Für immer dein

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6 Monate später

Spitze Dornen zerkratzten ihre nackten Schienbeine, doch es war ihr ebenso egal wie die erbarmungslose Sonne, die bereits seit Stunden auf ihre Schulterblätter herabbrannte. Die Luft war erbarmungslos trocken und die europäische Hitze flimmerte um sie herum. Sie kämpfte sich weiter durch das karge Felswand, bis der unebene Weg endlich abschüssiger wurde. In der Ferne sah sie zwischen lichtern stehenden Pinien und hohen Zypressen bereits das türkisblaue Meer aufblitzen. Ihr Mund fühlte sich so trocken an das er mit der zerfurchten Erde um sie herum Konkurrenz machen konnte. Sie war selbst schuld. Doch der Durst war ihre geringste Sorge. Seit jeher hatte sie auf ein Wunder gehofft. Auf diesen Tag gehofft. Hatte unruhig die Minuten gezählt. Viele Wochen war jene verhängnisvolle Nacht her. Die Nacht die aus einem glücklichen Teenager eine einsame Frau gemacht hatte. Eine die unter der Fassade ihrer freundlichen ruhigen Schönheit eine tiefe Trauer mit sich herumtrug. Sie hatte es nicht ertragen zu seiner Beerdigung zu gehen, zuzusehen wie sie einen leeren Sarg beerdigten, da seine Leiche nie gefunden wurde. Hatte es jedoch auch nicht ertragen nicht hinzugehen. Als war sie im letzten Moment hingegangen, hatte sich alleine in die letzte Reihe gesetzt und von der Ferne all diese abscheulichen Menschen beobachtet, die mit Tränen in den Augen um den leeren Haufen Erde rumstanden. Rosen und Kussmünde hineinwarfen und über ihn redeten, als sei er einer von ihnen gewesen. Dabei waren sie es die die Schuld an allem trugen und es so weit hatten kommen lassen! Seine gesamte Familie war erschienen, vermutlich sahen sie sich zum ersten Mal seit langem wieder. Noch zum Schluss war seine Schwester, auf sie zugetreten. Auch wenn sie sich nicht kannten, hatte sie offensichtlich erkannt in welcher Beziehung die beiden zueinandergestanden hatten. Sie hatte ihr noch ein letztes Geheimnis anvertraut. Eines das so abgrundtief hässlich war, dass sie sich geschworen hatte diese Wörter ungesagt mit sich ins Grabe zu nehmen. Auch wenn sie sich für diesen Gedanken schämte, war sie doch froh, dass er nicht wusste, wie kaputt seine Familie wirklich war. Er sollte nicht denken das ein Gendefekt der Grund war, warum er so speziell war, wie er war. Für sie gab es keinen perfekteren Mann. Auch wenn sie ihn erst hatte verlieren müssen, um das zu erkennen und nun war es zu spät. Die Ironie war herzzerreißend. Er war mit seinen heiß geliebten Eiskunstlaufschuhen und einem seiner Pokale beerdigt worden. Wenn er eins mit sich ins Grab nahm war es der Ruhm und die Ehre. Denn für sie war er ein Held. Das war er immer gewesen und das würde er immer bleiben. Sogar ihre ehemals beste Freundin war erschienen und hatte sich tränenreich bei ihr entschuldigt. Doch sie interessierte das alles nicht. Nicht mehr. Es hätte eine Zeit gegeben da hätte sie die Entschuldigungen noch angenommen, aber diese Zeit war lange her. Der Gerichtsprozess um seine Mörder lief noch. Sie hatte ihre Aussage gemacht, alles erzählt. Nur das mit den Drogen hatte sich für sich behalten, sie wollte nicht das noch mehr Schmutz über seinen Namen gewaschen wurde. Danach war sie untergetaucht. Hatte ihren Namen und ihr Aussehen geändert. Die Piercings und die dunklen Haare waren verschwunden. Das alte Handy und ihre digitale Identität restlos ausgelöscht. Nichts sollte sie an das Mädchen erinnern, das einst so glücklich war. Nur mehr schmerzte es sie das sie nichts von ihm besaß. Es gab keine gemeinsamen Bilder, denn sie hatten ja immer gedacht sie hätten noch Zeit. Keine vertraulichen Chats oder Partnertattoos. Naja, fast nichts. Dachte sie und schaffte es ein wenig zu lächeln, als die Hand mit dem Ring über ihren Bauch mit der kleinen, noch kaum sichtbaren Wölbung fuhr. Es musste sich um einen Unfall handeln, denn eigentlich hatten sie immer verhütet, doch dieser Unfall erschein ihr nun wie das größte Glück auf Erden. Fast zumindest. Erneut beschleunigte sie ihre Schritte, hoffte nicht wieder enttäuscht zu werden. Als sie an diesem Morgen in ihrem Haus auf der kleinen griechischen Halbinsel aufgestanden war, hatte ein handgeschriebener Zettel auf ihrem Küchentisch gelegen, kein Name nichts. Nur eine Uhrzeit und ein Ort. Die Schrift war ihr fremd gewesen. Doch das war kein Wunder. Sie mied die anderen. Unter den Menschen im kleinen Dorf galt sie als einsame Eigenbrötlerin. Sie hatte sich längst damit abgefunden. Wie mit allem anderen auch. Nur in manch einsamen Stunden, wenn sie mit angezogenen Knien auf der Fensterbank verharrte und den Geruch nach Pinien einsog, die mit einem Mal nach Tannenharz und dunklem Honig dufteten, die Sonne gerade unterging und die aufkommenden Schatten sich über der kargen Landschaft zerfaserten, drohte die Einsamkeit sie zu ersticken. Dann wurde aus ihrem Herz ein reißender Sturzbach. Sie erreichte das Ende des Pinienwäldchens und rannte auf die wunderschöne kleine Bucht die ziemlich versteckt lag und sich daher unberührt vor ihr erstreckte. Leer. Menschenleer. Sie sank auf die Knie, mit einer Hand fest ihren Bauch umklammert und starrte verzweifelt auf das weite glasklare Meer. Was hatte sie sich nur gedacht? Die Sonne spiegelte sich auf der Wasseroberfläche und bildete eine goldene Brücke. Sie starrte in die Ferne dorthin, wo das Meer mit dem Horizont verschwamm, künstlich unterbrochen durch den Tränenfilm auf ihren Augen. Nur langsam verebbte ihre Enttäuschung und wich einem zittrigen Ausatmen. Obwohl sie seine Schritte nicht hörte, schlangen sich mit einem Mal zwei kräftige Arme um ihre schmalen, sehr zierlichen Schultern. Sie ließ den Kopf nach hinten in seine Halskuhle sinken und gab sich für einen Moment dem unverwechselbaren Duft nach Tannenharz, Kiefernholz und dunklem Honig hin. Er hielt sie noch einen Moment länger fest, vergrub das Kinn an ihrem Haaransatz und sie erkannte das auch er ihren Duft einsog. „Ich glaub's ja nicht." Stürmisch wirbelte sie herum, um ihn anzusehen. Er hatte sich sehr verändert, der jugendliche Leichtmut war verschwunden, ersetzt durch einen jungen Mann, der bereits in jungen Jahren so viel durchlebt hatte. Eine breite Schnittwunde zog sich von der einen Augenbraue über den schmalen Nasenrücken. Noch war die Narbe leuchtend rot, doch bald würde sie heilen und sich in dieses perfekte wunderschöne Gesicht einfügen. Sie störte sich nicht daran. Etwas in ihnen beiden war zerstört wurden, als sie ihr altes Leben hinter sich gelassen hatten. Bei ihr waren die Wunden auf der Seele, seine waren noch offensichtlicher. Er bewegte sich langsam, als hätte er noch große Schmerzen. Sein einer Arm war vom Schultergelenk zum Handknöchel bandagiert. Sie sah den Verband durch den Ausschnitt aufblitzen. Also hatte die Kugel ihn doch getroffen. Aber er lebte. Er trug ein Hemd so azurblau wie die Farbe des Himmels und wenn sie in seine Augen sah, diese wunderschönen gletscherblauen Augen sah sie dort keine Ablehnung und Kälte mehr, sondern ungebrochenen Lebensmut und Freude. „Ich habe dich so vermisst." Murmelte er und löste ihre Umarmung. Er lächelte und zog sie an sich. Der Kuss, der folgte, war der schönste den sie je gehabt hatte. Mit einem Mal schien es, als würde sie wieder zum Leben anfangen. Sie spürte wie ihr Herz in ihrer Brust wieder zu schlagen anfing. Als würden all die zersprungen Teile in ihr nicht nur zusammengesetzt, sondern durch etwas Größeres und viel Schöneres wieder ersetzt worden. „Ich habe alles hinter mir gelassen." Flüsterte sie, traute sich nicht lauter zu sprechen ganz so, als befürchte sie das er nur eine Fata Morgana sei und sie mit ihren Worten diesen schönen Moment zerstören würde. „Keine Namen, das würde nur den Moment zerstören." Wisperte er an ihrem Ohr, nachdem er sich aus diesem ewig andauernden und längst überfälligem Kuss löste. „Ab heute beginnen wir unser Leben neu, nur wir drei." Er sah ihr direkt in die Augen, während er die Hand zu ihrem Bauch führte und versuchte dem Herzschlag des Babys zu fühlen. „Und unser Versprechen", er deutete auf den Ring und mit einem Mal schien wieder der alte Zynismus in seinen Augen aufzublitzen, „das erneuern wir." „Du und ich für immer." Schwor sie, legte ihre Stirn an seine. „Für immer." Gab er heißer zurück während ihre Hände sich im warmen Sand verschränkten. 

STARDUST - 365 Tage mit dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt