Draußen empfing sie feiner Nieselregen, dichte Nebelschwaden waren aufgezogen und verschluckten ihre Geräusche auf dem Kies. „Sauwetter", ächzte er leise. Seitlich hinter dem Haus stand ein protziger Jeep der wie ein klobiges Ungetüm neben den schnittigen Sportwagen wirkte, die die Familie sonst so besaß. „Kannst du fahren?" Sie hielt ihm die Schlüssel hin. „Warum fährst du nicht?" Entgegnete er und dachte daran das er bereits die erlaubte Mindestgrenze von Alkohol überschritten hatte. Sie umrundete den Wagen, bis sie vor der Beifahrerseite stand. „Es ist dunkel, du kennst den Weg viel besser und hast mehr Fahrerfahrung." Er seufzte und entriegelte die Tür. „Außerdem weiß ich nicht wie man fährt." Gab sie verlegen zu und rutschte sichtlich erleichtert ins Innere des Wagens. Davis nahm hinter dem Steuer Platz und stellte die Innenbeleuchtung des Wagens an. Er ruckelte umständlich den Sitz nach vorne und sah sich suchend um, während er sich mit der Ausstattung des Wagens vertraut machte. Als er den Zündschlüssel anließ, dachte er noch das sein Alkoholkonsum wohl sein geringstes Problem war im Moment, nur ein weiterer Punkt auf einer langen Liste. Wenn er so weiter machte, konnte er Olympia vergessen. „Fährst du los?" Lilys Schwester klang ungeduldig. Er verkniff sich eine genervte Antwort und ließ wortlos den Wagen an. Der Motor erwachte stotternd zum Leben und machte einen Ruck nach vorne als Davis zu heftig Gas gab und ihn beinahe abwürgte. Als er wendete und den Wagen über den Vorplatz auf die Straße hinauffuhr, hatte er den Schleifpunkt und das ideale Verhältnis zwischen Kupplung und Gas gefunden. Sie fuhren in die dunkle Nacht hinein. Nach einigen Minuten des Schweigens beugte sich Lilys Schwester schließlich vor und schaltete das Autoradio an. Davis warf einen Blick auf die Anzeige. 02:17 stand da in Gelb flimmernden Lettern geschrieben. Ganz toll. Die Musik verstummte und die Stimme einer Sprecherin wurde eingeblendet. „Und jetzt zu einer Eilmeldung, noch immer gibt es keine Hinweise auf der seit Tagen vermissten Roxana W. Die Polizei bittet..." Lilys Schwester beugte sich erneut vor und schaltete das Radio aus. Die Stille, die sich daraufhin im inneren des Wagens ausbreitete, war folgenschwer. „Ich dachte mir das du das vielleicht nicht hören willst." „Richtig gedacht." Stimmte er ihr zu. Ohne den Blick von der dunklen Straße zu nehmen, stellte er das Heißgebläse auf höchste Stufe. Als der Regen zunehmend stärker wurde, schaltete er den Scheibenwischer ein. Obwohl die warme Luft ihn schläfrig hätte machen müssen, saß er hellwach hinter dem Lenkrad und fuhr in die einsame verregnete Nacht.
Aus dem feinen Nieselregen war ein heftiger Regenguss geworden, der nun in einen mittelmäßigen Schauer übergegangen war. Binnenfäden fielen vom Himmel, er schüttelte sich wie ein Hund, der zu lange im Kalten gewesen war und stellte den Kragen seiner Jacke hoch. „Wo lang?" Lilys Schwester beförderte zwei Handstrahler hervor und stellte sie an. Ein gleißender Lichtschein ergoss sich vor ihren Füßen, spiegelte den Regen und ließ die Luft um sie herum wabern und zittern, wie Fische die als Schemen unter der Oberfläche eines Teiches schwammen. Die starken Handstrahlen ließen die ersten Baumstämme in scharfkantige Umrisse erscheinen, verloren sich aber nach wenigen Metern und wurde von dem dichten Nebel verschluckt. Davis bestätigte den automatischen Schließmechanismus. Es klickte und nach wenigen Sekunden erloschen die Lichter des Jeeps. Der Nebel schien sich dichter um sie zu ziehen und zerfaserte den scharfen Lichtstrahl, bis er als milchiger Teppich sich um ihre Beine herum wand. Lilys Schwester sah sich sichtlich unbehaglich um. Unter der coolen zur Schau gestellten Maske mit der zu vielen Schminke schimmerte zum ersten Mal ihre wahren Gefühle hervor. „Vielleicht hätten wir bei Tageslicht herkommen sollen." „Du kannst gerne in Auto warten." Gab der Eiskunstläufer zurück, steckte den Schlüssel aber bereits in die Innentasche seiner Jacke, da er ihre Antwort kannte. „Auf gar keinen Fall." Kam es da bereits wie aus der Pistole geschossen. „Also in welche Richtung?" Sie leuchtete mit dem Handstrahler durch die Stämme hindurch, traf jedoch nur auf den Nebel, der sich in dem Licht in tausende Tröpfchen brach. „Da lang." Davis deutete etwas weiter südlich auf eine dicht stehende Gruppe Bäume. Er sah sich noch einmal zum Jeep und dessen rettende Wärme im Inneren um. Anders als beim letzten Mal als er hier gewesen war, lag die riesige Wiese verlassen und dunkel um sie herum. Die Stoßdämpfer des Jeeps waren auf eine harte Probe gestellt worden als Davis gleich mehrmals in riesige, durch die schlechten Wetterbedingungen kaum sichtbare, Schlaglöcher gefahren war. Er war mit dem Auto so nah wie möglich an den Waldrand gefahren. So nah, dass die Kühlerhaube bereits auf das Gestrüpp traf. Sie tauchten ein in eine Welt die unwirklicher nicht hätte sein können. Der Regen brachte den Wald zum Leben. Das Laub unter ihren Füßen glänzte matt und reflektierte in dem künstlichen Licht. In der Ferne schrie ein Uhu und mehrmals knackte es laut direkt hinter ihnen. Sie zuckte zusammen und sah sich ängstlich nach hinten um. „Vermutlich ein Tier." Beruhigte er Lilys Schwester. Einfach nur um was zu sagen. Sie nickte und gab sich tapfer. Der Nebel waberte dicht um sie herum, stach durch das wachsende Gestrüpp hervor und ließ dornenübersäte Zweige nach oben stechen, als wären es die Zähne eines Monsters. In Davis Fantasie schwollen die Schatten an. Er sah zu wie einer der nebeldurchzogene Büsche plötzlich dichte Knospen bildete. In Sekundenschnellen blühten blutrot glänzende Rosen. Der Regen perlte an ihren geschlitzten Blättern an und brachte sie rasch wieder zum Verwelken. Seine Sicht verschwamm und aus dem Knarzen der Bäume wurden lockende Rufe. Säuselnde Stimmen, die ihn umspielten und lockten. Überall sah er scheinbar menschliche Schatten neben den Stämmen stehen die scheinbar nach ihm greifen wollten. Die feinen Klänge einer fernen Geige drangen zu ihm heran und ein edelsüßer Geschmack nach Rosenblüten, Nebeltau und Waldhonig lag ihm plötzlich auf der Zunge. Ihm wurde schwindlig und während es ihm immer schwerer fiel die Realitäten zu trennen, fanden seine Beine von ganz von selbst ihren Weg durch den dunklen Wald. Er nahm die Hand des Mädchens. Nicht aus romantischen Absichten, sondern einfach um sich zu erden. Das Licht des Handstrahlers wurde sichtlich schwächer und erlosch schließlich, doch Davis war so in seinem Rausch aus widerstrebender Faszination und Angst gefangen das er es kaum wahrnahm. Spitze Dornen zerrissen den Saum seiner Jeans, als wollten sie ihn zurückhalten, doch er bahnte sich unbeirrt seinen Weg. Folgte den Schatten die die Stämme umspielten, die ihn umflossen und mit sich zu ziehen schienen. Kleine Lichtpunkte flimmerten auf, Glühwürmchen. Dachte er verzückt, doch als er danach greifen wollte, verschwanden sie. Die lockenden Stimmen wurden lauter, schwollen an zu einem Chor, der das übertönte, was Lilys Schwester sagte. Längst lief er nur noch und zerrte sie beinahe mit sich. Das Wald wurde lichter, der Nebel dichter, bis die Bäume sich teilten und eine kleine Lichtung freigaben. Sein Blick glitt suchend umher. Sah über die hohen Grashalme das viele Laub, das sich durch die Nebeldecke stach, bis sein Blick einem fetzen rotweiß gestreiftem Polizeiabsperrband glitt, das um einen der Stämme gewickelt war und traurig im Regenschauer hin und her baumelte. „Es war hier." Hauchte Lilys Schwester und schlug sich eine Hand vor den Mund. Davis schüttelte den Kopf während er gleichzeitig nickte, den Ort hätte er auch ohne das Absperrband gefunden. Er sank in die Hocke und starrte auf den Stamm vor sich. Seine Fantasie spielte ihm Bildfetzen in das Gehirn die in Zeitlupe abzulaufen schienen. Roxana. Er. Die Göttin. Das Licht, das durch ihren schlanken Körper hindurchfloss, ihn umspielte. Roxana deren Mund zu einem stummen Schrei geöffnet war. Diese Euphorie dieses Verlangen das durch seine Adern gerauscht war. Ohne sein Zutun spürte er wie ein heftiges Beben seinen Körper ergriff und durch seine Adern floss. „Woher hast du den Weg so schnell gefunden?" Lilys Schwester- wie hieß sie eigentlich?" Wedelte mit ihrem Handstrahler umher, als könnte sie tatsächlich etwas entdecken das der Polizei bei Tageslicht entgangen war. Davis antwortete nicht, war so in dem Rausch der Bilder und Gefühle gefangen das es sich fühlte, wie ein Ertrinkender der gegen einen reißenden Strom anschwamm. Er ließ sich auf den nassen und kalten Waldboden sinken und drehte das Gesicht zur Seite, in die Position, in der er aufgewacht war. Lilys Schwester hatte er scheinbar aufgegeben ihn anzusprechen, als sie den völlig abwesenden Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkte. Sie hatte sich in die Hocke gegen den Stamm einer Tanne gekauert zum Schutz vor dem Regen. Ihr Blick hing starr auf Davis der ihr von Minute zu Minute unheimlicher wurde, wie er da auf dem Waldboden lag, das Gesicht abgewandt. Davis durchlebte seine ersten wachen Momente. Sah ihr mit Edelsteinen besetztes Handy, das nun natürlich nicht mehr auf dem Waldboden lag. Klumpen von nasser Erde klebten an seinen Fingern, die kalt und steif gefroren waren. Er sah zu wie eine imaginäre Hand aus seinem Körper kroch, nach dem Handy griff, es ein,- und wieder ausschaltete und schließlich achtlos wegwarf. Dann glitt sein Blick weiter zu seinem Klamotten die verstreut auf dem Waldboden lagen. Die Hand hob sie auf, fahrig und zittrig. Leichenblass, ohne den schönen Goldton mit dem er sonst gesegnet war. Dann richtete sich sein Körper auf und er sah zu wie er selbst aufstand, sich anzog und mehr schlecht als recht angezogen, mit völlig verstrubelter Frisur schwankend davonlief. Von Roxana keine Spur. Davis kehrte nur langsam aus seinem Gedankenpalast hervor. Gedanklich strich er nochmal über seinen Körper, seine Arme die zwar Dreck,-aber nicht blutverschmiert waren. Er blieb liegen, während die kalte Wirklichkeit in ihn drang und nur zögernd das Gefühl in seinen unterkühlten Körper glitt. Er erhob sich, sah Lilys Schwester an dem Stamm kauern, ging zu ihr und ahmte ihre Pose nach. Sie sah stumm zu ihm auf. Die Augen weit aufgerissen beinahe wie zu einem stummen Aufschrei. Hatte er heimlich Hoffnungen gehegt wenigstens jemanden den er kannte von seiner Unschuld zu überzeugen, so hatte er nun gründlich versagt. Die frische kühle Nachtluft erwecket seine Geister wieder zum Leben, linderte die starken Kopfschmerzen und das benebelte Gefühl jedoch nur langsam. „Wie heißt du eigentlich?" Fragte er, während der die Arme um seine Kniekehlen schlang und sein Kinn auf seinen Knien abstützte. Sie wandte sich ihm langsam zu und bedachte ihm mit einem Blick, der von Unglaube gezeichnet war. „Ehrlich?" Das ist worüber du sprechen willst? Erklär mir lieber, was deine Show da sollte." „Ich weiß nicht, was du meinst." Sie stieß ein schniefendes Geräusch aus, das einem Schluchzer und Husten zugleich glich. „Du warst komplett weggetreten." „Ich. Weiß. Nicht. Was. Du. Meinst." Er betonte jedes Wort und machte damit unmissverständlich klar, dass er sich auf keine Diskussion einlassen würde. Sie sah starr geradeaus. „Hat es funktioniert?" „Hmm?" „Du warst hier mit ihr? Hier wurde sie zuletzt gesehen, und du hast eben das nachgestellt, was in deiner Erinnerung abgelaufen ist, nicht?" „Ich habe sie nicht umgebracht." War alles, was er dazu sagte. „Ich weiß." Lilys Schwester stand auf und strich sich regennasse Strähnen aus der Stirn. „Wir sollten zurück. Wir haben uns beide ohnehin schon eine fette Erkältung eingefangen." Davis der heftig niesen musste, nickte ohne Gegenworte. Er sah sich nach seinem Handstrahler um, konnte keinen entdecken. Folgerte also das er ihn verloren hatte und erhob sich. „Findest du den Weg zurück?" Sie drückte ihm ihren Strahler in die Hand, ergriff seine Hand und überließ ihm die Führung. „Ich sag keinem was für ein Freak du bist." Er sah stirnrunzelnd auf und bemerkte das sie grinste. „Lustig." Erwiderte er ironisch, verzog aber ebenfalls seine Mundwinkel zu einem schwachen Lächeln. „Ich heiße übrigens Amyra."

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STARDUST - 365 Tage mit dir
Misterio / SuspensoEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...