem Gesicht. Chana verharrte in ihrer Position, ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. War sie nun aufgeflogen? Die Ritterin traute sich kaum zu atmen. Doch es blieb still. Chana lauschte angestrengt. Sie vernahm ein stetiges Klackern, wie Metall, oder Kupfer, das aneinander prallte, wie eine zufällige Berührung. 

Chana wollte am liebsten tief Luft holen, doch da das nur noch mehr Aufmerksamkeit erregt hätte, begnügte sie sich mit einem flachen Atemzug. Dann wagte sie es: Langsam öffnete sie ihre Augen - nur eine kleine Spaltbreite, so dass sie den Raum sehen konnte. 

Als erstes erkannte Chana, dass sie sich in einem Zelt befand. Der Stoff, der die Behausung bildete war grau - wahrscheinlich war er früher weiß gewesen- aber der Innenraum war überraschenderweise sehr gemütlich gestaltet. Auf dem Fußboden lag ein roter Teppich mit eingewebten Mustern. Zwei Matratzenlager waren aufgebaut und mit Decken und Kissen aufgebettet. Ein paar abgebrannte Kerzen standen auf dem Boden. Daneben lagen zwei Gegenstände, die sie überall wiedererkennen hätte können - ihre beiden Dolche. Ein Nachtkästchen war an der Zeltwand, wo sich auch der Eingang befand. Davor stand ein Stuhl und darauf - darauf saß jemand. Erschrocken schloss Chana wieder die Augen. Sie hielt die Luft an, schon rechnete sie damit, dass dieser Jemand aufstehen und ihr die Kehle durchscheiden würde oder aber sogar etwas Schlimmeres. 

Doch es geschah nichts dergleichen. Chana hob wieder ganz langsam ihre Lider, um die Person besser mustern zu können. Die Ritterin erkannte, dass es eine der beiden Frauen war, die sie und Theyn beobachtet hatten, als sie im Gebüsch gehockt hatten, unwissend, dass es sie gewesen waren, die in eine Falle getappt waren, und nicht die Gestalt, die sie in Mortis gesehen hatten. Wie einfach doch die Beobachter zu den Beobachteten werden konnten.

Die Frau hatte dunkles Haar, aber Chana konnte nicht einschätzen, wie lange es war, denn sie trug ein schwarzes Tuch auf dem Kopf, das nur ihren Haaransatz und einige einzelne Locken zeigte. Ihre Augen waren ebenso dunkel und sie trug goldene Ohrringe. Ihr Gewand war dunkelblau mit einigen roten und goldenen Ornamenten. Als Chana genauer hinsah, bemerkte sie, dass die Frau Nadeln in der Hand hatte - sie häkelte friedlich neben Chana her.

Chana überlegte fieberhaft, wie sie sich aus dieser Lage befreien könnte.

"Und? Gefällt dir so sehr, was du siehst, oder eher die Tatsache, dass du noch sehen kannst?", fragte plötzlich jemand. Chana kam nicht umhin, die Frau anzusehen. Sie wusste, dass sie wach war und sie beobachtete! Verdammt! Chana beschloss, dass es nichts bringen würde, weiterhin ihren Schlaf vorzutäuschen.

"Wo zur Hölle bin ich?", fragte sie darum und richtete sich auf der Matratze auf. Die Frau sah sie nicht an, sondern häkelte weiter. "Du bist in Sicherheit", sagte sie. Chanas Augen wurden schmaler. "Wer bist du?", fragte sie, da sie schnell merkte, dass diese Frau ihre vorherige Frage nicht beantworten würde. Chana war keine Person, die lange nachhackte, wenn sie wusste, dass sie etwas nicht bekommen würde.

Endlich unterbrach die Frau ihr Häkeln. Sie seufzte und sah Chana an. Sie hatte freundliche, große Augen. Chana musterte sie von oben bis unten, bis sie ihr antwortete. "Mein Name ist Sakria. Was ist deiner?" Chana sagte nichts. Sie war doch nicht so dumm, sich einfach so austricksen zu lassen! Vor allem konnte diese Sakria sie auch einfach belügen, falls sie überhaupt so hieß. "Wo ist meine Gefährtin?", fragte Chana stattdessen. Sakria lächelte sie an. "Keine Sorge, ihr geht es gut. Ihr seid beide in Sicherheit."

Chana schälte sich aus der Bettdecke und stand auf. Auf dem Boden sah sie die Augenbinde, die sie vorher getragen hatte. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie blutgetränkt war. Chana widerstand dem Drang, sich an den Kopf zu fassen, um zu prüfen, ob es ihr eigenes Blut war. Die Ritterin holte Luft, dann sagte sie: "Du wirst mich jetzt zu meiner Begleiterin bringen!" Sakria rührte sich nicht von der Stelle. "Leg dich wieder hin", befahl sie. "Du bist noch verletzt. Meine Schwester hat dich hart am Kopf getroffen." Ihre Schwester also. Chana machte sich eine Notiz im Kopf. Auf einmal kam ihr eine Idee. Sie schielte unauffällig zu ihren beiden Dolchen hin, die neben den Kerzen standen. Chana tat, wie Sakria es verlangt hatte und setzte sich wieder auf das Bett. Doch dieses Mal hatte sie einen Plan.

"Möchtest du noch etwas wissen? Vielleicht möchtest du ein Glas Wasser?" Chana nickte langsam. Sakria schenkte ihr ein breites Lächeln, stand auf, raffte sie ihren dunkelblauen Rock und ging zum Nachtkästchen in der Ecke. Ihr Rücken war Chana zugedreht.

Chana überlegte kaum eine Sekunde, sprang vom Bett und schnappte sich ihre Dolche vom Boden. Sakria drehte sich um und erstarrte. Das Glas mit Wasser in ihrer Hand begann zu zittern. Trotz dessen meinte sie ohne jegliche Furcht in der Stimme: "Du brauchst keine Angst zu haben, Ritterin. Wir wollten und werden dir nichts tun! Und auch deiner Begleiterin nicht". Ihre Stimme begann zu schwanken. "Aber, Ritterin, wenn du noch einen Schritt näher kommst, dann rufe ich die Wachen!" Chana schnaubte. "Wenn du das versuchst, erreicht mein Dolch schneller deinen Hals, als du schreien kannst, Hexe. Das Einzige, was man dann noch hört sind deine zerfetzten Stimmbänder", antwortete Chana kalt.

Sakrias Hand wanderte langsam zu dem Nachtkästchen. "Wag es ja nicht!", fauchte Chana, doch die andere Frau bewegte ihre Hand weiter. Chana lief auf sie zu und im selben Moment rief Sakria nach den Wachen. Chana zögerte keine Sekunde, packte Sakria und zog sie in eine Zeltecke. Von draußen stürmten Wachen herein, zwei bewaffnete Männer. Eine weitere Frau war bei ihnen - die, die Chana und Theyn verfolgt hatten, Sakrias Schwester. Jetzt im Licht konnte Chana sehen, dass sie ebenso dunkles Haar hatte aber silberne Rüstung trug und ihr Haar zu einem unordentlichen Zopf gebunden war, aus dem viele gelöste Strähnen fielen. Ihre Augen waren schmaler und definitiv unerfreuter.

"He!", rief die Frau, die Sakria eigentlich so gar nicht ähnlich sah. "Lass sie los, oder ich mach deine Freundin hier zu Brei!" Ein weiterer Soldat schleppte Theyn hinein, die atemlos auf das Messer starrte, das man ihr an die Kehle hielt. Chana drückte ihren Dolch fester an den Hals von Sakria. "Lasst meine Gefährtin los, dann wird dieser hier" - sie deutete mit einem Nicken auf Sakria - "nichts geschehen!"

"Hör auf sie, Dorofie!", rief Sakria. "Wir müssen hier kein Blutbad anrichten!" Ihre Schwester - Dorofie - verzog das Gesicht, und zog Theyn zu sich. Theyn keuchte auf, als Dorofie sie an die Wand schob. "Lass meine Schwester los, Ritterin! Oder deiner Freundin hier wird Schlimmeres widerfahren!" Chana schnaubte und zog als Antwort darauf fester an Sakrias Arm.

"Ich warne dich, lass sie los oder ich scheide ihr den Hals auf!", brüllte die Frau namens Dorofie und Theyn zog hörbar die Luft ein. Chana rüttelte an Sakria. "Ich werde dieses Zelt jetzt verlassen - mit ihr und meiner Begleiterin, oder ihr werdet es bitter bereuen." "Du wirst es bereuen!", rief die Frau abermals. "Ich werde keine Minute mehr warten!" "Das Selbe gilt für mich!", brüllte Chana aufgebracht. "Schon gut, Dorofie!", meinte Sakria. "Sie wird mir nichts tun. Lass das Mädchen los." Sie deutete mit dem Kopf leicht zu Theyn. Dorofie verzog das Gesicht, aber ließ die Eliteritterin endlich gehen. Theyn schnappte nach Luft, als sich endlich die Klinge von ihrem Hals löste. Eine rote, schmale Schrammen war an der Stelle, wo sie beinahe verletzt worden war.

"Und jetzt Ria!", rief Dorofie. Chana ging langsam, mit Sakria als Schutzschild nach vorn zu Theyn. Sie nickte ihr zu und die andere Frau erwiderte es. Sie wusste, was der Plan war, hoffte Chana. Die Ritterin kam näher an Dorofie heran, langsam. Schließlich ließ sie Sakria los. Dorofie musterte Chana argwöhnisch. Chana verzog keine Miene.

Dann, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, rannten Theyn und Chana aus dem Zelt.

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt