Kapitel 46

0 0 0
                                    

Anton Bredegard

Anton war genervt. Ziemlich genervt. Natürlich hatte er die Arschkarte gezogen und saß hinter Nenan im Sattel. Nicht, dass er was gegen Nenan hatte, nein, er war sein bester Freund, aber - verdammt - war er stur! Anton löcherte ihn schon seit sie aufgebrochen waren mit Fragen. Bisher hatte er jedoch kaum eine befriedigende Antwort gegeben. 

Also löcherte Anton weiter. 

"Also... Nadine steht - stand auf Frauen?", fragte er zum zehnten Mal. Nenan seufzte. "Hat sie darum ihr Recht auf den Thron abgelegt? Aber jetzt Mal ganz ehrlich, sie und Chana?! Da hätte jeder andere - jede andere- besser zu ihr gepasst. Sogar Theyn!" Theyn drehte den Kopf. Sie ritt hinter den beiden hinter Chana im Sattel und sah ungefähr so zufrieden aus wie Anton. Chana war anscheinend auch nicht sehr gesprächig. Sie sah zu Boden und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Theyn zeigte auf Anton. "Hey! Lass mich da bloß raus! Ich und die Prinzessin?! Vergiss es. Kommt nicht mal in Frage." Anton hob abwehrend die Hände. "Okay, sorry!" Er drehte sich wieder zu Nenan um, der plötzlich sagte: "Wenn du vielleicht flüstern würdest, wäre es einfacher, nicht alle Anwesenden zu stören." "Du sprichst?!", fragte Anton überrascht. Nenan rollte mit den Augen. "Schon seit meinem zweitem Lebensjahr, Dummkopf." "Na dann kannst du mir sicher meine Fragen beantworten." Er hörte Nenan noch einmal seufzen. "Und was habe ich davon?" Anton lachte auf. "Du bist mein bester Freund", antwortete er. "Du hast doch nie was Positives von mir!", behauptete Nenan. "Dafür sind beste Freunde doch da - um einander auf die Nerven zu gehen", sagte der Heerführer mit einem Schmunzeln. "Jetzt klau nicht meine Sprüche!", rief Anton empört. "Das habe ich immer gesagt!" "Dann halte dich mal daran." Nenan schüttelte seinen Kopf. Sein Haar war wirklich länger geworden, seit sie Mortis verteidigt hatte, fiel Anton auf. Aber irgendwie... irgendwie stand es ihm. Es verlieh Nenan ein wilderes Aussehen, sodass er nicht mehr wie der brave, kalte Heerführer aussah, der er sonst gewesen war. 

"Also", fragte Anton noch einmal, diesmal leiser. "Chana und Nadine..." "-waren ein Paar, ja", schloss Nenan. Seine Miene verdunkelte sich. Es machte ihm immer noch zu schaffen, über die tote Prinzessin zu sprechen. "Und du fragst das...weil?" "Naja..." Anton rückte im Sattel herum. "Naja, sie wirken auf mich... wirkten auf mich nicht gerade wie ein Traumpaar", sagte Anton. Nenan gluckste. "Oh, du hast die beiden nicht erlebt, mein Freund." "Das stimmt", räumte der Ritter trocken ein. "Sie haben mich ja auch nicht gelassen. Chana war immer so... verschlossen. Ich meine, das ist sie jetzt immer noch." "Sie war nur vorsichtig. Übervorsichtig. Außer mir und ein paar wenigen Eingeweihten hat das ja auch keiner gewusst, das mit den beiden." "Also nur das ist tatsächlich der Grund, warum Nadine ihren Thron aufgegeben hat?" "Nur?" Nenan drehte sich im Sattel zu ihm herum. "Was heißt da 'nur'?" Er drehte sich wieder nach vorne, schloss die Augen und seufzte. Anton war sich sicher, dass er gerade wieder einmal einige Erinnerungen durchlief. Wahrscheinlich Erinnerungen an Chana und Nadine, als der Tod die beiden noch nicht getrennt hatte. 

"Weißt du, Anton..." Nenan hatte die Augen wieder geöffnet. "Liebe ist niemals nur ein 'nur'. Ich... Ich denke nicht, dass ich wusste, was Liebe war, bevor ich Chana und Nadine zusammen gesehen habe. Ich bin als Waise aufgewachsen, als Knappe habe ich weiter gemacht, bis zum Rittertitel und zum Heerführer. Aber in all dieser Zeit habe ich keinen gehabt, der mich geliebt hat. Bis ich Nadine getroffen habe. Ich habe sie geliebt wie eine Schwester, und sie hat mich geliebt wie einen Bruder. Aber Chana... Chana hat sie anders geliebt. Sie hat sie geliebt wie das Leben selbst, mehr noch. Und Chana wusste das. Und am Anfang hat es ihr Angst gemacht. Sie hat Nadine angefleht, nicht ihr Leben als Königin für sie weg zu werfen. Natürlich wollte sie auch nur das Beste für Naddie, aber stur wie Nadine war, hat sie nicht auf Chana gehört. Sie wollte ein Leben mit Chana, und das war alles was sie wollte. Kein Leben als Prinzessin, oder gar als Königin. Keine siegreichen Schlachten oder heroische Worte und Momente. Nur Chana. Aber, Anton, das Leben kann einem reinscheißen. Und darum sind die beiden heute nicht zusammen unterwegs. Das Leben hat sie enttäuscht. Nadine hat Chana geliebt, aber ihre Pflicht ist immer vor gegangen, das hatte sie Chana versprechen müssen. Nur dieses eine Mal, dieses eine Mal, als sie ihren Titel als Kronprinzessin abgelegt hat, hat sie in Liebe zu Chana gehandelt. Chana hat das fertig gemacht, aber es hat sie sie nur noch mehr lieben lassen. Wenn du mich früher gefragt hättest, was Liebe ist, hätte ich dir irgendetwas vor geschwafelt. Aber wenn du mich jetzt fragst, dann sage ich dir: Was Chan und Naddie hatten, das war es. Das war pure, reine und wahre Liebe. Und so etwas findest du kaum ein zweites Mal in dieser schönen, gebrochenen Welt. Also schätze, was du hast. Schätze all die Liebe, die dir gegeben wurde, und all die Liebe, die du gibst. Du bist der glücklichste Mensch auf der Erde, wenn du die andere Hälfte von dir gefunden hast, und damit meine ich nicht etwas so banales wie einen Seelenverwandten - das ist nur, als würdest du einen verlorenen Zwilling finden. Aber Liebe, Liebe ist als würdest du die andere Seite deines Herzens finden. Also verdammt nochmal, wenn du die eine für dich gefunden hast - oder es zumindest denkst - dann sprich mit ihr, verdammt nochmal. Denn zweite Chancen bekommst du im Leben nicht." Nenan wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. "Du bekommst keine zweite Chance, Anton." Erst jetzt sah Anton, dass Nenans Stimme tränenerstickt war und seine Augen glasig waren. Er schluckte hart. 

Danach fragte Anton nichts mehr nach. Er kam aber nicht umhin, verstohlene Blicke zu Chana zu werfen. Er konnte sie sich kaum glücklich vorstellen, in den Armen der Prinzessin. Aber es war wahr, denn in ihren Augen schien etwas zu fehlen. Nein, nicht in ihren Augen. Die zweite Hälfte ihres Herzens fehlte. 

Anton schluckte erneut hart, dann schielte er zu Berain. In seinem Kopf hallte Nenans Stimme nach. "Wenn du die eine für dich gefunden hast - oder es zumindest denkst - dann sprich mit ihr, verdammt nochmal. Denn zweite Chancen bekommst du im Leben nicht." Anton atmete tief durch, aber irgendetwas in ihm hielt ihn zurück. Vielleicht mochte man keine zweiten Chancen bekommen, aber vielleicht war seine erste Chance noch gar nicht nahe. Vielleicht ritt sie nicht gerade einige Meter von ihm entfernt neben ihrem Bruder. 

Vielleicht... 

Vielleicht war das noch nicht seine Chance. 

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt