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Als er am nächsten Morgen aufwachte, war er einen irren Moment lang überzeugt das es draußen schneite. Er blinzelte sich den Schlaf und das Schlafsekret aus den Augen und wartete bis sich Blick sich genug klarte, um ihn die wehende weiße Masse erkennen zu lassen. „Was ist das denn?" Murmelte er und spürte gleich das sein Hals beim Sprechen kratzig und rau war. „Gefällt es dir?" Seine Schwester saß auf seinem Schreibtischstuhl und studierte ganz offensichtlich für die Uni. „Scheußlich." Murmelte er und sah das weiße etwas an das ein löchriger Vorhang zu sein schien. „Hey, habe ich selbst gehäkelt." Empörte sie sich. „Ich meine verbesserungswürdig." Relativierte er schnell und lächelte liebreizend. Sie lächelte doch das Lächeln vertrieb den Kummer in ihren Augen nicht. „Wie geht es dir?" Seine Stirn war immer noch fiebrig heiß, seine Ohren verstopft, als wäre er unter Wasser und der Druckausgleich nicht geglückt und sein Kopf schmerzte. „Ging schonmal besser." Er lächelte seine Schwester gequält an. „Nasennebenhöhlenentzündung." Lautete auch kurz darauf Dr. Brahms Diagnose. „In Kombination mit einer heftigen Erkältung. Man sollte meinen das dich die Jahre auf dem Eis mehr abgehärtet haben", meinte der Arzt kopfschüttelnd. Davis nickte nur und wollte nicht groß erklären das seine Erkältung nicht vom Eislaufen kam, sondern weil er Idiot unbedingt nachts im Regen auf dem Waldboden rumsitzen musste. „Ich gebe dir ein Antibiotika das du bitte dreimal täglich zusätzlich zu den anderen Tabletten einnimmst. Bis Ende der Woche solltest du wieder fit sein. „Aber Ende der Woche habe ich einen Wettkampf!" Protestierte Davis kraftlos. Dr. Brahms und seine Mutter tauschten einen langen Blick aus, der nichts Gutes bedeuten mochte. „Was?" Verlangte er zu wissen und selbst durch seine Heiserkeit gelang ihm immer noch eine gewissen Schärfe und Dringlichkeit. „Davis Schatz, dein Management hat gestern gekündigt, als sie erfahren haben das du in Untersuchungshaft bist. Sie können sich keine schlechte Presse leisten und wollen bis diese ganze Sache geklärt ist nichts mit dir zu tun haben. Du", sie sah hilfesuchend zu ihrer Tochter", du bist auch fürs Erste für die kommende Wettkampfsaison gesperrt. Es tut mir leid, ich weiß, wie wichtig das für dich ist, und du weißt auch wie wichtig das für mich ist." Seine Mutter wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Davis konnte nichts sagen, nichts fühlen, nichts ausdrücken. Er starrte einfach nur durch die anwesenden Personen hindurch als wären sie gar nicht anwesend. In seinem inneren tobten so viele widersprüchliche Emotionen und doch machte sich da eine betäubende Leere in ihm breit, die ihn nichts spüren ließ. „Es war nett Sie mal wieder gesehen zu haben Doktor." Sagte er statt irgendeiner Antwort oder Gefühlsregung und stand auf. In seinem Zimmer angekommen warf er sich aufs Bett, steckte sich Kopfhörer in die Ohren und lauschte seiner Playlist. Anfangs waren es noch schnelle wütende Beats, Rap, dann wechselte er zu Hiphop bis der Sturm in seinem inneren irgendwann abgeebbte und er ruhigeren Rap anschaltete. Gegen Nachmittag klopfte es an der Tür. Davis hörte es wegen der lauten Musik gar nicht erst, sondern sah nur wie der Türknauf sich bewegte. „Herein." Rief er daher, wobei er nicht mehr als ein kratzendes Flüstern zustande brachte. Sogar seine Stimme versagte ihren Dienst. Na, ganz toll. Seine Schwester steckte den Kopf herein. „Bruderherz." So hatte sie ihn als Kind zuletzt genannt, meistens dann, wenn sie Mist gebaut hatte und ihn bei ihren Eltern vorgeschickt hatte. „Kac, ich will grade nicht reden." „Bitte." Schob er nach. Sie nickte traurig und die Tür schloss sich wieder. Davis ließ den Blick in seinem Zimmer rumwandern, bis er schließlich auf seinem Schrank fiel. Dort oben staubte bereits seit Jahren seine alte Gitarre herum. Er stand auf und holte sie herunter. Vorsichtig strich er über die eingestaubten Saiten. Die Gitarre war vollkommen verstimmt, natürlich. Ein Geräusch ließ ihn hochfahren. Sein iPhone klingelte. „Blake was gibt's?" Davis warf sich aufs Bett und strich über die Saiten seiner Gitarre. „Was klingst du so komisch?" Sein Freund schien kurz aus dem Konzept gebracht. „Erkältung, geht wieder vorbei." Davis winkte genervt ab. „Kannst du es bitte kurz machen, ich bin nicht in der Stimmung zu sprechen?" „Stimmt es was in den Nachrichten gebracht wurde, du hängst das Eislaufen an den Nagel? „Was?! Davis fuhr auf seinem Bett hoch und warf mit einem halben Hechtsprung an seinem Schreibtisch. Rasch schaltete er seinen Laptop hoch. „Die Neuigkeiten sind überall. Ich kann nicht glauben das du mir nichts davon erzählt hast." Blake klang enttäuscht darüber das sein Freund diese Nachricht nicht zuerst ihm erzählt hatte. „Wer hat das Gerücht in die Welt gesetzt?" Während er ungeduldig darauf wartete das sein Laptop hochfuhr, öffnete er sein E-Mail-Postfach, um seinem Management eine Mail zu schreiben. Bis ihm einfiel das er keins mehr hatte. „Keine Ahnung, irgendeine Zeitung hat, was von einem anonymen Insider erzählt, der in deinem inneren Kreis ist." „Bullshit." Er schnaubte förmlich. Tatsächlich, fassungslos lehnte er sich so weit in seinem Schreibtischstuhl nach hinten das er beinahe umkippte. Die Schlagzeilen waren voll und lauteten unter anderem wie folgt;

Eiskunststar Davis Baker beendet seine Karriere

Von der Hoffnung auf Olympia zum Mörder

Davis Baker hört auf- die Konkurrenz freuts.

Er starrte auf die schwarzen Buchstaben auf dem weißen Hintergrund so lange bis seine Augen zu Tränen begannen und die Pigmente sich aufzulösen drohten. „Davis?" Quakte da Blakes Stimme aus dem Handy, den Davis zwischenzeitlich vollkommen vergessen hatte. „Du Blake ich muss Schluss machen." „Ja aber stimmen die Gerüchte???" Davis drückte ihn einfach weg und fixierte seinen Bildschirm. Er ging auf seine Sozial Media Profile, die bisher ausschließlich von seinem Management geführt worden waren und las sich die Kommentare durch. Es herrschte eine rege Diskussion und die Kommentarspalte schien sich in drei Gruppen zu teilen; diejenigen die ihn eisern verteidigten, diejenigen die ihn für einen Mörder und vollkommen überbewertet hielten und diejenigen die wirklich einfach nur verwirrt schienen. Er knetete seine linke Hand unruhig im Schoß hin und her während seine Augen über die Zeilen flimmerten.

Hat wohl Schiss das er auffliegt, bringt euch in Sicherheit, bevor er noch mehr Fans tötet. Geschieht dem kleinen Wichser ganz recht.

Außer laufen kann der doch eh nichts. Würde mich mal interessieren, wo er Roxana vergraben hat. #JUSTICEFORROXANAW

So und viel gemeiner lauteten unzählige Kommentare. Davis liefen Tränen über die Wange. Aus Zorn, aus Ungerechtigkeit, aus Wut auf diese ganze verdammte Situation die immer schlimmer zu werden schien und ihn nur noch weiter im Treibsand versinken ließ. Langsam Zeile für Zeile fing er an einen langen Text zu schreiben, erklärte sich, erklärte alles, was ihn in den vergangenen Tagen passiert war. Als er fertig war, war er komplett verschwitzt und zitterte am ganzen Körper, seine Zimmertür hatte er vorsorglich abgeschlossen, etwas das er sonst nie tat. Als irgendjemand anfing, wild an seiner Zimmertür zu klopfen, steckte er sich seine Kopfhörer ins Ohr und stellte Trampoline auf volle Lautstärke. Einer dieser Songs, den man eben nur anhören konnte, wenn einem wirklich danach war.

I've been havin' dreams
Splashin' in a summer stream
Trip and I fall in
I wanted it to happen
My body turns to ice
Crushing weight of paradise Lying in the cold


Summte er die Lyrics leise mit, während er sich seinen Aufsatz durchlas und dabei Zeichen für Zeichen löschte. Als er fertig war und nun wieder auf einen blanken schwarzen Hintergrund starrte, fühlte er sich so, als sei ein Teil von ihm einfach gestorben, als sei ein Teil seiner Onlinepräsenz in etwas übergegangen das sich nun gegen ihn wendete. Weil er aber etwas schreiben wollte, wählte er ein schwarzes Bild, auf das er die simplen weißen Letter it's all a lie tippte. Das postete er auf allen seinen Kanälen, während es ihn seine gesamte Selbstbeherrschung kostete, anschließend offline zu gehen, ohne sich nochmal die Kommentare seines Shitstorms durchzulesen. Auch wenn sich das alles so unwirklich und real anfühlte, hinter den Hasskommentaren steckten echte Menschen, vielleicht einige die ihn sogar kannten und die nun lieber Gerüchten glauben schenkten als ihn einfach zu fragen. Es klopfte erneut, was Davis erneut ignorierte, stattdessen spulte er das Lied nochmal und nochmal und nochmal ab. So lange bis ihm die Worte bereits zu den Ohren raus hingen.

STARDUST - 365 Tage mit dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt