Kapitel 23

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Anton

Endlich hatte er sie gefunden. Das Mädchen mit dem sonderbaren Mahl auf der Stirn. Und sie hatte sogar einen Bruder. Ob er auch mit diesem leuchtenden Zeichen gesegnet war? War es überhaupt ein Segen?

Die beiden Geschwister hatten erzählt, dass ihr Zuhause vernichtet worden war, und sie auf der Flucht waren, beziehungsweise nach anderen Leuten aus ihrem Dorf suchten. Ihre Erzählungen waren teilweise wirr und ergaben an manchen Stellen keinen Sinn, wahrscheinlich weil beiden immer noch etwas traumatisiert von dem Angriff waren. Sie hatten nichts von dem Überfall bemerkt, bis sie von ihren Nachbarn gewarnt und zu einem sicheren Fluchtweg gebracht worden waren. Dieser Weg hatte sie zur Ebene von Mortis geführt. Und das war genau zu dem Zeitpunkt der Schlacht gewesen! Als sie beide verletzt worden waren, hatte Anton Berain mitgenommen und so war Durand nichts anderes übriggeblieben, als ebenfalls nach Mortis zu gelangen. Die beiden hatten sich versprochen zusammen zu bleiben.

Anton hatte sie noch nicht auf das leuchtende Zeichen angesprochen, denn er wollte sie nicht verschrecken. Er selbst kannte sich nicht aus mit Magie. Natürlich war er ständig umgeben von der übernatürlichen und gleichzeitig normalen Kraft, aber nur in Form von Zauberern, Magiern, Hexen und natürlich der verdammten Prophezeiung.

Dieser verdammten Prophezeiung.

Die Heerführer hatten sich von Anton überreden lassen, die beiden in Mortis bleiben zu lassen. Beziehungsweise in dem, was noch übrig war. Dafür mussten sie natürlich auch mithelfen, keine Frage. Weil sie aber nicht zu Mortis gehörten, waren vor allem Juliette und Nenan misstrauisch, was die Loyalität der Geschwister betraf.

Generell war die Stimmung nicht gerade behaglich. In den letzten paar Tagen hatte es immer weniger Freiwillige für die Arbeiten außerhalb des Lagers gegeben.

Die Leute hatten Angst und das war auch nur natürlich. Auch Anton hatte Angst, auch wenn er das nie vor den Heerführern zugeben würde, vielleicht vor keinem außer Nenan. Nenan erzählte er alles. Er war sein bester Freund und ehrlich gesagt war er manchmal durchaus neidisch auf Nadine gewesen, wenn sie sich, ohne ein Wort zu sagen, mit Nenan ausgetauscht hatte. Ein Blick hatte gereicht und schon hatten sie Welten getauscht. Er erinnerte sich an das Lied, das Nadine stets gesungen hatte, wenn sie alle zusammen in der örtlichen Taverne gehockt waren. Er, Nenan, Nadine und Chana, manchmal auch Justin. Lars war nie dabei gewesen. Er war ein viel zu pflichtbewusster Vater gewesen, es hatte nichts gegeben, was ihn von dem gemeinsamen Abend mit der Familie abhalten hätte können.

Nichts außer dem Tod natürlich...

Anton schob die dunklen Gedanken zur Seite. Er wollte jetzt nicht über die Schlacht reden, oder über Mortis' Fall.
Lieber nicht.

Es war später Mittag und der Ritter ging - wie eigentlich immer in letzter Zeit - seinem Pflichten nach. Heute war es eine einfache Aufgabe. Anton musste Essensrationen verteilen. Gut, um ehrlich zu sein war es keine leichte Aufgabe. Sie hörte sich nur leicht an. Denn das Problem war, wie folgte: Manche waren einfach nicht zufrieden, beschwerten sich, dass es zu wenig oder zu widerlich war. Ehrlicherweise war Anton egal, was sie dachten. Er machte hier nur seinen Job und mehr interessierte ihn auch nicht.

Gerade schob er ein Stück Fleisch auf das Lagerfeuer des provisorischen Küchenlagers. In einem riesigen Topf brodelte heiße Suppe und daneben stapelte sich Geschirr aus Schüsseln, Bechern und Löffeln. Goliardon saß auf einem Stein neben dem Topf und rührte merkwürdig riechende Kräuter hinzu. Anton war sich nicht mal sicher, ob der Seher selbst wusste, was er da rein gab. Goliardon war manchmal einfach unergründlich...

Anton fokussierte sich wieder auf die Schale vor ihm, in die er, mit einem großen Löffel, etwas von Goliardon Suppe hineinleerte. Ein paar einsame Karotten und Kürbisstücke schwammen in der Wasserlacke aus dünner Suppe. Anton rümpfte die Nase, dann reichte er die Schüssel an den Mann vor ihm weiter. Er bedankte sich nicht dafür, also würdigte Anton ihn keines Blickes.

Anton nahm einen neuen Kelch Suppe und schüttete die Brühe in den nächsten Teller. Goliardon murmelte etwas Unverständliches, während er etwas in den Topf warf.

"Was ist das da überhaupt?", fragte Anton ihn und deutete auf ein oranges Ding, das an der Oberfläche schwamm.
Als Goliardon nicht antwortete, rief Anton seinen Namen. Der Seher richtete sich plötzlich auf, sah Anton an und sagte: "Oh, Anton, verzeih, ich bin heute sehr... in Gedanken versunken." Anton nickte. "Merkt man. Gibt es etwas, das Euch bedrückt?" Goliardon zuckte mit den Schultern und Anton teilte weiter Suppe aus. "Hm", machte der Seher. "Weißt du, die Gerüchte..." "Gerüchte?", fragte Anton erstaunt. Es gab ehrlicherweise sehr wenig Gerüchte in Mortis. Natürlich, die meisten kursierten um die königliche Familie und die Heerführer, aber das waren verhältnismäßig wenige, wenn man das zum Beispiel mit den Gerüchten in Aleria oder Niersbach verglich.

"Ich wusste nicht, dass es Gerüchte hier gibt", wiederholte der Ritter noch mal.
Goliardon sah ihn erstaunt an. "Sag bloß, man hat es dir noch nicht erzählt!" "Was denn?" "Nicht einmal Nenan?", hackte der Seher weiter nach. "Ja, wenn du mir sagen könntest, was man mir hätte sagen müssen, dann könnte ich dir auch erklären, ob ich weiß, was ich wissen sollte!"

Goliardon sah zwar etwas verwirrt aus, aber nickte. "Ja, wahrscheinlich. Also. Die Heerführer befürchten, dass unsere... alten Angreifer sich noch einmal blicken lassen wollen." Anton riss die Augen auf. "Was? Wirklich? Die? Hier?" "Anscheinend", erwiderte Goliardon.

Anton runzelte die Stirn, während er einen Teller einem kleinen Mädchen und ihrem Vater reichte. "Aber... Warum sollten sie das tun? Und warum erfahre ich das erst jetzt?" Goliardon zuckte mit den Achseln. "Vielleicht ist da noch was, Anton..." "Wie viel schlimmer kann es denn jetzt noch kommen?", fragte Anton mit einem verzweifelten Seufzen.

"Hm", machte der Mann. "Weißt du, manche von uns glauben, dass wir einen - oder mehrere - Verräter unter uns haben. Und manche denken, dass es deine beiden Freunde sind - Berain und Durand."

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt