Kapitel 28

3 1 0
                                    

Juliette Kerz

Der Morgen blühte in aller Form.

Juliette ging gerade um die Ecke ihres Zeltes, als sie fast mit Nenan zusammenstieß. Eigentlich war sie gerade eher aufgebracht, wegen Justins Aktion, sie aufzuwecken, aber als sie etwas sagen wollte, bemerkte sie, dass Nenan wirklich schlecht aussah. "Nenan?", fragte sie. "Was... was ist denn los?" Ihr fiel auf, dass er seinen Bogen auf den Rücken geschnallt hatte. "Nenan?" Ihre Stimme wurde auf einmal unsicher, ängstlicher. "Wohin willst du denn!?", rief sie ihm nach, als Nenan ihr auswich und sich eine Antwort ersparte. Juliette griff nach seinem Arm. "Hey, jetzt sag doch was!" Nenan drehte sich zu ihr um. In seinen Augen spiegelte sich eine ungewohnte, lodernde Emotion. "Feuer", dachte Juliette.

"Ich werde sie suchen gehen, Juliette. Ich werde sie finden." "Was? Wen?" "Na, wen wohl!", rief Nenan. "Ich muss Chana finden! Und Theyn!" "Was? Aber du kannst doch nicht einfach weglaufen! Sie könnten überall sein und sie haben einen Vorsprung von zwei Tagen und Nächten!" "Na und?", antwortete er entschlossen. "Ich muss sie finden, Juliette. Du verstehst es nicht." "Nein, ich verstehe das ganz und gar nicht! Wenn du vielleicht einmal erklären könntest, was bei dir los ist, dann könnte ich vielleicht die Möglichkeit haben, es zu verstehen!"

"Was ist hier denn los?", fragte auf einmal Anton, der mit Oreni und Lahnol auf die beiden Heerführer gestoßen war. Juliette zögerte, dann aber sah sie die Entschlossenheit in Nenans Augen und meinte: "Nenan will einfach weglaufen!" "Weglaufen!", sagte Nenan. "Ich will Chana und Theyn nach Hause bringen." "Du verstehst es wohl nicht ganz!", konterte Juliette. "Es gibt kein zu Hause mehr! Wir haben Mortis verloren! Wir haben fast alles verloren! Und darum können wir uns nicht auf einzelne Personen fokussieren! Nenan..." Juliettes Stimme wurde leiser. "Wir haben nicht mehr viel. Das müssen wir beschützen. Das, was wir noch haben, bevor wir auch das verlieren."

Nenan reagierte nicht, doch irgendwann schloss er die Augen. Oreni und Lahnol tauschten einen verwirrten Blick. Nur Anton schien einen kühlen Kopf zu bewahren. Dann endlich brach Nenan das Schweigen. "Juliette. Ich weiß das. Ich weiß das sehr genau. Und du wirst nicht verstehen, wenn ich dir das jetzt sage. Juliette, Chana ist das Einzige, was ich noch habe." "Was?!", fragte Juliette ungläubig. Auch Anton riss die Augen auf. "Du bist... Ihr seid ein Paar?", fragte er. Nenan gluckste. "Das ist definitiv das Letzte, was wir sind. Nein, wir sind kein Paar. Ich sagte doch, ihr werdet es nicht verstehen." "Dann erkläre uns doch endlich, was es damit auf sich hat!" Nenan ging ein paar Schritte zurück. "Ich kann nicht. Ich habe versprochen, es niemandem zu verraten."

Juliette zog die Augenbrauen zusammen. "Aber Nenan... Wir sind jetzt deine Familie. Und wir müssen zusammen halten. Von mir aus brauche ich nicht zu wissen, worum es geht, solange du hier bleibst. Wir brauchen dich hier." Nenan schüttelte den Kopf, dann sah er ihr in die Augen. "Juliette, du hast Angst. Und das haben wir alle. Aber du, du bist stark genug für Mortis hier. Du und Justin, ihr seid genauso stark. Es gibt aber einen Zeitpunkt, an dem ihr lernen müsst, für euch selbst stark zu sein. Nicht nur für Mortis, Nicht nur für Mortis' Leute. Für euch selbst. Und, Juliette... dieser Zeitpunkt ist jetzt. Ihr müsst es schaffen - Ihr werdet es schaffen. Auch ohne mich. Du hast gesagt, ihr braucht mich und damit hast du vielleicht Recht. Aber Chana braucht mich auch. Und Chana hat keinen Justin, der auf sie achten wird. Du hast Justin und er hat dich. Aber Chana und Theyn - sie haben niemanden. Aus diesem Grund werde ich dieser Jemand sein müssen." Nenan seufzte, dann sagte er: "Mach's gut, Juliette. Mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut."

Juliette standen Tränen in den Augen, als Nenan sich zu ihr beugte und sie sanft umarmte. "Es wird alles gut. Ihr schafft das", flüsterte er leise. Juliette schniefte, sagte aber nichts. Nenan löste sich von ihr, dann sah er Anton an. "Oh, nein, Kumpel", meinte der Ritter. "Vergiss es. Ich werde dich sicher nicht allein gehen lassen." Er nickte langsam, dann schlich sich ein Lächeln auf seine Gesichtszüge. "Schließlich braucht Theyn auch jemanden." Nenan lächelte gequält. "Du bist ein guter Freund, Anton." Anton nickte, dann sagte er mit ernsten Augen: "Ich weiß." Oreni und Lahnol wechselten abermals einen Blick. In einer feierlichen Geste zog Oreni ihr Schwert. "Wo Ihr hin geht, gehe ich auch hin, mein Heerführer", sagte sie und lächelte. Lahnol nickte. "Das Selbe gilt für mich. Ich habe lange zu Euch aufgesehen. Ihr seid ein Mann, dem ich folgen will."

Nenan nickte. "Wenn ihr beide das möchtet, dann nehme ich euch gerne mit. Aber es wird vielleicht ein gefährliches Unterfangen. Nur, dass ihr gewarnt seid." Oreni und Lahnol tauschten ein Lächeln. "Wir sind absolut bereit."

Juliette seufzte. "Und da stehe ich nun allein", murmelte sie. Anton wollte ihr auf die Schulter klopfen, überlegte es sich im letzten Moment aber anders. "Nicht mehr lange", sagte er stattdessen." "Gut", sagte Nenan. "Dann schlage ich vor, dass wir uns in einer Stunde am nördlichsten Punkt des Lagers treffen. In Ordnung?" "Alles klar." "In Ordnung."

Anton nickte Nenan zu, dann lief er voller Enthusiasmus los. Oreni und Lahnol folgten ihm in einer langsameren Geschwindigkeit. Nenan tauschte noch einmal einen Blick mit Juliette. "Vielleicht wirst du es irgendwann verstehen. Jetzt aber geht es für dich um Mortis." Die Heerführerin antwortete nichts darauf, sondern sah ihn nur müde an.

Schließlich brachte sie doch etwas heraus.

"Viel Glück, Nenan. Ich hoffe, du findest sie. Aus welchen Gründen auch immer. Ich hoffe es wirklich." Nenan nickte. "Auch dir viel Glück, Juliette. Du wirst es brauchen."

Sie nickte. "Wir alle werden es brauchen."

Nenan nahm ihre Hand. Juliette schüttelte sie.

"Bis irgendwann, Nenan."

"Bis irgendwann, Juliette. Bis irgendwann."

ENDE DES DRITTEN TEILS

~

Leute, Leute, Leute. Was denkt ihr, hat Nenan wohl zu verbergen? Und was hat das mit Chana zu tun? Wir werden es alle zusammen herausfinden - im nächsten Teil von SB. Aber zuerst: Danke. Danke, dass ihr mich so liebevoll beim Schreiben begleitet. Danke. Ich liebe euch. ❤️

Einen wunderschönen Tag und auf dass ihr alles zurück bekommt, was ihr mir hier für Freude schenkt. 

Chel

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt