Olivia wachte am nächsten Tag früh auf. Draußen war es noch dunkel. Die Straßenlaternen brannten. Sie warf einen Blick auf die Uhr und sah das es gerade 5:30 war. Sie gähnte ausgiebig, noch nie in ihrem Leben war sie so früh aufgewacht. Ein rascher Blick auf den neben ihr schlafenden Jungen. Der fahle Schein der Laternen zeichnete deutliche Spuren der Erschöpfung auf seinem Gesicht. Eingefallene Gesichtszüge, dunkle Schatten unter den Augen. Anscheinend brachte es nichts reich zu sein. „Geld macht eben nicht glücklich." Murmelte sie vor sich hin und wurde sich der Tragweite des Satzes erst so richtig bewusst als ihr Blick auf ihm ruhte. Als hätte er gespürt, dass sie ihn beobachtete, schlug er flackernd die Lieder auf. Selbst bei der Dämmerung faszinierte sie das kühle blau seiner Augen das fluoreszierend durch die dichten Wimpern zu stechen schien. „Was ist?" Er lächelte müde. Sie konnte nicht anders, musste einfach zurücklächeln. „Ach nichts. Wir sollten wieder versuchen etwas zu schlafen." Statt einer Antwort nickte er und schien innerhalb weniger Sekunden eingeschlafen. Ein wenig neidisch auf seine Fähigkeit scheinbar in so kurzer Zeit einzuschlafen, kuschelte sie sich neben ihn und spürte, wie sich seine Hand auf ihre Taille legte. Also schlief er doch nicht. Sie grinste in sich hinein, bis sie wirklich einschlief. Als sie das nächste Mal die Augen aufschlug, war es später Mittag und fadenscheiniges Licht fiel durch die Vorhänge. Sie konnte seinen Atem über ihren Hals streichen spüren. Eine Hand ruhte auf ihrer Taille. Sanft. Bestimmend. Diese Geste erinnerte sie daran wie sich zum ersten Mal getroffen hatte und er sie in den Wohnwagen gestoßen hatte. Auch da hatte seine Hand auf derselben Stelle gelegen. Ein Lächeln zuckte über ihre Züge. Da es ihr wie ein Traum vorkam, blieb sie still liegen und wagte nicht über die Schulter zu sehen aus Angst er wäre nicht wirklich da. Doch schließlich vernahm sie ein tiefes ungleichmäßiges Atmen. Sie drehte sich vorsichtig um, bemüht ihn nicht zu wecken. Er war blass, zuerst schob sie es auf das schlechte Licht, doch dann sah sie feine Schweißtropfen auf seiner Stirn perlen. Seine Stirn glühte. „Davis?" Sie rüttelte ihn an der Schulter. Erst vorsichtig darauf bedacht auch die richtige Schulter zu erwischen doch dann fester. „Davis bitte mach die Augen auf." Flehte sie, als er immer noch nicht reagierte. Als seine Hand schließlich nach ihrer tastete, wurden ihre Beine vor Erleichterung so weich, dass sie sich hätte, setzen müssen, wenn sie das nicht schon lange getan hätte. Seine Lider öffneten sich ein winziges Stück und sie sah das sein Blick zwar den ihren suchte, sie aber nicht richtig fokussierte. „Lass mich bitte einfach schlafen. Egal wie lange es dauert, ja?" Bat er sie und drehte den Kopf ein wenig zur Seite. Sie sprang nervös auf, nahm ein paar Sachen aus dem Schrank und ging ins Bad, um sich zu duschen. Das Fenster zu öffnen, obwohl die Luft wirklich stickig war, wagte sie nicht, aus Angst damit sein Fieber noch mehr zu entfachen. Sie duschte erst heiß und solange bis der Beuler ausging und eiskaltes Wasser ihr in Schauern über den Rücken lief. Quiekend sprang sie aus der Dusche, rubbelte sich die Haare trocken, zog sich rasch an und meldete sich für die nächsten drei Tage krank. Vorsichtshalber. Ihr Pech war nur das sie Joey höchstpersönlich erwischte. Und der Ladenbesitzer schein auf keinem guten Fuß aufgestanden zu sein. „Weiber." Schnauzte er sie so laut durch das Telefon an. „Die eine erscheint einfach nicht zur Arbeit, die andere muss unbedingt schwanger werden und die dritte wird jetzt unbedingt auch krank." „Ich hab's mir nicht ausgesucht." Gab Olivia etwas kratzbürstig zurück, wobei sie beinahe vergaß, krank zu klingeln. Schnell schob sie ein Hüsteln hinterher. „Ich mach auch Sonderschichten, wenn ich wieder gesund bin." Schob sie hinterher. „Hmm. Na, dann werde schnell wieder gesund Mädel." Hörte sie Joey schon versöhnlicher durch den Hörer brummen. „Mach ich und danke." Rasch legte sie auf, bevor Joey ihr noch weitere Sonderschichten aufbrummen konnte. Sie sah kurz zu Davis ins Zimmer rein, doch der schien noch tief und fest zu schlafen. Also ging sie in die Küche, machte sich einen starken schwarzen Kaffee, setzte sich auf einen Küchenstuhl und zog die Beine zwischen Stuhl und Tischkante an. Oliva starrte in die tiefschwarze Oberfläche des Kaffees, unschlüssig was sie tun sollte. Davis unerwartetes Auftauchen und sein Geständnis hatte sie tief berührt und fasziniert. Sie hatte genau gemerkt, wie rau und ungelenk seine Worte gewesen waren. Ganz so, als hätte er sie das erste Mal in seinem Leben ausgesprochen. So vorsichtig hatten sie seine Lippen gestreift. Dass er dieses Geheimnis nun ausgerechnet mit ihr teilte trieb ihr beinahe Tränen in die Augen. Diese Art von Vertrauen war etwas das man einem Fremden auf der Straße nicht einfach so entgegenbrachte. Aber irgendwie schienen sie ihre gesamte Beziehung komplett von hinten aufgerollt zu haben. Also das Kennenlernen und die damit verbundenen Unsicherheiten hatten sie einfach übersprungen. Ebenso die Entscheidung ob aus ihnen Freunde oder Liebende werden würde. Doch was waren sie jetzt? Wie standen sie zueinander? Sie hatten nicht darüber gesprochen und ansprechen würde sie es jetzt garantiert auch nicht. Sie wollte nichts tun das dieses rohe starke Band des Vertrauens zwischen ihnen ausfransen lassen könnte. Vermutlich waren sie genau das, was ihre Freundin Sirena so treffend beschrieben hatte: Seelenverwandte. Übertrieben schien ihr das in diesem Moment nicht. Davis war mit seiner kalten, beherrschenden und doch so besitzergreifenden Art einfach so in ihr Leben gestürmt. Wortwörtlich und bildlich. Er war wie eine riesige Welle, die über ihrem Kopf zusammengeschlagen war und nun eine Flutwelle durch ihr Dorf trieb. Doch anstatt einfach alles auseinanderzureißen und in Tausende Teile zu sprengen, hatte er ihre Trümmer an einen Platz gespült und ihre Straßen gesäubert. Die Straßen waren wieder frei und befahrbar. Seine bloße Präsenz und seine eigenen Probleme ließen ihre wieder in einem nüchternen Rahmen erscheinen. Es half ihr darüber hinwegzusehen, dass es auch andere Menschen geschafft hatte, beruflich und privat zu vereinen und nicht für eine Sache das gesamte Leben und sämtliche Träume aufzugeben. Anscheinend war es nun an ihr ihm zu helfen. Obwohl er ihr versichert hatte, dass sie nichts anderes tun könnte als Nichtstun und dazusitzen fühlte sie sich schrecklich hilflos. Sie wollte nicht in ihr eigenes Zimmer gehen, was Blödsinn war. Schließlich war es ihr Zimmer, aber irgendwie fühlte es sich doch so an, als würde sie in seine Privatsphäre eindringen. Sie schnaubte über sich selbst. Lächerlich. Da sie wirklich nicht nur rumsitzen wollte, nahm sie das wenige Geld aus dem Portemonnaie und machte sich auf zu dem kleinen Laden die Straße runter. Sie kaufte Kartoffeln, Maggi Gemüse, Karotten und ein Suppenhuhn und machte sich daran die Suppe zu kochen, die ihre Mutter ihr und ihrem Bruder als Kinder immer gekocht hatte, wenn sie krank waren oder sich erkältet hatten. Sie musste die Brühe zweimal aufsetzen da sie sie beide Male komplett versalzte. Unfassbar, da arbeitete sie in einem Diner, und ihre Kochkünste konnten sich neben den ihrer Technikkünste auf einer Leiter stellen. Auf der untersten Leiter. Tief unten in einem unterirdischen Keller. Irgendwo hinter dem Erdkern. Um sich abzulenken, summte sie einen alten Popsong, den sie vor Wochen aus irgendeinem Autoradio gehört hatte. Nun klebte der Song so hartnackig in ihrem Gehörgang fest wie die Pfannkuchenteig Reste an der Decke. Unnachgiebig. Als sie es beinahe aufgegeben hätte, befand sie ihre Suppe schließlich für essbar. Was einem hohen Kompliment gleich kam. Sie füllte die noch heiße Suppe in einen Teller und stellte sie auf ein Tablett. Er schlief noch als sie in das Zimmer kam. Sie blieb zuerst ein wenig unschlüssig stehen, stellte dann das Tablett aber auf dem Schreibtisch ab, zog eine zusätzliche Decke hervor und legte sie über seine Schultern. Vorsichtig um sie ihn nicht zu wecken, zog sie den Rollladen nach oben und öffnete das Fenster. Frische kühle Luft strömte herein und vertrieb die warme stickige Luft, die nach Staub und altem Karton roch. Olivia saß für einige Minuten reglos am Schreibtisch gelehnt, das Tablett mit der duftenden Suppe neben sich, ohne jedoch selbst den geringsten Hunger zu verspüren. Ihr Blick ruhte auf ihn. Auf dieser Haut die eigentlich einen schönen warmen Goldschimmer hatte, nun aber blass und sehr weiß war. Die Augenbrauen, die so dicht und dunkel waren, dass sie ebenso wie seine Haare beinahe schwarz wirkten. Irgendwann wurde es ihr zu unheimlich ihn weiter anzustarren und sie beschloss das die Luft nun frisch genug war. Sie ließ den unberührten Teller fast kalter Suppe auf dem Tisch stehen und verzog sich ein wenig unschlüssig ins Wohnzimmer. Erst tigerte sie ein wenig unruhig auf und ab, ließ sich schließlich auf die Couch fallen und zappte durch nichtssagende TV-Sendungen.

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STARDUST - 365 Tage mit dir
Mystery / ThrillerEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...