Schummriges Licht schien durch ein einziges unvergittertes Oberlicht, das im Gegensatz zu den danebenliegenden Fenstern noch nicht vollkommen von Spinnenweben bedeckt war. Mit der Hand strich sie über ein wackeliges Treppengeländer, das in seiner Verankerung so sehr hin und her bebte, dass sie befürchtete es möge sich jeden Moment lösen und die sechs Stockwerke die sie schnaubend hinter sich gebracht hatte hinunterfallen. Rotbrauner Rost löste sich von einem Anstrich der vermutlich zur Zeit seiner Fertigstellung zum letzten Mal weiß gewesen war. Zumindest könnte dann ihr Vermieter nicht weiter behaupten es sei noch „nutzungsfähig." Das er überhaupt auf ihre Briefe geantwortet hatte, war eine echte Überraschung gewesen und damit hob er sich eindeutig in die obere Liga der Vermieter, die sich um ihre Mieterprobleme kümmerte. Nicht das sich, was ändern würde, hier in ihrem Stadtteil New Yorks waren die Maßstäbe so niedrig anzusetzen das jedes Kanalrattenloch besser isoliert und gebaut war als die Behausungen, in denen sie wohnten. Zumindest hielten sie den heftigen Herbststürmen ab, auch wenn das wohl eher weniger der Verdienst der schlecht sanierten Wohnblocks zu verdanken war, als vielmehr dem Umstand das um sie herum sich große Fabrikbauten hoben, die nur wenige Windschneißen zuließen. Olivia brachte auch noch die letzten Stufen zum achten Stockwerk hinter sich und stand vor einer Tür die stolze sieben eingelassene Schlösser zählte. Nicht das sie jemals benutzt wurden, sie hatte es lange aufgegeben die Schlüssel an dem Monstrum von Schlüsselbund einem Schloss zuordnen zu wollen und wie jedes Mal schwor sie sich diese verdammten Staubfänger endlich abzunehmen und in die unterste Schublade ihres alten Kinderschreibtisches zu verbannen. Die Tür war nicht verschlossen, was kein gutes Zeichen war. Mit einem unguten Gefühl betrat sie die düstere Wohnung und kickte einige leer Pizzakartons zur Seite. „Mom?" Das Rauschen des ständig laufenden Fernsehers war die einzige Antwort, die sie bekam. „Mom?" Erneut keine Antwort. Vorsichtig spähte sie um die Ecke und fand sich in einer kleinen Küchennische wieder in der es so aussah, als hätte die Bombe eingeschlagen. Zersplitterte Teller lagen auf dem Boden, Zeitschriften, leere Essensverpackungen und weiterer Müll dazwischen. Auf einer Anrichte über der Mikrowelle stand etwas das nur mit viel Fantasie als eine Orange zu erkennen war. „Oh Mum." Seufzte sie leise vor sich hin und durchsuchte systematisch ein Zimmer nach dem anderen. Nicht das es viele waren. Ihr magerer Verdienst bei Joe reichte kaum, um sie beide über Wasser zu halten. In dunklen Momenten wollte sie ihre Mutter so gerne hassen, ihr Vorwürfe machen warum sie zugelassen hatte das sie so ein körperliches sowie seelisches Wrack wurde als ihr Vater sie beide Hals über Kopf verlassen und ihren kleinen Bruder mit sich genommen hatte. Doch jedes Mal, wenn sie ihrer Mutter in die großen dunklen Augen sah, die denen von Baby Fynn so ähnlich sahen, bildete sich statt Wut nur ein großer Klotz Traurigkeit in ihrer Brust. „Livy, bist du das?" Es gab nur eine Person, die sie so nennte. Olivia wandte sich um und sah ihre Mutter mit gebeugten Schultern an der Tür zum Schlafzimmer stehen das auch zugleich als ihr Wohnzimmer diente. „Oh Mum, schau dir doch mal das Chaos an." Sie umarmte ihre Mutter rasch und der vertraute Geruch nach Alkohol und Nikotin stieg ihr in die Nase. „Du warst lange weg." Ihre Mutter schnäuzte sich die Nase am Ärmel ihres Nachtgewandes. „Nicht länger als sonst", wich sie aus und verkniff sich einen Vorwurf, warum genau sie unter der Woche lieber bei Joey im Hinterzimmer auf einer kleinen Pritsche übernachtete als jedes Mal in eine völlig vermüllte Wohnung zurückzukehren. Ihre Mutter zog die Schultern hoch und sah mit ihrer gebeugten Gestalt und den rot unterlaufenen Augen wesentlich älter aus als vierzig. „Ich hatte keine Zeit aufzuräumen", rechtfertigte sie sich. „Aber jetzt müssen wir es tun." Beinahe hysterisch zog sie am Ärmel ihrer Tochter. „David und Fynn kommen doch bald zurück. Ich muss kochen und putzen und zum Friseur", sie fuhr sich mit beiden Händen durch ihre lange verfilzte Mähne. Olivia konnte nicht verhindern das ihr Tränen in die Augen stiegen. „Die beiden kommen noch nicht zurück, das hat noch Zeit. Bis dahin können wir ganz in Ruhe putzen und aufräumen." „Aber ich kann nicht putzen, nicht jetzt. Da kommt diese neue Sendung im Fernsehen und wenn man da mitmacht und anruft, kann man einen Urlaub gewinnen." Olivia stöhnte auf. „Wie oft genau hast du da angerufen?" Ihre Mutter sah sie unschuldig an. „Ich weiß nicht so genau, nur ungefähr dreißig Mal oder so. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen." Olivias Augen weiteten sich und sie setzte sich einen neuen Punkt auf ihre mentale To- Do Liste, - Festnetzanschluss kündigen. Es war eh ein Wunder, das sie sich den noch leisten konnten. „Aber Livy wir hatten schon ewig keinen Urlaub mehr und die Jungs werden sich so freuen!" Ohne ihre Tochter noch eines weiteren Wortes zu würdigen, drehte sie sich um und ging ins Wohnzimmer. Nach einigen Sekunden vernahm Olivia statt dem statischen Rauschen die Stimme eines männlichen Moderators. Sie drehte sich um, stemmte die Arme in die Hüften und besah sich durch einen Tränenschleier hindurch das Chaos in der Küche. Ihr Blick fiel auf eine halb aufgerissene Packung schwarzer Müllbeutel, Handschuhe fand sie keine, aber dafür eine halbe Flasche Desinfektionsmittel, das noch nicht abgelaufen war. Das musste reichen. Während Ihre Mutter vor dem Fernsehen saß, und Olivia versuchte mit der Unordnung in der Küche auch gleichzeitig das Chaos in ihrem inneren zu ordnen, fiel ihr Blick auf einen Werbeflyer. „Party Escort Girls gesucht", darunter in dicken Lettern der Name einer Firma die ihr nichts sagte und eine Telefonnummer.

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STARDUST - 365 Tage mit dir
Misteri / ThrillerEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...