Die Boing 737 hatte soeben ihren Pushback durchgeführt und rollte nun auf den Taxiway zu. Davis sah mit halb geschlossenen Augen zu wie die Flugbegleiter ihre Sicherheitsdemonstrationen durchführten und anschließend den Anschnallcheck machten. Als der Pilot das Kommando Cabin Crew prepare for departure durchgab, beschleunigte die Maschine auf Startgeschwindkeit und hob ab. Die mächtigen Triebwerke jaulten auf und die Maschine rumpelte heftig, als sie über den uneben geteerten Asphalt hinwegschoss. Die Sonne ging gerade auf und tauchte den Horizont in einen gleißenden roten Lichtstrahl. Er sah wie das Licht sich in goldenen Strahlen über die Spitze der Seneca Rocks ergoss und die Schatten einer frostigen Nacht weiter zurückdrängte. Er lehnte den Kopf zurück und lauschte seiner Musik. Der Shenandoah Valley Regional Airport war ein kleiner so früh am Morgen wenig besuchter Flughafen, der einige Flüge direkt nach New York anbot. Er seufzte und sah auf seine Uhr. Das würde ein langer Tag werden. Acht Stunden und zwei Mal umsteigen lagen vor ihm. Noch immer konnte er kaum glauben das seine Familie ihn rausgeschmissen hatte. Dementsprechend frostig war der Abschied gewesen. Davis Freunde hatten sich bedauernd und tränenreich von ihm verabschiedet, auch mit Susanna war er noch mal einen trinken gewesen, doch seiner Schwester war er aus dem Weg gegangen. Er nahm es ihr übel das sie wirklich geglaubt hatte er könnte ein Mörder sein und als er dann noch rausgefunden hatte das sie von dem Verhältnis von seiner Mutter und Brahms gewusst hatte und auch davon das er seine Akte hinterher frisiert hatte, selten hatte er sich so hintergangen gefühlt. Und nun saß er auf dem Weg nach New York zu einem Mann, den er überhaupt nicht kannte und an den er auch kaum Erinnerungen mehr besaß. Nur an das eine Versprechen erinnerte er sich. Ich werde dich niemals verlassen mein Sohn. Niemals.
Nun mit Versprechen war es wie mit Glas, das in die Seele schnitt. Beides zerbrach leicht und hinterließen bleibende Narben. „Einen Kaffee?" Eine hübsche junge Stewardess war mit einem Getränkewagen an ihm vorbeigefahren und lächelte ihn mit ihren tiefrot geschminkten Lippen auffordernd an. „Gerne." Davis nickte, bezahlte und nahm das heiße Gebräu dankbar an. Während er einen kleinen Schluck nahm, durchbrach die Boing eine Wolkendecke. Sein Kaffee schwappte über und hinterließ kleine dunkle Spritzer auf seiner Jeans. Er starrte auf die Flecken die restlos in dem schwarzen Stoff zu verschwinden schienen. Genauso war es ihm auch ergangen. Er war aus dem Leben seiner Familie ebenso versickert wie der Kaffee in seiner Hose. Die Wellen waren geglättet und übrig blieb nur der blaue Himmel und strahlender Sonnenschein. Trügerische Idylle. Eine falsche Harmonie. Doch unter der Oberfläche lauerte tiefer Schmerz. Die Maschine flog durch stärkere Turbulenzen und er hielt schützend die Hand auf das heiße Gebräu, um es nicht noch weiter zu verschütten. Die Anschnallzeichen leuchteten auf. Die Boing flog durch weitere Wolkenschleier und durchbrach sie schließlich nach einigen Minuten. Der Flug wurde ruhiger und Davis der glaubte beinahe seine Handfläche an dem heißen Kaffee verbrannt zu haben, rieb sie an seiner Hose trocken. Er starrte hinaus durch das Fenster, über der dichten Wolkendecke schienen die Strahlen der Sonne warm und freundlich auf sein Gesicht. Über den Wolken scheint die Sonne immer, schoss ihm mit einem Mal der Gedanke durch den Kopf, und auch wenn die Metapher nicht sinnbildlich übertragbar war auf sein Leben, fand er doch ein wenig Trost in diesen Worten. Ein kleiner Funke der Hoffnung regte sich in ihm. Es war nicht mehr als das einsame Glimmen von Glut in einem Meer aus verbrannter Erde, doch er reichte aus, um wenigstens einen schwachen Schein auf den Schatten in seiner Seele zu werfen. Mal sehen was New York so zu bieten hatte.
16 Stunden später trat Davis komplett übermüdet und mit tiefen Augenringen durch die großen Eingangstüren des JFK-Airports. Es war kurz nach Mitternacht, ein heftiges Sturmtief hatte die Stadt gegen Mittag erfasst, sodass alle Flugzeuge erst verzögert anfliegen konnten. Er hatte durch vorherige Verspätungen den Anschlussflug verpasst nur um dann zu erfahren das weitere Verbindungen für die nächsten zwei Stunden restlos gestrichen waren. Er hatte den Mittag an einem Flughafen verprasst dessen Namen er sich bei der Ankunft schon nicht hatte merken können und auch jetzt nicht wusste. Als es dann endlich weiterging, hätte er sich fast gewünscht nicht eingestiegen zu sein. Mit herumwirbeln kannte er sich aus und schwindlig war ihm bisher auch nicht. Schließlich drehte er Pirouetten, seit er laufen konnte. Dennoch beim Anflug wurde die Maschine von so heftigen Turbulenzen erwischt das die Piloten einen Landeabbruch machen und erneut ansteuern mussten. Noch immer hatte er das Gefühl sein Magen würde ihm zwischen den Knien hängen. Das Stück Putensandwich das er gegessen hatte, war bestimmt mittlerweile restlos verdaut. Er nieste unterdrückt in seine Armbeuge. Dreimal. Die Kälte ebenso im Anmarsch wie seine schlechte Laune, die sich langsam, aber sicher aufbaute. Der Regen prasselte ihm mit erbarmungsloser Härte entgegen. Davis zog seine zwei Koffer hinter sich her, wobei die Rollen des einen streikten und es mehr ein Ziehen als Rollen war. Natürlich war es der schwerere von beiden. Sein Glück hatte sich wohl zusammen mit seiner Karriere auf und davon gemacht. Ein Scherbenhaufen einer Scheibe die bisher nur mit Kleber gehalten worden und nun restlos zersplittert war. Innerlich sah er beides einen Wasserfall entlang hinabstürzen, der so endlos war das die Hölle selbst wohl sie nicht zum Halten vermochte. Schließlich schaffte er es zur anderen Straßenseite. Davis stand vor dem Terminal und sah an der langen Schlange von Taxis hinab. Gelbe Halogenscheinwerfer die kristalline Funken durch den Regenschauer warfen und sich unwiderruflich auf seine Netzhaut einbrannten. Er blinzelte ein wenig, um den hellen Schein zu entgehen, erreichte dadurch aber nur das noch mehr Regenwasser in seine Augen floss und sie zum Brennen brachte. In Momenten wie diesen nahm er sich vor, sobald ihm eine Schere in die Finger kommen würde eine Glatze zu scheren, doch vermutlich würde der Regen nur noch schneller über seinen kahlen Schädel fließen. Sein Vater hatte sich in den letzten Stunden nicht mehr gemeldet und Davis hatte keine Ahnung, ob dieser überhaupt wusste das er bereits gelandet war. Es kostete ihn mehrere Versuche sein Handy zu entsperren, da die Gesichtserkennung sich anscheinend strikt weigerte ihn als den Nutzer dieses iPhones zu erkennen. Genervt drückte er auf das Tastaturfeld und war endlose Sekunden lang restlos überfordert. Beinahe überzeugt sein eigenes Gerät nie mehr entsperren zu können, versuchte er auf gut Glück ein paar Kombinationen, bis sein Blick auf seine Füße fiel und ihm der richtige Code einfiel. Nicht gerade originell den Tag zu nehmen an dem das erste Mal auf Skates stand, aber noch immer besser als der Tag, an dem er herausgefunden hatte, dass er sich für den kommenden Olympischen Kader nominiert hatte. Er starrte auf den Namen auf dem Display. Danny. Dad. Beides fühlte sich fremd an und verursachte ihm ein unangenehmes Knurren in der Magengegend das weder mit dem Flug noch mit dem Hunger zu tun hatte. Der Name stach hervor wie ein bandagierter Daumen. Unangenehm. Wobei er die schlechten Empfindungen weniger mit dem Namen selbst, sondern mehr als die Erinnerung verband. Seit sein Vater sang und klanglos aus dem Leben der Geschwister verschwunden war, war er kaum mehr als ein Schatten der Vergangenheit gewesen. Einer bei dem seine Kinder (sollte er denn jemals welche haben) in zwanzig Jahren auf alte Familienfotos tippen würden und fragen: „und wer ist das da Daddy?" Unangenehm das das Ganze Internet mehr wusste als Davis über seinen eigenen Vater. Wobei das umgekehrt wahrscheinlich genauso war. Ein Hupen riss ihn aus seinen Gedanken und bescherte ihm beinahe einen halben Herzinfarkt. „Davis Baker?" Ein kleiner glatzköpfiger Mann hielt in einer dunkeln Limousine neben ihn an und hatte die Scheibe heruntergekurbelt. Davis nickte, doch es war zu dunkel, um das zu sehen. „Ja!" Brüllte er also gegen den strömenden Regen und den Wind an. Der Mann deutete mit dem Daumen nach hinten. Davis zerrte seinen widerspenstigen Rollkoffer um das Auto herum und öffnete die Kofferraumtür. Beinahe bedauernd sah er wie die Räder des Trolleys dunkle nasse Schleifspuren auf der teuren champagnerfarbenen Ausstattung hinterließen. Er stieg dankbar ein und mit dem zuschlagen der Autotür sperrte er nicht nur den Sturm, sondern auch die Dunkelheit außen aus.
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STARDUST - 365 Tage mit dir
Mystery / ThrillerEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...