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Davis lag die gesamte Nacht wach. Ein Sturm tobte umdas Haus und warf dunkle Schatten in das Zimmer. Die Vorhänge waren beiseitegezogen und so konnte er die nackten Äste einer alten Eiche sehen diebedrohlich hin und her wankte. Die Blister lagen auf dem Nachttisch, das grelleWeiß schien ihn höhnisch anblitzen zu wollen. Er drehte sich auf die Seite, sodasssein Gesicht der Wand zugewandt war, doch auch das brachte ihn nicht wirklichweiter. Schizophrenie. Er kannte seine Diagnose bereits, seit er einkleines Kind war. Der Name klang bedrohlich doch die Krankheit hatte vieleGesichter und war so vielfältig ausgeprägt das es ihm unmöglich machte dasgesamte Spektrum in einem einzigen Gedanken zusammenzufassen. Er hörte Stimmen,sah manchmal Gesichter und Dinge, die nicht da waren. Die Stimmen waren jedochnicht böse und erschienen ihm oft in Form von Personen, die er gekannt hatteund die entweder noch lebten oder schon lange tot waren. Sein Schmerzempfindenwar verändert. Davis hatte oft eine Art Nebel im Kopf, der es ihm unfähig machte,einen klaren Gedanken zu fassen oder eine Situation zu realisieren. Ob das derKrankheit selbst, den Tabletten oder der damit verbundenen Schlaflosigkeitgeschuldet war, wusste er selbst nicht. Er hatte sich gut damit arrangiert, undschließlich einen Vorteil in den ganzen Nachteilen gefunden. Der fastübermenschliche Drang zur Perfektion. Das schmerzhafte Ziehen in seiner Brustmit all den Gesichtern, die um ihm herum aufflackerten, wenn er nur eineneinzigen Fehler machte. Es war unerträglich. Dennoch war es genau dieserSchmerz und dieser Drang, der ihn in diesem Sport so gut werden ließ. Und ihnschließlich zur Medaillenhoffnung von West Virginia machte. Obwohl ihm dieBewunderung der Zuschauer und die Aufmerksamkeit der Medien schmeichelte,machte es für ihn nur umso schwerer sein Geheimnis zu wahren. Davis Baker dieOlympiahoffnung, der Nachwuchsstar im Eiskunstlauf der gleichzeitig an einerunheilbaren psychischen Erkrankung mit psychotischen Episoden litt. Er wälztesich erneut im Bett umher, während der Sturm dicke Regentropfen in schnellerAbfolge an das Fenster peitschen ließ. Es war ein Teufelskreis, sein Drang nachPerfektion. Seine nie stillenden Selbstzweifel. Die Aufmerksamkeit der Medienwar wie eine Droge. Sie ließen ihn besser werden. Bunter. Präsenter. Schneller.Doch hinter der schillernden Fassade einer Scheinwelt der Fernsehauftritte undgelegentlichen roten Teppiche, gewonnenen Pokale, herrschten abgrundtiefe Schatten,die ihn jedes Mal zu verschlingen drohten, wenn er sein Gesicht vom Antlitz derWelt abwandte. Davis starrte auf einen Schatten an der Wand der sich unterseinem wachsamen Blick zu verformen begann. Eine Hand schälte sich aus derDunkelheit heraus und glitt langsam über die Raue Faserung der Tapete. Die Handhielt einen langen schmalen Gegenstand und schien direkt auf ihn zu deuten. Ihmstockte das Herz. Die Hand schien immer näher zu kommen. Sein Herz in seinemBrustkorb flatterte wild herum wie ein Vogel der in einen zu kleinen Käfiggesperrt worden war. Die Tür öffnetesich mit einem leisen Quietschen und er fuhr erschrocken herum, bis sein Gehirnseine Schwester erkannte und die echten leisen Schritte auf dem dicken Teppichvon denen in seiner Vorstellung unterscheiden konnte. „Du bist es nur." Seufzteer erleichtert und rückte ein Stück zur Seite, um seiner Schwester Platz machenzu können. „Hast du jemanden anderen erwartet?" Fragte sie scherzhaft, wohlwissend das es so war. Davis ging nicht darauf ein. Stattdessen hob ereinladend die Decke ein Stück zur Seite das sie zu ihm darunter schlüpfenkonnte. Seine Schwester legte sich dankbar neben ihn, eine Zeit lang lagen diebeiden Geschwister Stirn an Stirn im Bett und lauschten dem Sturm vor demFenster. Kaceys dunkle Haare, die seinen so ähnlich nur viel länger waren,kitzelten ihm in der Nase und er musste niesen. „Mensch Kac." Schniefte er.„T'schuldigung." Seine Schwester lachte leise auf, band sich ungelenk ihreHaare zu einem Zopf und rückte enger an ihren Bruder heran. Draußen tobte nochimmer der Sturm ums Haus, ein greller Blitz zuckte auf. Ein lautesDonnergrollen folgte. Sie zuckte zusammen. „Ich fasse es nicht das du ehrlichimmer noch Angst vor Gewittern hast. Wie alt bist du? Drei?" Neckte er sie undzwickte ihr spielerisch in den Arm. Sie protestierte. „Gewitter sind für jedennormalen Menschen unheimlich." „Für mich nicht." Gab er zurück, rutschte aufder Matratze ein Stück höher und schloss die Augen. „Ich habe gesagt fürnormale Menschen." Neckte sie ihn. „Ooh Touché." Danach schwiegen sie lange.Kacey zuckte bei jedem Donnergrollen zwar zusammen, doch er tat ihr denGefallen und sagte nichts. Auch nicht als sie nach seiner Hand tastete. Etwasdas sie zuletzt als Kind getan hatte. Er würde es ihr gegenüber zwar nichtzugeben, aber er war sehr froh, dass über ihr Auftauchen. Nicht etwa wegenAngst vor Gewittern, sondern eben, weil seine Sinne ihm wieder mal einenStreich spielten. „Was ist?" Murmelte Davis irgendwann, der förmlich spüren konnte,wie die Blicke seiner älteren Schwester auf ihm brannten. Müde öffnete er dieAugen. Kacey strich ihm die Haare aus der Stirn und drückte einen Kuss darauf. „Ichhabe dich heute in der Halle gesehen, dein Training war toll." „Danke. Deinsauch. Aber du starrst mich sicherlich nicht seit geschlagenen zehn Minuten an,um mir zu sagen, wie toll ich bin." „Oh Gott." Sie verzog peinlich berührt denMund. „Das hast du gemerkt?" „Habe ich nicht, war geraten. Aber gut zu wissendas es stimmt." Er grinste sie im halbdunkel des geöffneten Rollos frech an.Sie schnaufte empört, schien sich aber geschlagen zu geben." „Rück raus mit derSprache." Meinte er nun schon deutlichungeduldiger. „Nun gut." Er konnte förmlich hören, wie seine Schwester sicheinen Ruck gab. „Du weißt doch das Jonathan und ich uns gemeinsam dieses großeHaus gekauft haben? Letzten Sommer? Und ich hatte gesagt das ich erstmal nichteinziehen werde, um weiter bei Mom und dir zu bleiben und zu trainieren." „Ichdachte ihr hättet Streit und das war der Grund, warum du nicht eingezogenbist?" Gab Davis argwöhnisch zurück. „Ja das auch." Sie wand sich unbehaglichund schlug die Decke ein wenig weiter zurück. „Ist eine lange Geschichte undkompliziert, den Grund dafür würdest du eh nicht verstehen. Auf jedenfallshaben wir das geklärt. Sozusagen." Er hob beide Brauen an und schaltete daskleine Licht am Nachttisch an, um seiner Schwester besser in die Augen sehen zukönnen. „Ihr habt sozusagen einen Streitgeklärt, und deswegen ziehst du sozusagen bei ihm ein? Muss ja was Wichtiges sein,wenn ihr euch so in den Haaren liegt, deswegen. Ist er dich deshalb in all der Zeit hier nicht einmal besuchen gekommen? Oder ist es, weil er mich nicht leiden kann?" Er hatte den letzten Satz im Scherz sagen wollen, was misslang, weil ihm klar war das da vermutlich mehr als nur ein Fünkchen Wahrheit dransteckte. Bereits bei seinem ersten Besuch, als er den Verlobten seiner Schwester kennengelernt hatte, hatte dieser ihn sonderbar angestarrt und sich seltsam verhalten. Davis, dem das Verhalten reichlich unhöflich und unsympathisch erschien, hatte ihn seitdem gemieden. Sie schüttelte empört mit dem Kopf. „Wir haben geredet lange. Wir wollen das das klappt mit uns. Die Verlobung aufrechtzuhalten. Zusammenziehen und irgendwann heiraten. Wir haben beschlossen diesen Streitpunkt zwischen uns beruhen zu lassen, es ist eine alte Sache und ändern wird sich an unseren gegensätzlichen Überzeugungen nichts daran. Aber sag so etwas nicht, Jonathan ist ein guter Mann er hat nichts gegen dich. Immerhin bist du mein Bruder." „Was nicht automatisch bedeutet das er mich mögen muss." Erinnerte er seine Schwester daran. „Was auch immer es ist, ich bin in diesem Streit auf jeden Fall auf deiner Seite." Verkündete Davis entschieden, löschte das Licht und legte sich wieder hin. Seine Schwester lächelte zwar und drückte ihm dankbar die Hand doch in die Augen sehen konnte sie ihm nicht. „Also ziehst du praktisch wieder zu ihm? Immerhin habt ihr vor der Verlobung zusammengewohnt." Für Davis war Kaceys Auszug damals ein Schock gewesen, wenn auch nicht unerwartet. Seitdem wachte ihre Mutter nur noch strenger über seine Karriere, hatte ihren gut bezahlten Bürojob in der Stadt aufgegeben und war seine Managerin und Terminkoordinatorin geworden. Davis ließ sich das alles gefallen, weil für ihn nichts wichtiger auf der Welt war als das Eiskunstlaufen. Obwohl es ihm manchmal schwerfiel, wusste er im Grund seines Herzens das seiner Mutter sein Wohl wichtig war, wenn auch nicht so wichtig wie seine Performance auf dem Eis. Bis vor wenigen Monaten als seine Schwester diesmal unerwartet auf der Matte gestanden hatte und im selben Atemzug ihre Verlobung und ihren neuerlichen Einzug verkündete. Mit 32 war sie eigentlich zu als dafür wieder bei ihrer Mutter zu wohnen und Davis der immer gewusst hatte das seine Schwester nicht lange bleiben würde, tat das dennoch weh. Was ein Umzug nach West Virginia für ihre Karriere bedeutete, war beiden klar. Er hatte genug hitzige Gespräche zwischen seiner Mutter und Schwester mitanhören müssen, auch wenn erstere es immer noch nicht zu akzeptieren schien. „Ich habe dich heute beim Training gesehen. Du kannst den tripple Axe immer noch nicht." Neckte er sie leise. Seine Schwester lächelte unter Tränen. „Das Eiskunstlaufen war immer ein Traum gewesen", Sehnsucht schwang in ihrer Stimme mit", ich habe nur nie realisiert das es auch nie mehr als das Bleiben würde. Mir fehlt alles, was du hast." „Das ist nicht wahr. Du bist gut." Widersprach Davis energisch. „Ja gut, aber das werde ich auch immer bleiben." Kacey verstummte für einen Moment und schwieg während draußen ein Donner knallte und der darauffolgende Blitz das gesamte Zimmer in einem grellen weiß erleuchten ließ. „Ich habe heute mit dem Trainer gesprochen. Ich werde das Eislaufen an den Nagel hängen." Davis wollte protestieren, doch er tat es nicht. Er schwieg und nahm die Hand seiner Schwester. „Ich wünsche dir nur das Beste für deine Zukunft Kac." Seine leise Stimme klang rau. Ihr standen erneut Tränen in den großen rehbraunen Augen, doch diesmal nicht aus Trauer. Mit der einen Hand erwiderte sie den festen Händedruck, die andere legte sie sich auf den Bauch. „Ich bin schwanger Davis. Jonathan und ich gründen eine Familie. Du wirst Onkel werden." Davis lächelte glücklich und schloss die Augen. Während die beiden Geschwister eng umschlungen einschliefen, tobte draußen der Sturm, als würde er die Welt in Stücke reißen wollen.

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