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Olivia nieste unterdrückt in ihre Handfläche. Einmal. Zweimal. „Gesundheit." Der Kunde, der in der Schlange vor ihr stand drehte, sich um und lächelte sie mitfühlend an. Es war ein älterer Mann mit wettergeerbtem Gesicht und tiefen Runzeln um die Mund und Augenwinkel. Er lächelte sie schräg an und tippte mit den Fingerspitzen auf die abgewetzte Hutkrempe, die er trug. „Ist wohl die Herbsterkältung, habe ich auch immer. Verlässlich jedes Jahr zu Anfang November. Meine Annie sagte ja immer das der liebe Gott uns alle straft und das ich doch endlich mit dem Rauchen aufhören sollte." Der alte Mann lachte so keuchend, kehlig das Olivia dachte das seine Annie wohl nicht ganz unrecht hatte. „Aber ich sag ja immer man braucht seine Freuden im Alter." Er winkte mit seiner von Altersflecken übersäten Hand lässig ab. Sie lächelte ihm freundlich zu, einen weiteren Nieser unterdrückend. Viel wahrscheinlicher als eine Herbsterkältung mochte wohl sein das sie sich im 24/8 mit dem viel zu dünnen Fetzen eine heftige Erkältung eingeholt hatte. Sie spürte das Kratzen ihrer Stimmbänder beim Sprechen und das trockene Jucken hinter ihren Augäpfeln. Deshalb hatte sie sich ja auch schließlich bei Joey krankgemeldet. Und nur deshalb. Versuchte sie sich einzureden. Das Ganze hatte überhaupt nichts mit Rebecca zu tun. Nein. Ganz und gar nicht. Doch dass sie sich im Grunde damit nur selbst belog, war ihr deutlich bewusst. Sie ging ihrer besten Freundin aus dem Weg. Mied sie seit der schiefgelaufenen Nacht im Club. Obwohl sie sich dafür schämte, brauchte sie etwas Abstand, denn die Art wie die Typen sie abgekanzelt hatten und Rebecca auch noch mit ihm gegangen war, hatte sie stutzig gemacht. Die Wunde unter dem großen Pflaster an ihrem Knie begann schrecklich zu jucken, doch sie ignorierte auch das und verfluchte sich im Stillen eine enge Jeans angezogen zu haben. Der Stoff saß viel zu fest und übte noch mehr Druck auf die eh schon pochende Wunde aus. Sie sah durch die trüben Eingangsscheiben des kleinen Kioskes und sah, wie der Herbstwind ungestüm Blätter durch die Straßen wehte. Eine einsame Zeitung rollte zerfleddert über ein Kanaldeckel und blieb nass und zerrissen an einem Telefonmast hängen. Eine junge Frau schob ihren Kinderwagen vor sich her, zum Schutz vor dem eisigen Wind hatte sie sich so tief darüber gebeugt das sie aufsehen musste, um zu sehen, wohin sie eigentlich lief. Ihre Nase war vom Novemberwind gerötet. Sie wandte den Blick wieder ab auf die quälend lange Schlange vor ihr und entschloss das es doch eindeutig besser war im inneren zu sein als draußen. Nur leider hatte die alte Dame vier Personen vor ihr scheinbar genügend Kleingeld zusammengekratzt und verließ nur humpelnd den Laden. Olivia bezahlte die kümmerlichen Einkäufe mit dem restlichen Geld, das sie übrighatten. Mit der Miete waren sie auch wieder im Rückstand. Sie würde Joey bitten müssen ihr einen Vorschuss zu geben. Er würde sich zwar zieren aber im Grunde seines Herzens war er ein guter Mensch. Sie verließ die Tür des heruntergekommen Ladens. Das leise Klingeln wehte ihr hinterher und vermischte sich mit dem unbarmherzigen Novemberwind. Sie lief durch die Straßen der Eastside und sah zu wie sich ein schmaler goldener Schimmer durch die Wolken schob. Ein Fetzen durch das sturmumtosende Wolkenband. Die Ahnung eines Sommers der noch weit hin war. Und der fahle Geschmack glücklicherer Tage lag darin. Doch alles, woran sie denken konnte, während sie über die unebenen Pflastersteine in kleine Pfützen trat, waren die Schatten der Nacht der unbarmherzig heraufzog. Eisige Nächte, in denen sie nicht wussten, wie viele Kleidungsstücke sie noch übereinander ziehen sollten, um sich nicht gänzlich die Haut vom Körper zu frieren.

STARDUST - 365 Tage mit dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt