Kapitel 32

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Nenan Trolot

Sie waren eine weitere Zeit lang durch den Wald gegangen, als sie endlich den ersten Hinweis auf Leben - abgesehen von ihnen natürlich- trafen. Nenan sah sie zuerst - die mittelgroßen, flachen Fußspuren, die in den feuchten Boden getreten worden waren. Nenan hielt die Gruppe an, dann zeigte er auf die Erde. "Hier sind Spuren", sagte er leise. "Dann können sie nicht weit sein!", rief Anton. "Was hat das denn damit zu tun?", fragte Lahnol, aber er bekam keine Antwort. Nenan richtete sich auf. "Wir müssen sowieso leiser sein. Wenn wir weiterhin so herumtrampeln, dann verlieren wir unsere größte Verbündete: Die Überraschung." Oreni und die Geschwister nickten. "Dann wollen wir mal...", murmelte Durand und die Truppe setzte sich in Bewegung. 

Oreni schmunzelte, dann sagte sie: "Ein Glück, dass es in letzter Zeit so viel geregnet hat. Sonst hätten wir sie nicht so leicht gefunden." "Vielleicht wären sie dann aber auch gar nicht erst verschwunden!", antwortete Nenan mit einem Seufzen. Der Heerführer, die drei Ritter und die beiden fremden Geschwister liefen den Spuren weiter nach, immer tiefer in den endlos scheinenden Wald laufend. Nenan hatte nicht einmal gewusst, dass er so groß war. Nenan hörte, wie Oreni leise Lahnol zuflüsterte: "Meine Stiefel drücken schon gegen meine Fersen... Ich hätte wirklich die anderen nehmen sollen..." Lahnol gluckste. "Wahrscheinlich schon. Aber ich spüre gar nichts." "Du hast auch Füße wie ein Berserker", meinte sie leise und Lahnol lachte, bis Nenan ihm einen bösen Blick zu warf. "Wir müssen leise sein!", flüsterte er ihnen zu. Lahnol wurde zögerlich wieder ernst, Oreni schien augenblicklich für immer verstummt zu sein. Die beiden Geschwister tuschelten leise und Anton schien so fasziniert von dem Blätterdach zu sein, dass er gar nichts von dem Gespräch mitbekommen hatte. 

Nenan führte die Gesellschaft tiefer in den Wald, bis er endlich auf etwas Neues stieß. Es waren Geräusche, die aus der Mitte einer Lichtung kommen zu schienen. Nein, keine Geräusche. Klänge! Jemand spielte ein Instrument! Es war eine kraftvolle, melodische Blockflöte, die ein lautes Lied spielte. Nenan hob seine Hand, zum Zeichen, dass seine Gefährten still und stehen bleiben sollten. Nenan ging in die Hocke und bewegte sich langsam vorwärts. Schließlich gelang es ihm, eine Stelle zu erreichen, an der die Büsche mehr Durchblick auf die Szene erlaubten. 

Als er durch sah, erblickte er einen großen Mann, der auf der Flöte spielte, die er gehört hatte. Um ihn herum saßen ein paar Leute im Gras, ihm lauschend. Es waren zwei, nein drei weitere Männer, sowie vier Frauen. Eine von ihnen - eine kleine Dunkelhaarige - stand etwas abseits von dem Spektakel. Ein Mann hatte einen Arm um eine der Frauen gelegt und die beiden wiegten hin und her beim Lied der Flöte. Die anderen saßen alle im Gras. Sie alle trugen kampftaugliche Kleidung, meistens in schwarz oder grau, mit blau, grün oder gold verziert. Nenan wollte schon fast den Blick abwenden, als ihm eine weitere Frau ins Auge fiel - Nein, keine Frau, ein Mädchen! Sie war vielleicht fünfzehn Jahre alt, hatte braunes Haar, dunkeln Augen und eine Stupsnase. Sie trug ein gelbes, prunkvolles Kleid, hatte sich auf ihren Ellbogen aufgestützt, und lauschte der Musik, während ihre nackten Füße im feuchten Gras einen eigenen Takt zu dem Stück des Flötenspielers gefunden zu haben schienen. Nenan runzelte die Stirn. Warum war sie hier, bei diesen Leuten, die doch offensichtlich Kämpfer waren? War sie das Kind eines Paars? Oder war sie entführt worden, wie Chana und Theyn vielleicht? 

Nenan legte seine Stirn noch mehr in Falten, dann aber drehte er sich zu seinen wartenden Freunden um, die ihn erwartungsvoll ansahen. "Und?", formte Anton lautlos mit den Lippen. Nenan nickte, dann winkte er sie alle her. Oreni bedeutete den Geschwistern zu warten. Die beiden tauschten einen Blick, protestierten aber nicht. Berain verzog einfach das Gesicht und ihre Augen folgten Anton, als er und die zwei anderen Ritter zu Nenan schlichen. Lahnol spähte durch das Geäst. Nenan tat es ihm noch einmal gleich. Das Mädchen richtete sich auf. Auf ihrem Ring blitzte etwas. Nenan kannte es... Es war das Wappen von Mortis! Plötzlich drehte sie sich in Nenans Richtung - und sah ihn direkt an. Nenan schrak zurück, so schnell wie er konnte schob er seinen Kopf aus dem Sichtfeld des Mädchens. Wieso war ihr Blick ihm so vertraut, so wie der Griff seines Schwerts, wie das Rascheln seines Umhangs? 

Er bemerkte erst, dass Anton ihm etwas sagen wollte, als der Ritter leise seinen Namen rief. "Nenan! Nenan bis du okay? Ist alles klar?" Nenan schüttelte den Kopf. "Ich glaube das Mädchen hat mich gesehen!" Oreni, die am nächsten bei ihm stand, blickte ihn fragen an. "Wo?" Nenan lehnte sich atemlos gegen deinen Baumstamm. "Sie sitzt ganz vorne, braunes Haar, gelbes Kleid. Und sie sieht nicht so aus, als würde sie hier her gehören..." Oreni sah zu dem Flötenspiel zurück. "Ich sehe da nichts." "Sie sitzt im Gras, ganz vorne." Nun beugte sich auch Anton hinüber. "Nenan, da ist kein Mädchen." Nenan stöhnte auf, dann sah er selbst noch einmal nach. "Sie sitzt ganz vorne im Gras und hört -" 

Aber da war wirklich kein Mädchen.  

Nenan riss die Augen auf. Die anderen sahen ihn besorgt an. Er konnte es nicht wirklich glauben. Sie war doch genau dort gesessen, dort... dort wo das Gras unberührt war und nur ein einzelner Schmetterling sich hin verirrt hatte. 

Nenan kroch zurück und lehnte seinen Kopf an den Baum. 

Wurde er jetzt verrückt?

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt