Ohlsen & Susanna

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Warum wollte er an die Absturzstelle, wenn er doch der Mörder war? Um Spuren zu verwischen? Um irgendwelche Erinnerungen heraufzubeschwören? Mike wurde aus dem Jungen einfach nicht schlau und dass dieser ihm wirklich leidtat, machte es nicht besser. So sentimental kannte er sich gar nicht und das ärgerte ihn. Zuerst hatte er vehement verneinen wollen als Davis diese Frage stellte, doch dann kam ihn ein Gedanken. Warum eigentlich nicht? So konnte er mehr Zeit mit diesem Jungen Mann verbringen und vielleicht brachte es ihn ja neue Erkenntnisse, die ihn entweder belasten oder entlasten würden. Denn obwohl immer noch alles auf die Schuld des Jungen hindeutete, war er, wenn er sich ehrlich war, überhaupt nicht mehr so sicher. Seine junge Kollegin hatte gerade Mittagspause, war aber nur zu gern bereit diese abzubrechen und mit ihnen an die mögliche Absturzstelle zu fahren. Und wurde sie nicht auch ein wenig verlegen, als sie den in Ungnade gefallenen Star sah? Hormone. Ohlsen verdrehte genervt die Augen. Sie rüsteten sich rasch aus, während er einen Beamten anwies seinen Privatwagen an den Hintereingang des Rathauses zu fahren. Das Police Department war mit einem unterirdischen Tunnel direkt mit dem Archiv des Rathauses verbaut und führte zu einem privaten Schutzbunker, der noch in Vorkriegszeiten errichtet worden war. Seit Jahren wurde dieser Gang nur noch dazu genutzt um prominente Verdächtige fern der Kameras unbemerkt ein und aus zu schleußen und Davis schien geradezu erleichtert als die Tür sich öffnete und kein Reporter zu sehen war. „Wir sollten unser Glück nicht zu lange auf die Probe stellen." Zischte Ohlsen und die anderen beiden nickten. Rasch stiegen sie in den Wagen mit den getönten Scheiben. „Das ist keine offizielle Angelegenheit, ich will also nicht das in den Akten auftaucht das ich mit dem Verdächtigen den Tatort besucht habe, ist das klar?" Wies er die beiden an, während er den Motor startete. Beide nickten. Ohlsen warf einer Jungen Kollegin einen Blick zu die noch immer in Uniform war. „Hast du in der Tasche neben der Schutzkleidung wie angewiesen Wechsel Kleidung?" Sie nickte. „Gut dann zieh dich um." „Für dich ist eine Mütze in der Tasche, schwarz." Wobei das eigentlich keinen Unterschied machte. Davis Haare waren so dunkel, dass sie durchaus als schwarz durchgehen konnten. Während Susanna sich ihre Bluse hochzog, streifte er Blick des Jungen ihre Brust. Ohlsen bemerkte er zwar, sagte aber nichts. Alle Infos, die er über den Verdächtigen sammeln konnte, waren gut. Seine Kollegin zog sich derweil einen braunen unförmigen Pullover an und band ihre Haare zu einem hohen Zopf. „Ist das deine erste Hasswelle?" Erkundigte sie sich an Davis gerichtet. Dieser presste verächtlich die Lippen zusammen, nickte aber. „Wie geht man mit sowas um? Ich könnte sowas glaub nicht. Dein Handy entsperrt und tausende von Leuten zu sehen die nichts anderes zu tun haben als über mein Leben zu lästern." „Gehört wohl zum Job, muss man durch." Eindeutig wollte er keine Unterhaltung führen bei seinen knappen Antworten. Zudem klang seine Stimme merkwürdig heißer, was die Mädels sicher als attraktiv empfanden, für Ohlsen hingegen klang der Junge aber krank und am Ende seiner Kräfte. „Was liebst du am Laufen so sehr?" Susanna schien nicht bereit das Gespräch enden zu lassen. Im Rückspiegel sah Ohlsen wie sich ein fahles Glimmen in die kalten Augen des Jungens schlich. Beinahe so, als würden sich erste Sonnenstrahlen durch einen eisigen Wintermorgen bahnen. „Die Perfektion. Jeder Schritt ist genau bemessen, jede Handbewegung ist auf dich zurückzuführen. Baust du einen Fehler versaust du den ganzen Lauf und dir wird die Konsequenz deines Handelns mit voller Härte bewusst." „Klingt ja ganz so, als würdest du dich mit Absicht bestrafen wollen." Sie beugte sich von und spielte an dem Thermostat am Armaturenbrett rum. „Pff. Das sagt nur jemand der noch nie nach wahrer Perfektion gestrebt hat." Der Eiskunstläufer schnaubte und sah abwesend aus dem Fenster. „Ich glaube in meinem Job läuft viel auf Gründlichkeit hinaus, das ist meine Art von Perfektion." Susanna klang schnippisch. „Wir sind da. Näher kommen wir nicht." Unterbrach Ohlsen den Schlagabtausch der beiden. Er parkte seinen heiß geliebten Dienstwagen so nah am Waldrand wie es ihm möglich war, aber dennoch weit genug entfernt von den Dornen die eventuell Kratzer in seine Stoßstange machen könnten. Die drei stiegen aus und Ohlsen aktivierte seine Onlinekarte. „Kannst du uns zu dem Ort führen, an dem du aufgewacht bist?" Auch wenn er sich an dem trüben Herbsttag schöneres vorstellen könnte als im feuchten Wald rumzulaufen. Die Luft war klamm und von kleinen Tröpfchen besetzt. Der Himmel war eine einzige formlose graue Masse. Davis ging wortlos voran, doch so entschieden das sich Ohlsen unwillkürlich fragte, ob er nochmal hier gewesen war. Er zumindest hätte es getan. Über einen umgestürzten Baumstamm schwang er sich einfach locker hinweg und ging weiter. Ohlsen und seine Kollegin brauchten etwas länger, um über das Ungetüm von Baum zu klettern. Eiskunstläufer müsste man sein." Murrte Susanna als er der Waldboden unebener wurde und sie aufpassen mussten auf dem nassen Laub nicht auszurutschen oder sich in einer abstehenden Wurzel zu verfangen. Nach etwa einer Viertelstunde erreichten die Kommissare den Ort, an dem sie das Handy und Spuren von Kleidungsfasern gefunden hatten. „Hier habe ich sie das letzte Mal gesehen, hier hatten wir den Sex", er deutete auf den Stamm einer breiten Eiche und wies dann wieder weg. „Sie ist gegangen, ich bin eingeschlafen, und dann nachhause gelaufen." Er atmete scharf durch und stemmte die Hände in die Hüften. „Die Geschichte ändert sich nicht, egal wie oft ich sie noch erzählen werden." Susanna machte mit ihrer Kamera einige Fotos, sicherheitshalber. Ab dann übernahm Ohlsen und Davis fiel etwas weiter zurück. Nachdem sie etwa zwanzig weitere Minuten durch den herbstlichen Wald marschiert waren, war allen Anwesenden die Kälte bereits unter die Kleidung gekrochen. Der Kommissar knöpfte seinen Mantel zu, der bereits beachtlich spannte und wünschte er hätte schon seinen Wintermantel angezogen. „Ab jetzt Vorsicht. Es ist rutschig und wir betreten nach wie vor einen potenziellen Tatort." „Der aber bereits wieder freigegeben ist, sonst wäre nach wie vor ja alles mit Absperrband versiegelt, nicht wahr?" Meldete sich Davis zum ersten Mal wieder zu Wort. Er trat an dem Kommissar vorbei. Besah sich den Wald, der so aprubt endete, als hätte man ihn in zwei Teile geschnitten. Felsen türmten sich vor ihnen und mündeten in einen scharfkantigen Spalt, schmal alles in allem keine zwei Meter, aber doch breit genug damit ein menschlicher Körper hineinstürzen könnte. Auf der anderen Seite des Waldes wuchsen die Tannen lichter, der Boden war mit Moos bedeckt und glänzte vor Nässe. Immer wieder ragten scharfkantige Felsbrocken meterhoch auf, ganz so, als hätte ein Riese sein Gebiss zwischen den Bäumen auf den Boden geschlagen und einige Zähne verloren. Ohlsen trat so nah an die Schlucht wie er wagte und starrte an den Steinen vorbei in die tiefe. Die Schlucht wurde nach unten hin breiter und mündete in ebendiesen Bach, der das Mädchen fortgespült hatte. „Wir könnten eine Dummytest machen, um zu sehen, ob sie gestoßen wurde oder gefallen ist, vielleicht bringt uns das ja was." Schlug seine Kollegin vor. „Gute Idee." Er sah anerkennend auf, ein wenig beschämt das er das nicht selbst erkannt hatte. Es knackte als hinter ihm jemand auf Zweige trat. Susanna und Ohlsen drehten sich gleichzeitig zu Davis um der einige Schritte nach hinten gegangen war. Das Gesicht in höchster Konzentration angespannt, die eisblauen Augen starr auf die gegenüberliegende Seite gerichtet, nahm er die wenigen Schritte Anlauf und rannte los. „Nein!" Susannas Schrei klang schrill in seinen Ohren, als er tatenlos mitansehen musste, wie der Junge seinen Oberkörper nach vorne bog und absprang. Wie ein Raubtier auf dem Sprung zu seiner Beute schellte er mit absoluter Präzision und Körperspannung über den Abgrund und kam mit den Händen zuerst auf einem Felsen auf. Er bremste seinen Schwung ab und nutzte den restlichen dazu um halb klettern halb schwingend über die Felskante zu gelangen. Seltsamerweise hatte der Kommissar ausgerechnet in diesem Moment ein Bild vor den Augen, wo er den Eiskunstläufer auf dem Eis gesehen hatte, wie der einen mehrfachen Salto gesprungen war. Er beruhigte sich ein wenig. Natürlich war der Junge ein ausgezeichneter Turner und wenn jemand solch einen Sprung schaffte, dann er. „Bist du irre?" Brüllte Susanna geschockt. Ohlsen brachte sie mit einem knappen Wink zum Schweigen. „Ich glaube, wenn der Junge eins beherrscht, dann ist es das Gefühl über seinen Körper", erklärte er der Polizistin, die nickte und eben dasselbe gedacht zu haben schien. „Trotzdem eine Vorwarnung wäre nett gewesen." Murrte sie. Da konnte Ohlsen ihr nur zustimmen.



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