Kapitel 22

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Justin

Justin Hendoras, Nenan Trolot, Juliette Kerz, Goliardon Briz, und Chana Kauff saßen gemeinsam auf zwei dicken Eichenstämmen. Beide Hölzer bildeten einen rechten Winkel um das Lagerfeuer, das in ihrer Mitte brannte. Die Fünf waren zuerst still gewesen, bis Goliardon nach Nenans Befinden gefragt hatte. 

"Ich bin in Ordnung", antwortete der Heerführer und schob sich eine dunkle Haarsträhne aus seinem fast genauso dunklen Gesicht. Justin konnte auch von seinem Platz gegenüber von Nenan sehen, dass er definitiv nicht in Ordnung war. Dunkle Ringe um seine Augen zeugten von schlaflosen Nächten, oder Träumen, in denen er Nadine wieder gesehen hatte. Inzwischen hatte er es jedem der Heerführer erzählt, dass er sie sprechen hörte. Justin wusste nicht recht, was davon zu halten war. Auch Chana schien trauriger als sonst zu wirken, obwohl Justin das nicht einmal für möglich gehalten hatte. Sie hatte begonnen sich selbst vor Juliette zurück zu ziehen, obwohl sie sie nun noch mehr gebraucht hätte, jetzt, nach dem Tod von Eton, Juliettes zweitem Berater. Justin selbst hatte und brauchte keinen Berater, wie er selbst immer sagte. Vielleicht aber würde es einmal trotzdem so sein. Irgendwann würde auch er eine Schulter brauchen, einen Arm oder eine Hand, die ihm aufhalf. 

Chana sah zu Boden und Justin sah, dass sie mit etwas Glitzerndem spielte, das in ihrer Hand lag. Oder waren das nur die Tränen, die sich in ihren Augen zu sammeln begannen schienen?

Wahrscheinlich täuschte er sich. Sie alle waren müde, jeder von ihnen trug Narben und Wunden mit sich. Nicht unbedingt nur physische. 

Justin sah zu dem Lagerfeuer, das diesem am Nächsten war. Darum saßen Anton und seine Kindheitsfreundin Theyn Leyfastan sowie die Geschwister Berain und Durond. Auch der Bote Lahnol, der früher Lars' Heer angehört hatte, saß bei ihnen. Oreni Linn, eine weitere Ritterin aus Lars altem Gefolge, stand gerade auf, um sich einen Schlafplatz zu suchen. Sie hatte sich das plantinweiße, kurze Haar nach hinten gekämmt, sodass es in leichten Wellen aus ihrem dunklen Gesicht verlief.

"Habt ihr... Habt ihr noch Erinnerungen an... davor?", fragte Juliette und brach damit das Schweigen. Justin sah zu ihr hoch. Auch sie sah erschöpft aus. "Ja. Du nicht?", antwortete er leise. "Doch...", sagte sie zerknirscht, "Aber ich erinnere mich nur noch dunkel an manche Orte. Zum Beispiel an die Taverne. Ich..." Es war so still wie lange schon nicht mehr. Nur das Feuer prasselte und auch das schien sich zurückzuhalten, als wollte es den Moment der Stille nicht zerstören. "Ich erinnere mich an den Geruch. An die dunkeln Wände und an das Licht. Und ich erinnere mich an die Geräusche. An die Lieder, die wir... die Nadine dort gesungen hat. Kann... Weiß jemand überhaupt noch den Text?" 

"Sollte sich keiner mehr erinnern", dachte Justin, "dann werden sie in Vergessenheit geraten sein. Wie so vieles, in diesem wunderbaren Land, das nie wieder aufblühen wird."

"Denn wenn der Wind am Feuer lacht... der Abend findet sich ein. 

Zu guter Speis', zu gutem Tank...", murmelte Nenan leise.

"Im hellen Feuerschein", schloss Justin. Es war seine liebste Zeile gewesen. Immer dann hatten alle begonnen, laut mit zu klatschen.

"Erzählt der Wind von Mann und Maid, von allen Ländern weit und breit, und bietet dir sanfte Wärme, in den Geschichten der alten Sterne. Er singt vom wilden Kind im Wald, das niemals sitzt und nie wird alt, das wartet auf den ersten Tag im Juli-Sonnenschein, bis es, nach langen Jahre, endlich findet Heim."

Es war Chana gewesen, die stille, mürrische Chana, die den Text schneller gesprochen hatte, als es je einer Nadine hatte singen hören. Alle, bis auf Nenan, blickten zu ihr hoch. Chana sah das glitzernde Etwas an ihrer Hand an. Ein Ring, mit einem gelben Wappen, wie Justin erkennen konnte. Die Frau sah auf, bemerkte, dass sie alle an sahen. Schnell verbarg sie ihren Blick am Boden und ihren Ring unter ihren Händen. Sie zitterten. 

Justin warf Juliette einen Blick zu. Sie erwiderte ihn, genauso verwirrt wie er. 

"Wie viele Strophen kannst du noch?", fragte Justin erstaunt Chana. 

"Ein paar", war ihre Antwort.

"Wie viele?", hakte Justin schnell nach.

"Fünf", sagte sie leise. 

Fünf. Das Lied hatte vier Strophen, soweit Justin das wusste. Er sah Nenan an, der ebenfalls auf den Boden blickte und das schon eine ganze Zeit lang. "Wie viele kannst du, Nenan?", fragte Goliardon. "Vier", sagte Nenan. Auf einmal stand Chana auf, kerzengerade und schnell. Sie drehte sich um und ging, ohne ein weiteres Wort. "Chana! Wohin gehst du?", rief Juliette ihr noch nach, doch die Ritterin antwortete ihrer Vorgesetzten nicht. Nenan richtete sich auf. Auf Justins fragenden Blick hin sagte er: "Ich folge ihr. Gute Nacht." Ein Chor aus "Gute Nacht" und "Schlaf gut" ertönte, bis Nenan im Schatten aus Nacht und Nebel verschwunden war.

"Ich sollte mich auch schlafen legen", meinte Goliardon. "Vergesst nicht das Feuer, Justin, Juliette." Juliette nickte. "Werden wir nicht. Träum gut, Goliardon." "Einen erholsamen Schlaf, ihr zwei" meinte der Seher und verschwand in die entgegengesetzte Richtung wie Nenan.

Juliette nahm ihren Umhang von den Schulter und zog die Beine an. Sie wickelte sich in den dottergelben Umhang, als wäre er eine Decke. "Meinst du, dass es je wieder wird wie früher?", fragte sie zögerlich. Justin bemerkte, dass sie nur noch zu zweit waren, also antwortete er ihr ehrlich. "Ich... Ich denke nicht. Aber das muss nicht unbedingt etwas schlechtes sein. Vielleicht gibt es ja auch Positives bei all diesen neuen Dingen." Er rückte näher an sie heran, um die Kälte zu lindern, die förmlich sichtbar war, denn der Frost des jungen Winters kroch die alten Blumen und Blätter hinauf und erfüllte die Luft mit dem eisigen Vorgeschmack des nächsten Morgens. 

Juliettes Blick begegnete seinem. Sie zuckte mit den Achseln. "Gerade scheint alles Neue schlecht zu sein", murmelte sie. Justin schenkte ihr ein Lächeln, oder versuchte es zumindest, denn es schmolz bei dem Anblick der Traurigkeit, die in ihren Augen lagen. 

Ein Gefühl überschwappte ihn wie eine Welle aus Wasser mit der Farbe ihrer Augen. Es hatte etwas Erstickendes und obwohl sich das wohl unangenehm anhören musste, fühlte es sich merkwürdig gut an. Er merkte, dass auch Juliette ihn ansah, dann lächelte sie schmal. "Na gut, vielleicht ist nicht alles, was neu ist, schlecht." Sein eigenes Lächeln wurde breiter, ihres schelmischer. "Nein, vielleicht nicht. Aber wir können es ja heraus finden." "Gemeinsam", meinte Juliette und es war weniger eine Frage, als eine Feststellung, aber Justin antwortete ihr trotzdem.

"Gemeinsam."

Nicht ich, die ein ganzes Kapitel über Juliette und Justin schreiben wollte und dann einfach Nadines Lied einbaut und es plötzlich die Show stiehlt *zh*

Aber danke fürs lesen, und ja, es hat ewig gebraucht, um mich aus der Schreibblockarde zu ziehen, aber hey, immerhin gibt es 1k Reads bei SB!!!!! DANKE nochmal Leute, ihr seid die besten!

GLG Chel

Lothoria: Schwarzes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt