O&D Vancouver

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Sie schien bereits gewartet auf ihn zu haben, als er durch die großen Eingangstüren des JFK trat. Neben sich stand ein pinker Rollkoffer, der das große Abbilds einer Dogge im Tutuu zeigte. Davis verkniff sich ein Grinsen, als er den geschmackslosen Koffer sah. „Sag kein Wort." Warnte sie ihn und kniff bedrohlich die dunklen Augenbrauen zusammen. „Würde ich doch nie tun." Dementierte er. Würde man ihn nicht genauer kennen könnte man ihn in diesem Moment für einen absoluten Unschuldsengel halten, doch sie interpretierte das verschlagene Funkeln in seinen Augen richtig und zog eine Braue so weit nach oben das ihr silbernes Piercing beinahe unter dem Haaransatz verschwand. „Du könntest dir ein Pony schneiden. Würde dir glaub ich gutstehen." Schlug er vor, als sie dir riesigen Auskunftstafeln studierten, und zu ihrem Gate gingen, wo das Boarding noch nicht begonnen hatte. „Ich muss mir erst überlegen, ob mir das noch steht." Gab Olivia zurück und blieb kurz stehen, als sie auf einer Werbereklame die glänzende Fassade Vancouvers sahen. „Oh Mann ich kanns immer noch nicht fassen." Seufzte sie. Sie sah ihn vorsichtig an. „Falls das nur einer deiner Tricks ist, dann sag es mir bitte jetzt, ansonsten freue ich mich wirklich darauf." Er registrierte, wie sie die Hand fest um den Trolley des Koffers klammerte. Ganz so, als würde er sie wirklich nur verarschen. Davis schüttelte ungläubig mit dem Kopf und fischte statt einer Antwort die Bordkarten hervor. „Sonst hätten wir die ja wohl nicht, oder?" „Oh Mann, ich kanns immer noch nicht glauben." Sie lächelte glücklich. „Ja das sagtest du bereits." Gab er amüsiert zurück. Als sie beieinander im Bus zwischen den anderen Reisenden standen, verriet er ihr die Überraschung. „Wir sind aber nur die erste Nacht in Vancouver selbst. Die zweite verbringen wir in einer einsamen Hütte in einem der Nationalparks. Ich dachte wir müssen mal was anderes sehen als nur Hochhäuser." „Du hast recht. Skyline ist ja so langweilig. Wer will schon glitzernde Hochhaustürme sehen, wenn man stattdessen Kühe, Wiesen und nasse Socken haben kann?" Sie sah ihn todernst an. „Du hast absolut recht." Pflichtete er ihr bei, wobei sich einer seiner Mundwinkel leicht verzog. „Nasse Socken sind das beste bei einer Urlaubsreise, eine Attraktion, die bei Trip Advisor ganz oben auf der Liste stehen sollte. Allerdings glaube ich nicht das du in Kanada mitten im November so viele Kühe findest." Sie passierten das Gate und verließen das Gebäude. Er legte einen Arm um ihre Schulter als die Türen des Busses sich öffnete.


Vancouver entpuppte sich als glänzende, saubere und hochmoderne Stadt mit vielen gläsernen Fassaden und Hochhäusern. Und sie sich als schlechte Reisebegleitung. Da sie in ihrem Leben noch nie geflogen war, hatte sie nicht wissen können, ob sie unter Reiseübelkeit litt oder nicht. Davis hatte ihr bereitwillig den Fensterplatz überlassen und es kurz darauf augenscheinlich schon bereut. Erst musste sie aufs Klo, weil sie musste, dann weil ihr übel war und wieder, weil sie musste. So ging das den ganzen Flug durch im unregelmäßigen Takt und zum Schluss hatte er schon scherzhaft bemerkt das er ab jetzt Zollgebühren für jedes passieren auf ihren Sitz nehmen und damit sicherlich ihre Reise finanzieren könnte. Außerdem hatte er die Beine angezogen, sodass sie schneller auf den Gang konnte. Eine Geste, die sie zu schätzen wusste, vor allem als die Maschine von leichten Luftverwirbelungen erfasst wurde und ihr sofort so übel wurde, dass sie es nur mit Mühe und Not zur Toilette schaffte. Ihren Fensterplatz hatte sie trotz allem nicht aufgeben wollen. Denn so schnell, das wusste sie sicher würde sie nicht mehr fliegen. An den Rückflug dachte sie lieber gar nicht erst. Vielleicht konnte sie ihn dazu überreden stattdessen zu trampen oder den Zug zu nehmen. Seinen prekären Gesichtsausdruck auf diesen Vorschlag malte sie sich gerade in allen Farben aus als sie an einem Schokoladenfachgeschäft blieben. „Wahnsinn." Ihr blieb der Mund offenstehen. 3.76 Dollar für eine Praline. „Ist das teuer!" Entfuhr es ihr. Er warf einen Blick auf das Schaufenster und zuckte mit den Schultern. „Ich war mal einige Zeit in Norwegen, dagegen ist das hier kaum der Rede wert." „Warum warst du in Norwegen auf?" Sie konnte sich momentan nicht entscheiden, was sie faszinierender fand, dass er den Preis für eine Kugel Schokolade mit einem Schulterzucken abtat, oder er einer der weit entfernten Europäischen Länder mit solch einer Selbstverständlichkeit nannte. „Familie." Er zuckte nichtssagend mit den Schultern. „Du hast Verwandte da?" „Nein nicht direkt." Er nahm ihre Hand und öffnete die Tür des Ladens. „Komm ich kauf dir ein paar." Von ihm mitgezogen stolperte sie die drei Stufen hoch ins Ladeninnere. Ursprünglich hatte sie gedacht, dass sie gut darin war vielversprechende Gespräche im Keim zu ersticken, doch da hatte sie ihn noch nicht getroffen. Ab jetzt war sie wohl die Zweitplatzierte. Im inneren des Ladens roch es verführerisch nach dunkler Schokolade, Orange und einer undefinierbaren Masse aus anderen Kombination aus Gewürzen und Früchten. Da sie keine Ahnung was schmeckte, ließ sie ihn wählen. Er wählte sich scheinbar ziemlich zielsicher durch das große Sortiment. Denn der Verkäufer, der ihren Einkauf in die Kasse eintippte, verkündete mit Inbrunst seine Überzeugung er habe eine sehr gute Wahl ausgesucht. Davis zahlte mit Karte, der Menge nach zu urteilen, etwa zehn Pralinen war der Preis wohl auch dementsprechend teuer, doch das wollte sie gar nicht so recht wissen. Hand in Hand verließen sie den Laden und er bot ihr eine an. Olivia wählte Erdbeere, Safran, Yuzu und war beeindruckt. „Du hast recht, sie schmecken himmlisch. Auch wenn ich mir immer noch nicht sicher bin, ob sie ihren Preis wert sind." Verkündete sie und schob sich die restliche Praline in den Mund. Er zuckte gelassen mit einer Schulter. „Was ist das heutzutage schon?" „Ja das hast du recht." Murmelte sie leise. Sie schlenderten gemächlich weiter. Die Sonne schien, reflektierte von den blitzenden Glasfronten und ließ die Stadt noch edler und moderner wirken. Doch der scharfe Wind, der zwischen die Häuserschluchten fuhr, trieb ihr Tränen in die Augen. Sie kaufen zwei Paar Winterschuhe, dicke Mäntel und Mützen für sich. Einigermaßen gut ausgerüstet liefen sie noch einige Stunden durch die Straßen, besahen sich alles, bis sie in einem gemütlichen Café Halt machten und sich etwas zu essen bestellten. Sie kamen gut miteinander aus, obwohl sie noch nie zuvor so viel Zeit miteinander verbracht hatten, und auch sonst ziemlich unterschiedliche Interessen hatten. Sie stellte überrascht fest das sie sich sehr für den kulturellen Teil, die vielen Skulpturen und die Geschichten der Stadt interessierte. Er eher weniger. Als sie schließlich in ein Nationalmuseum gehen wollte, sträubte er sich erst, folgte ihr zuliebe aber. Während sie begeistert von Ausstellungsraum zu Ausstellungsraum wanderte, folgte er ihr etwas langsamer und weniger begeistert, nur in einem Raum mit vielen schwarz-weiß Fotografien machte er Halt. Er zeigte die Geschichte Canadas mit Eishockey. Sie beobachtete, wie er wehmütig auf die Skates der Läufer starrte und dabei tief in Gedanken versunken wirkte. Als er bemerkte das sie ihn ansah riss er den Blick los und setzte eine unbeteiligte Miene auf. Auch wenn sie den rohen Schmerz deutlicher als jede andere Emotion auf seinen Zügen hatte blitzen sehen, tat sie ihm den Gefallen und sprach ihn nicht darauf an. Als der Abend anbrach und es deutlich kälter wurde, lud er sich in ein kleines gemütliches Restaurant zum Essen ein. Die Lichter in dem Lokal waren gedimmt und verströmten einen warmen gelblichen Schein. Olivia und Davis saßen sich gegenüber und nippten an einem Weißwein. „Hat es eigentlich einen Grund, warum wir den Trip machen? Ich dachte du brauchst noch mehr Zeit zum Erholen." Sie sah ihn über den Rand ihres Weinglases hinweg an. Der warme Schein der Lampe brach sich in seinen eiskalten Augen. Wie immer, wenn sie ein wenig zu lange hinsah, spürte sie beinahe wie die Umgebungstemperatur ein wenig kühler zu werden schien. Sie hatte nie an den Effekt von Eisaugen geglaubt, doch selbst, wenn er lachte, schienen sie wie schneidender Stahl zu blitzen und offenbarten eine Tiefe, die er wohl lieber verborgen hielt. Davis sah sie nicht an, wirkte aber nachdenklich. Der Kerzenschein umschmeichelten die Konturen seiner schmalen gerade Nase, offenbarten eine schmale Narbe die ihr bisher noch nicht aufgefallen war. Er griff nach seinem Glas und schwenkte die Flüssigkeit ein wenig herum. Der Wein schlug perlend gegen den Glasrand. Und dann erzählte er ihr alles. Wie er mit dem Laufen begonnen hatte, die Anschuldigungen, die gegen ihn erhoben wurden und wie er nach New York gekommen war. Einmal ins Reden gekommen schien er beinahe erleichtert zu wirken. Seine Stimme war leise, klang aber aufrichtig. Sie hörte zu, erst ehrfürchtig und dann zunehmend geschockt. Im Vergleich dazu, was er bereits in seinen jungen Jahren durchlebt hatte, wirkte er sehr reif. Kein Wunder, das, obwohl sie älter war als er, er problemlos als der Gebildetere dastand. Während er sich ihr öffnete und sie zuhörte, nippte sie an ihrem Wein und merkte das er ihr zunehmend gefiel. Auch wenn sie sich von Personen seines Charakters lieber fernhielt. Zu viele Probleme. Sie hatte genug Eigene. Das der Kellner, wer weiß wie lange schon, neben ihnen stand und auf ihre Bestellung wartete, merkte sie erst als dieser sich höflich räusperte. „Verzeihung." Verlegen und mit hochroten Wangen wandte sie sich rasch der Speisekarte zu und bestellte ein Nudelgericht. Davis nahm dasselbe nur mit Trüffel. Als der Kellner weg war schob er die Karte von sich und lehnte sich zurück. „Ich habe noch nie jemandem meine gesamte Geschichte so vollkommen erzählt." Er sprach zwar mit ihr, doch schien die Worte vor allem an sich selbst gerichtet zu haben. Sie war da nicht überzeugt. Seine Geschichte war ehrlich und aufrichtig, schlossen aber viele Details aus. Seine merkwürdige Krankheit, seine Schmerzen, die Schreie die ihre Mutter gehört hatte. Doch sie wollte ihn nicht drängen. Zumindest redete sie sich das ein. In Wahrheit aber war sie feige. Man hörte sich nicht einfach die tiefsten Geheimnisse einer Person an und machte dann weiter, wo man aufgehört hatte. Sie würde nicht einfach weitermachen können, und sie würde ihn unweigerlich mit anderen Augen betrachten. So viel Nähe und Intimität war erschreckend. Auch wenn seine Worte nichts mehr für ihn selbst verändern, vermochten, sie hatte es verändert. Ihre Vergangenheiten waren so unterschiedlich und doch fanden sich in ihnen so viele Parallelen, das es ihr ein merkwürdiges Kribbeln. Daher ging sie kaum auf seine Geschichte ein und schlug einen lockereren Tonfall an. Während sie aßen, erzählte sie ihm von ihrer Arbeit beim Diner, wie sehr sie sich auf Sirenas Baby freute und welche Sorgen sie sich um ihre beste Freundin machte. Er unterbrach sie nicht, stellte auch sonst keine Fragen, nippte nur ab und zu mal aus seinem Wein. Der aufmerksame Blick aus seinen klaren blauen Augen machte deutlich, dass er ihr wirklich aufrichtig zuhörte. Sich wirklich für ihre Geschichte zu interessieren schien. Was sie in Verlegenheit brachte. „Rebecca, die Rothaarige die so schlecht Auto fährt?" Fuhr er ihr nur einmal feixend dazwischen und tupfte sich den Mundwinkel an einer Serviette ab. „Haha." Machte sie trocken. „Sag ihr das nur und du darfst für den Rest deines Lebens laufen." Er lachte. „Ach was. Ich fands nett von ihr das sie mich mitgenommen hat." „Warum machst du dir Sorgen um sie?" Sein Blick wirkte erneut so aufrichtig, so ehrlich, dass sie beschloss, das es an der Zeit war sich nun jemandem anzuvertrauen. Sie schob ihren lauwarmen halbvollen Teller ein wenig zur Seite und stützte die Ellenbogen am Tisch auf. Während sie ihm vom Escort Service, dem 24/8, Louis und den Plänen ihrer Freundin erzählte, wirkte er nachdenklicher. „Du glaubst er zwingt sie zur Prostitution?" Schockiert das er das in wenigen Worten zusammenfasste, was sie sich nicht mal zu denken erlaubt hatte, starrte sie ihn einige Sekunden lang an. „Ich würde nicht so weit gehen zu sagen das es wirklich Prostitution ist, aber ja. Würde ich." Sie atmete bei diesem Geständnis tief durch, kam aber nicht umhin das schlechte Gewissen zu spüren, sie hätte ihrer Freundin soeben ein Messer in den Rücken gestochen. Davis sah sie ernst an. „Das sind schwerwiegende Anschuldigungen." Erklärte er langsam, jedes Wort sichtlich wohlüberlegt. „Aber ich kann das nachprüfen." „Wie willst du das denn nachprüfen?" Erkundigte sie sich konsterniert. Er winkte nur ab. Schien nicht darüber sprechen zu wollen. „Lass mich nur machen."

STARDUST - 365 Tage mit dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt