O& D Autofahrt

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Die Türglocke schellte und im ersten Moment hatte sie gedacht es wäre ein Traum. Erst als das scheppernde Klingeln ein zweites und drittes Mal erklang öffnete sie unwillig die Augen, erhob sich und stieß sich prompt den Ellenbogen an der Schranktür, den sie ja vor einigen Tagen verschoben und seitdem noch nicht wieder zurückgestellt hatte. Schmerzen wie glühendes Eisen zuckten ihren Arm entlang, als sie genau auf den Knochen traf und einen Moment lang war sie überzeugt den Arm nie wieder nutzen zu kommen. Dann aber ebbte das Taubheitsgefühl ab und ein heftiges Kribbeln setzte ein. Na super. Von Pest zur Cholera. Während sie zur Tür schlurfte, denn das Klingeln kam ganz eindeutig von ihrer Tür, versuchte sie ein wenig Ordnung in ihre zerrauften Haare zu bringen. Nicht das es viel bringen würde. Doch der unerwartete Beuscher würde ihre Mühe sicherlich zu schätzen wissen. „Was machst du denn hier?" Entfuhr es ihr entgeistert. Nicht dass es sie nicht freute ihn zu sehen, aber nicht in diesem Aufzug barfuß und mit einem viel zu kleinen Schlafanzug, der an den Beinen so Hochwasser hatte, das es schon als Dreiviertel Hose durchgehen konnte. Er kratzte sich an der Nasenspitze. „Hast du schon geschlafen? Tut mir leid." Besonders mitfühlend klang seine Entschuldigung nicht. Also nahm sie ihm die auch nicht ab. „Natürlich habe ich das." Sie schenkte ihm einen ungläubigen Blick und winkte ihn dann herein, musste ja nicht das ganze Haus mitbekommen, das sie nächtlichen Besuch hatte. „Du weißt schon das wir zwei Uhr morgens haben? Normale Menschen schlafen da." Sie ging voraus in ihr Zimmer und er folgte ihr wie selbstverständlich. „Ich wollte dich sehen." Er stellte zwei unterschiedlich große Schachteln auf ihrem Schreibtisch ab. Sowie eine Flasche. Sie drehte ihm den Rücken zu und zog einen Fleece Pullover aus ihrem Schrank. Ich wollte dich sehen. Dieser simple Satz bewirkte das sich Schmetterlinge in ihrem Bauch breit machten, doch so leicht machte sie es ihm nicht. Sie verbarg ihr Lächeln hinter gespielter Verärgerung. „Wer weiß?" Er ließ sich auf ihr Bett sinken und klopfte die Decke glatt. „Ich wollte fragen, ob du Lust hast, ein wenig rumzufahren?" „Ich habe keinen Führerschein." Sie schaltete das Licht an ihrem Schreibtisch an und fand eine herumliegende Haarbürste. „Natürlich. Ich wollte fragen, ob Du Lust hast, ein wenig herumgefahren zu werden." Verbesserte er sich. Ihre Blicke begegneten sich im Schminkspiegel. „Was ist in den Schachteln?" Sie band sich ihre Haare zu einem hohen Zopf, während ihre Müdigkeit mit einem Mal wie weggefegt war. „Schokolade, Pizza, Weintrauben und Traubensaft. Ich wollte mir einen Vortrag über Alkohol am Steuer ersparen. Er grinste sie an. Seine weißen Zähne leuchteten unebenmäßig im Dämmerlicht. „Bestechende Vorsichtsmaßnahme. Scheint so, als hättest du an alles gedacht." Sie nickte zufrieden. „In diesem Fall kann ich wohl nicht nein sagen."


Das Rotlicht der Ampel flimmerte über die Wölbung des Glasdaches. Sie sah begeistert nach oben während die Wolkenkratzer rechts und links von ihnen in den Himmel zu ragen schienen. „Ich saß noch nie in einem Auto mit Glasdach." Sie war beeindruckt und aufgeregt. Beinahe fühlte es sich so an wie unter freiem Himmel zu fahren. Er lachte. „Na dann pass mal auf." Er gab Gas, raste viel zu schnell durch die Straße und sie jauchzte auf als die glitzernde Skyline zu einem glänzenden Hausband wurde und vor ihren Augen verschwand. An der nächsten roten Ampel drosselte er das Tempo und fuhr gemächlicher. So spät in der Nacht an einem Wochentag waren deutlich weniger Autos und Fußgänger unterwegs und so hatten sie ihre Freude daran durch die Stadt zu fahren, nun lenkte er den Wagen hinaus auf einen Highway, der von der Stadt fortführte. Sein Arm lag locker auf dem Handgelenk, die andere am Fenster abgestützt. Beinahe wünschte sie sich auf ihrem Schoß. Das beleuchtete Licht des Armaturenbretts tauchte sein Gesicht in einen bläulich violetten Schimmer. Sie fuhren über eine Brücke. „Sieh mal!" Olivia war begeistert. Rechts von ihnen am Ausläufer des Festlands stand die Freiheitsstatue. „Da lebe ich schon so lange in der Stadt und sehe sie doch so selten." Sie war glücklich. Er hingegen warf nur einen kurzen Blick darauf. „Ich finde nicht, dass sie was besonders ist." „Aber warum nicht?" Olivia war irritiert. „Sie verkörpert den Traum von Freiheit und ist für viele Menschen ein Sinnbild." „Freiheit ist nur eine Illusion, der wir uns hingeben." Hielt er dagegen. Wir Menschen sind nicht wirklich frei. Wir reden uns das nur ein und indem wir Statuen aufstellen und sie wie Götterbildnisse vergöttern, untermauern wir unsere Lüge nur." Erschüttert über seine Bitterkeit sah sie zu ihm rüber und sah, wie die Hand um das Lenkrad nun verkrampft dalag. „Ich denke nicht das Freiheit eine Illusion ist. Für viele ist es ein Traum, aber Träume helfen uns dabei am Leben zu bleiben und weiterzumachen. Sie sind gut und wir brauchen sie." Sie kaute nachdenklich auf einer Weintraube herum und dachte an das letzte Gespräch mit ihm in Park. Ihr Traum war es gewesen eines Tages Psychologin zu werden und in Griechenland zu leben. Hatte dieser Traum noch bestand? Und wenn nicht strafte sie dann ihren eigenen Worten nicht lügen? Denn wie konnte sie diese Meinung überhaupt noch vertreten, wenn sie keinen Traum mehr hatte?" Er schien über ihre Worte nachzudenken. Wieder einmal war sie fasziniert davon, wie vielschichtig und tiefgründig sein Wesen sein konnte. Er dachte, bevor er antwortete, und das gefiel ihr. „Ich habe Pläne und keine Träume." Antwortete er schließlich, lenkte den Wagen von der Brücke, schaltete das Radio ein und beendete das Thema somit. Ihr machte das nichts aus. Sie fuhren immer weiter durch die Vororte der Stadt, bis die Häuser immer spärlicher und die Landschaft üppiger wurde. „Wo fahren wir hin?" Sie sah auf ihren Schoß und stellte fest das sie beinahe die Hälfte der Weintrauben alleine gegessen hatte. Er lächelte. „Keine Ahnung, aber es fühlt sich gut an kein Ziel zu haben, oder? Sie fuhren etwa eine Stunde umher, fanden eine schöne kleine Aussicht die einen spektakulären Blick auf die nächtliche Stadt und die Freiheitsstatue bot. Doch anders als zuvor konnte sie sich über deren Anblick nicht mehr so freuen. Seine Worte hatten gemischte Gefühle in ihr hervorgerufen. Schließlich lenkte er den Wagen über den Highway wieder Richtung Stadt. Sie sprachen über alles Mögliche nur nicht seine Kindheit und seine Karriere. Jedes Mal, wenn sie darauf zu sprechen kam, wich er aus oder lenkte sie ab, indem er auf etwas in der Ferne deutete. Anfangs fiel sie noch darauf herein, bis ihr irgendwann das Licht aufging. Es war die Art wie er es machte, subtil und beinahe elegant. Wie er auf ihre Frage zwar antwortete, aber sehr allgemein und in Fakten oder weitere Erzählungen abwich, die nichts mehr mit dem eigentlichen Ereignis zu tun hatten. Und dann ihr eine Frage stellte. Andere hätten sich über so ein angeregtes Gespräch gefreut, dass er so an ihr interessiert war und Fragen stellte, doch sie wurde das Gefühl nicht los das diese Fragen eher einer kühlen Logik entsprachen und eine Taktik verfolgten. „Du redest nicht gerne über dich, oder?" Fragte sie schließlich ein wenig verstimmt und zog die Beine in dem bequemen Sitz an. „Was meinst du?" Er lenkte den Wagen in ihre Auffahrt und parkte in ein paar Bocks weiter in einem heruntergekommenen Hinterhof. Schlau. So ein teurer Wagen in so einer ärmlichen Gegend erzielte natürlich Aufmerksamkeit. „Nichts." Wiegelte sie ab, da sie keine Lust hatte auf eine Diskussion, die er eh nur gewinnen würde. „Willst du noch mit hochkommen?" Sie sah durch die Scheiben des luxuriösen Wagens auf die mit Abfall übersäten Vororte und war sich des Kontrasts nur umso deutlicher bewusst. „Gerne."



„Ich muss nochmal für ein paar Tage weg." Davis Gesicht schimmerte golden im Kerzenschein. „Wohin?" Oliva schluckte wenig begeistert eine Traube hinunter. Sie lagen gemeinsam auf dem Bett und da sie beide nicht das künstliche Licht hatten anschalten wollen, aber auch nicht im Dunkeln liegen, hatte sie sämtliche Kerzen, die sie besaßen auf ihrer Fensterbank und dem Schreibtisch verteilt. Sie lagen dicht nebeneinander, ohne sich zu berühren. Er warf eine Traube in die Luft und fing sie auf. „Nachhause. Es gibt ein paar Dinge, die mein Management mit mir klären muss. Außerdem liegt da noch ein Haufen verbrannte Erde rum, die ich beiseite fegen muss." Diese schöne bildliche Umschreibung bedeutete natürlich nichts anderes als das es noch ein Haufen Missverständnisse und Vorwürfe gab, die erklären musste. Würden wohl keine besonders angenehmen Tage werden. „Wann fliegst du?" Sie angelte nach dem Traubensaft und schraubte den Verschluss herunter. „Ich fasse es nicht das du ernsthaft Traubensaft mitgebracht hast, weil du dachtest ich würde dir einen Vortrag halten." „Hättest du denn etwa nicht?" Er runzelte spöttisch die Stirn. Sie nahm einen Schluck. „Doch hätte ich vermutlich." Er musste nichts sagen, sein Grinsen sprach Bände. „Wann fliegst du?" „Hmm." Er kratzte sich mit dem Finger am Kinn, während seine Füße angewinkelt in der Luft baumelten. „Heute schätze ich, ich will das so schnell wie möglich hinter mich bringen." Sie rollte sich ein wenig auf die Seite, um ihn besser ansehen zu können. „Und wann kommst du zurück?" „In einigen Tagen." Gab er vage zur Antwort. Also wusste er es auch nicht. Sie seufzte und er rollte über sie hinweg. „Hey." Protestierte sie, nicht weil er ihre Beine einklemmte, sondern weil ihr dieser kurze Körperkontakt sogar gefiel. „Tut mir leid, aber ich muss los." Er beugte sich über sie und sie dachte er würde sie küssen. Dann aber streifte er nur mit seiner Halsbeuge ihre Lippen, als er sich über sie beugte, um seinen Autoschlüssel von der Matratze zu nehmen. Zu unbedeutend und flüchtig, als dass es mehr als nur eine zufällige Berührung war. Eine Menge widersprüchliche Gefühle wirbelten in ihr herum, als sie zusah, wie er die Tür mit einem leisen klicken hinter sich ins Schloss fiel.

STARDUST - 365 Tage mit dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt