Kapitel 14

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Chana Kaufff

Als Heerführerin Kerz das Laken ihres Zeltes aufschob, stürzte sich Chana direkt an ihre Seite. "Der Bote ist da", sagte sie. Ihre Herrin nickte, dann drehte sie sich zu Lars um. Ein fragender Blick lag auf ihrem Gesicht. "Die Truppen sollen sich fertig machen", antwortete er.

Dunkle Ringe langen unter seinen Augen und Chana fiel auf, dass er leicht humpelte, so leicht, dass es den anderen wahrscheinlich gar nicht aufgefallen war. In derselben Sekunde bogen Eton, Lahnol und ein weiterer Ritter um die Ecke und steuerten auf das Trio zu. "Heerführerin Kerz, Heerführer Prence, der Bote wartet". Die unausgesprochene Bitte, sich zu beeilen, lag in der Luft. Juliette sprach sie aus. "Kommt, bewegen wir uns. Wir sollten sie nicht reizen". Mit diesen Worten sprang sie auf Raklagon, ihr Pferd, auf und trabte in Richtung Fluss. "Da hat sie Recht. Kommt." Auch Lars bestieg sein Pferd und ritt ihr nach. Chana und der Rest der Truppe taten es ihr nach. Chana spürte ihre Nervosität.

Als sie am Fluss ankamen, bemerkte die Ritterin, dass der Himmel dunkler geworden war. Es war das typische Wetter vor dem Gewitter. Ein einzelner Orgale stand an dem Treffpunkt, den sie ausgemacht hatten. "Ich wittere eine Falle", flüsterte Juliette leise Lars zu. Der Blick des Angesprochenen wurde härter. "Bleib ruhig", sagte er, wie so oft auch. Der Orgale, der auf sie wartete, hatte ein rotes, zerfetztes Gewand an, eine zarte Narbe auf der Nase und ein blaues und ein braunes Auge. Er war einer der größeren Rasse der Wesen und überragte Juliette um einige Zentimeter. Chana und Lars allerdings waren größer als er. Chana richtete sich in ihrem Sattel auf, um noch größer zu wirken.

Lars stieg von seinem Reittier ab und drückte Lahnol die Zügel in die Hand. "Seid gegrüßt", sagte er. Die Skepsis in seiner Stimme war unüberhörbar. "Wir freuen uns, dass ihr euch kooperativ zeigt". Der Orgale öffnete den Mund. Seine Stimme klang, wie man sich vorstellen könnte, wie ein Schwein oder eine Kröte sprach, eine grunzende Art sich auszudrücken. Sein Lothorianisch hatte einen starken lorianischen Akzent, also von dem Land, das ebenfalls Lothoria hieß, obwohl das auch der Name der ganzen Welt war. Keiner wusste, wer sich solchen Schwachsinn ausgedacht hatte.

"Ah, ja, ja, kooperativ...Ich bin Zentiol, der-" "Lars Prence. Das ist Juliette Kerz. Wir sind die Heerführer". "Ja, schön, ich war noch nicht fertig. Ich bin Zentiol, der Bote des Heerführers. Er wird in ein paar Minuten da sein". Juliette warf Lars abermals einen kritischen Blick zu. "Sie schicken den Boten des Boten- Den Boten des Heerführers und lassen uns warten. Das gefällt mir nicht...", schnaubte sie verächtlich, aber leise genug, damit der Orgale es nicht hören konnte. "Hab Geduld...", antwortete Lars, aber man hörte, dass er ebenfalls misstrauisch war.

Der Orgale lächelte plötzlich und seine spitzen Zähne wurden dadurch sichtbarer. Chana starrte ihn an, während Juliette und Lars abermals eine verwirrte Miene tauschten. Der Blick des Wesens traf Chanas, sie hielt den Augenkontakt. Irgendwann hörte das Etwas auf zu lächeln.

Auf einmal erschien eine dunkle Wolke, mitten am Feld, auf dem sie standen, vor der Gruppe. Raklagon wieherte, dann bäumte er sich auf. Lars' Pferd und die anderen Tiere taten es ihm gleich. "Ruhig, Raklagon!", befahl Juliette gestresst. "Ruhig!". Der Hengst gehorchte ihr aufs Wort, anders als Siegesstolz. Auch Chana und Lahnol hatten Schwierigkeiten ihre Pferde zu halten. Chana brach den Blickkontakt mit dem Orgale ab, um Jula, ihre Stute, zu bändigen. Doch der einzige Reiter, der sein Pferd unter Kontrolle hatte, war Juliette. Raklagon schnaubte nur noch. Chana schwankte immer mehr auf ihrem Reittier. "Jula! Bleib ruhig! Verdammt, bleib!". Doch Jula konnte sich nicht halten.

Chana wurde hart ins Gras geworfen. "Ah!". "Chana! Alles in Ordnung?". Juliette trabte zu ihr hin. "Mein Arm...Es geht schon", sagte sie trocken, als Lahnol ihr aufhalf. Jula ritt einige Meter davon, Siegesstolz hinterher, der sich ebenfalls losgerissen hatte. "Siggi!", rief Lars seinem Hengst nach. Siegesstolz drehte sich um, schnaubte, blieb dann aber störrisch stehen. "Guter Junge.", sagte Lars mit einem zufriedenen Nicken.

Der Wind wurde stärker und der Orgale lächelte plötzlich wieder. Juliette sah zu Lars, der Wind zerrte an dem Haaren aller Beteiligten. Die Angst in den Blicken der Heerführerin war so deutlich wie nie zuvor. "Was geschieht hier?", fragte sie mit zittriger Stimme. "Es ist alles in Ordnung, Juliette. Juliette, sieh mich an. Es ist alles in Ordnung". Die Heerführerin atmete tief durch und blinzelte die Tränen weg, die ihr in die Augen getreten waren.

"Jetzt verliert sie den Verstand", dachte Chana bei sich, nicht, weil es böse gemeint war, sondern weil sie wusste, dass Juliette teuflische Angst vor Magie hatte, am meisten dunkler, denn der Großteil ihrer Familie war in einem nahegelegenen Dorf von Schwarzmagiern getötet worden. Keiner hatte überlebt. Chana ging zu ihr hin, traute sich aber aus Respekt nicht, ihrer Vorgesetzten eine Hand auf die Schulter zu legen, als Zeichen, dass sie da war, auch, obwohl Chana eigentlich etwas gegen Berührungen hatte.

Der Wind schien ihnen einen Streich spielen zu wollen, oder war es vielleicht doch Magie? Chana würde keine Zeit mehr haben, sich das zu fragen, denn in dem Moment, als sie Luft holte, um dem Orgale zu sagen, dass sie nicht so dumm waren, sich hier zu Tode zu warten, und ihm dann wüste Beleidigungen an den Kopf zu werfen, schwebte eine dunkle Woge aus Rauch -Vielleicht die Wolke, die sie so in den Wahnsinn trieb?- auf den Boden, nein, etwas manifestierte sich! Wie in Zeitlupe erschien eine große, schwarze Kreatur in ihrer Mitte und Chana war sich plötzlich sicher, dass sie die Luft, die sie eben noch eingeatmet hatte, um einen Orgale zu beschimpfen, nie wieder ausströmen würde.

Sie war sich sicher, dass sie Luft überhaupt nie wieder brauchen würde.

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt