„Aufwachen." Jemand rüttelte an ihrer Schulter. Sie schrak hoch, im ersten Moment überzeugt einen Einbrecher vor sich zu haben, doch dann fielen ihr die vergangenen Szenen wieder ein. „Wie spät ist es?" Sie gähnte herzhaft und warf einen verstohlenen Blick auf ihren Retter von dem sie in der Dunkelheit nicht mehr als einen dunklen Umriss ausmachen konnte. „Vier." „Aha." Vier sagte ihr gar nichts. Bedachte man allerdings wie viel Zeit seit dem Verlassen des Hauses ihrer Freundin vergangen war, war es wohl vier Uhr morgens. Sie gähnte erneut. „Ich kann es nicht fassen das ich eingeschlafen bin." Müde sah sie sich um und wischte wirre Haarsträhnen aus der Stirn. „Du hast geschnarcht." Sie hörte, wie der Fremde grinste. Sie hielt einen Augenblick lang inne, erschrocken und überlegte. „Nein habe ich nicht." Meinte sie dann mit aller Entschiedenheit und ließ vorsichtig ihre verkrampften Schulterblätter ausknacken. „Stimmt." Er ließ offen, ob er ihr damit Recht gab oder einfach nur der Diskussion überdrüssig war. „Wohnst du hier in der Gegend?" Sie kletterte aus dem Bett, schwankte, streifte mit dem Ellenbogen seine Brust und hielt sich an etwas fest das wohl einst eine Küchenzeile gewesen sein mochte. Er atmete scharf ein. „Gebe ich etwa so ein erbärmliches Bild von mir?" „Um ehrlich zu sein schon." Der Sarkasmus in seiner Stimme zog sich wie ein schwielenbrand über ihren verletzten Stolz. Sie zog den Stoff ihrer zerrissenen Jeans herunter und konnte kaum glauben das sie hier standen und herumalberten da vor ein paar Stunden noch auf sie geschossen wurde. Nicht direkt. Aber die Schüsse hatten ihnen gegolten. Das lief wohl also auf dasselbe hinaus. Sie versuchte sich abzulenken, indem sie ihn frech angrinste. „Du siehst aus wie ein Waldschrat, sollte der Retter edler Damen nicht eigentlich ein feiner Prinz sein und stattdessen bekomme ich einen Holzfäller?" Er beachte sie mit einem Blick, der in der Dunkelheit kaum zu deuten war und zog eine Augenbraue hoch. „Dann würde ich mal sagen das wir Nachbarn sein könnten." „Oha Touché." Dem hatte sie nichts entgegenzusetzen. Nach einer Nacht unter der stinkenden Decke roch sie vermutlich selbst wie der größte Sumpf. Müffelnd und nach Schwefel. Na super. So trat man einem Fremden doch gerne gegenüber. „Sicher, dass sie weg sind?" Sie wagte es nicht den von Motten zerfressenen Vorhang zur Seite zu schieben und nach draußen zu spähen. Sie hörte ihn leise lachen. „Sicher. Ich habe schließlich die letzten Stunden damit zugebracht auf ihre Schritte zu lauschen und dein Schnarchen zu ignorieren. „Ich schnarche nicht." Gab sie beleidigt zurück. „Glaub was du willst." Er trat an ihr vorbei, entriegelte die Tür und öffnete sie. Unfassbar das er nach der wilden Flucht noch die Geistesgegenwart besessen hatte die Tür zu verriegeln. Sie hätte wohl panisch einen Tisch davor geschmissen und wäre unter das Bett gekrochen. Wenn sie sich den getraut hätte in den Wohnwagen zu steigen. Erst jetzt dachte sie darüber nach was alles passieren hätte können. Sie wollte sich gar nicht ausmalen wie es wäre auf den Besitzer dieser Gammel Bude zu treffen. Hätte. Hätte. Hätte. Er riss sie aus ihren Gedanken, als er die Tür aufstieß, und dafür war sie dankbar. Vorsichtig traten sie nach draußen in die verwilderte Heidelandschaft. Ein eisiger Wind wehte, der ein großes Loch in die sturmumtosene Wolkendecke gerissen hatte. Der Mond schien voll und rund. Sie merkte das das Gras nass glänzte. Also hatte es doch geregnet. Zum ersten Mal wandte sie sich ihm zu und nahm ihm in fahlen Mondlicht wahr. „Danke für deine Hilfe. Du hast mir das Leben gerettet. Ohne dich wer weiß was der Typ mit mir gemacht hätte." Sie fröstelte. „Wieso?" Er zuckte mit einer Schulter und brachte das Kunststück fertig gleichzeitig völlig lässig und doch wachsam zu sein. „Schien ganz so, als könntest du dich selbst gut verteidigen." Seine eisblauen Augen hefteten sich in ihre. Kalt. Spöttisch. Tief in seinen Augen funkelte etwas und obwohl es sicherlich nur die Reflektion des Lichtes war, kam sie nicht umhin zu denken das seine Augen aussahen wie ein nordischer Gletscher vor dem kleine Eiskristalle umherwirbelten. Faszinierend. Der Schnitt in seiner Augenbraue schien längst verkrustet zu sein, eine Bahn getrocknetes Blut zog sich über seine Wange zum Kinn hin. Sie brach den Blickkontakt ab und sah zur Seite. Das Funkeln in seinen Augen vertiefte sich, nun war es eindeutig Spott, der ihm aus der Mimik troff. Er starrte sie an, nicht auf die unangenehme Art wie Fremde manchmal einen auf der Straße anstarrten und man nicht umhinkam entweder verlegen zu lächeln oder den Blick abzuwenden, nein es war vielmehr der Blick einer Person, die zwischen den Zeilen lesen konnte und tief in ihre Seele sah. Trotz der Kleidung fühlte sie sich auf einmal nackt. Entblößt. Als würde ein einziger Blick schon ausreichen, um alle Facetten ihres selbst zu kennen. Sie konnte nicht umhin als ihn zu mustern. Die dunklen Haare, die jetzt bei Mondschein nachtschwarz wirkten, aber bei Tageslicht vielleicht eher dunkelbraun waren, der goldene Schimmer seiner Haut und die selbstbewusste beinahe arrogante Haltung. Er kam ihr bekannt vor, auch wenn sie im ersten Moment nicht wusste, woher. Dann fiel es ihr wie ein Schuppen vor die Augen. „Ist schon ein ziemlicher Zufall das ich dich das zweite Mal in wenigen Tagen treffe. Anscheinend ist New York kleiner als ich dachte." Schüchternheit stand ihr nicht. Und es machte sie wütend das er in diese Position brachte. Er machte sie wütend. „Ist es nicht." Er grinste sie an schob sich einen Kaugummi in den Mund und ließ eine große Blase platzen. „Ich habe auf dich gewartet." Ihr blieb beinahe die Luft weg, ironischerweise war sie in der ersten Sekunde neidisch, als sie seine Blase schillern sah, die so groß war, dass sie das wohl nie hinbekommen würde. In der zweiten erst drang die Bedeutung seiner Worte zu ihr durch. Nur war sie an der Reihe ihn anzustarren. „Stalker." Sie hatte es als Scherz rüberbringen wollen, cool. Es gelang ihr nicht. Ihre Stimme klang zittriger als sie wollte, und sie ärgerte sich darüber. Er sagte nichts, weder dementierte er es noch verteidigte er sich. Hob nur das Kinn ein wenig an und blieb weiterhin mit verschränkten Armen an der Tür des Wohnmobils stehen. Ihr Herz pochte und sie konnte fühlen wie sich Schweißflecken unter ihrer Haut bildeten. Trotz des kalten Nachtwindes war ihr heiß. Die Art wie er es völlig unverblümt zugab das er auf sie gewartet hatte. So als wäre es das normalste der Welt Mädchen aufzulauern. Abends. Im Zwielicht. „Du warst in dem Diner zusammen mit diesem anderen Typ. Hast Salat mit Burger bestellt." Bei der Erinnerung musste sie kurz grinsen. Er ging nicht darauf ein. „Wir sollten lieber von hier verschwinden. Ich spring nur ungern ein zweites Mal mit dir über Zäune." Sie nickte, nun auch wieder ernst. Ihr Blick fiel auf seine blutigen Handknöchel und ein schlechtes Gewissen überfiel sie. „Am besten wir gehen zu mir, ich habe Verbandsmaterial und so Zeug." Sie klang unsicher. Er sah auf seine Hand, drehte sie leicht hin und her beinahe verwundert ganz so, als würde er erst jetzt bemerken das er verletzt war. Ein Ausdruck lag in seinen eisigen Augen den sie nicht deuten konnte und der ihr ein Frösteln über das Rückgrat schickte. Es schien, als würde sein silbriger Blick für einen Moment verschleiert werden, als der das Kinn hob und einen Punkt hinter ihr fixierte. Seine Atmung wurde flacher und seine Augen starr. „Was ist?" Sie drehte sich um, halb in der Erwartung den Gangster mit dem ausgeschlagenen Zahn hinter sich stehen zu sehen. Doch da war nichts, nur der kleine Heidepark und in der Ferne die Straße. Das Mondlicht warf unförmige Schatten auf die Landschaft, die sich wie zerdehnte Fasern buckelig ausbreiteten. Das regennasse Gras schimmerte feucht. „Hallo?" Sie wedelte mit einer Hand herum und erreichte damit das sich wieder auf sie fokussierte. „Was war das denn eben?" Wollte sie überrascht wissen. „Alles gut." Der junge Mann presste die Lippen aufeinander, ganz offensichtlich wollte er nicht noch mehr sagen und lief los. Auch sie setzte sich nun in Bewegung, wobei sie Mühe hatte mit seinen langen Beinen Schritt zu halten. Obwohl er einen guten Kopf größer war als sie hatte er den Verdacht das er etwas jünger war. Sie liefen durch die frühmorgendliche Landschaft. Die Ahnung eines Sonnenaufgangs lag noch zu weit entfernt, zu früh war es noch als das man am Horizont einen fahlen Schimmer erahnen konnte, doch mit ihm an ihrer Seite fühlte sie sich sicher auf, wenn irgendetwas in ihr sagte das dieser unbekannte junge Mann selbst etwas viel Gefährlicheres an sich haften hatte als alle Gangmitglieder zusammen da draußen.
Davis lief mit der Bedienung aus dem Diner die spärlich beleuchtete Einfahrt ihrer Straße hoch und konnte selbst kaum glauben, was er hier tat. Natürlich hatte er ihr nicht nachgestellt, woher sollte er auch ihre Nummer haben. Das sie aufeinandergetroffen waren, war ein wirklich schier unglaublicher Zufall doch besser er ließ sie in dem Glauben er sein ein verrückter Stalker der hoffnungslos in sie verliebt war, als ihr die Wahrheit zu erzählen. Nachdem Ethan und er sich gleich von Anfang an gut verstanden hatten, hatte dieser ihm schließlich offenbart das er Drogen vertickte. Davis war nicht überrascht gewesen, schließlich hatte er es beinahe in der ersten Nacht im Club sich das denken können. Ethan hatte mehrere Dealer von denen er Sachen ab,- und verkaufte. Meist vertickte er das billigere Zeug in Gegenden wie hier. Leichtes Geld und den Menschen war es egal, Hauptsache sie bekamen ihren Trip. Davis fand das Ganze abscheulich hatte schließlich aber eingewilligt mitzukommen, nachdem Ethan einen neuen Dealer gefunden hatte, der mehr Geld bot, was in den Ohren seines Freundes ein lukratives Geschäft war. Allerdings hatte er in diesem Slum ein Treffen vorgeschlagen, ein Ort der sogar Ethan nicht besonders geheuer war, auch wenn er noch so cool tat. Er hatte Davis gebeten mitzukommen und dieser hatte eingewilligt unter dem Vorbehalt das sein Name nicht fiel und sein Gesicht nicht entdeckt wurde. Hier in NewYork war er zwar unbekannt, dennoch wollte er nicht das sein Gesicht, das eins mit Erfolgen und einer glänzenden Zukunft assoziiert wurde, man nun mit Mord und Drogen verband. Das wäre wirklich ein krasser Abstieg. Ethan alleine lassen wollte er aber auch nicht. Also hatte er gelangweilt in einiger Entfernung auf einer Mülltonne sitzend das Treffen zwischen Ethan und den Dealer beobachtet, das tatsächlich reibungslos zu verlaufen schien, als einmal das Mädchen gefolgt von dem Gangstertypen vorbeihastete. Er hatte sie sofort erkannt und auch die Angst in ihren Zügen gesehen. Da er seinen Freund in Sicherheit wog, war er dem Widerling gefolgt, der wiederrum der jungen Frau folgte. Davis war ihnen unerkannt nachgelaufen. Und hatte ihn schließlich angegriffen, als er sah das keine Zeit mehr blieb die Polizei zu rufen. So viel zum Thema unerkannt. Er unterdrückte ein genervtes Stöhnen und versuchte seine Gereiztheit nicht an ihr auszulassen. Es war schließlich nicht ihre Schuld das sie angegriffen wurde, und es war seine Entscheidung gewesen sich einzumischen. Er mochte zwar ein unbarmherziger Bastard auf dem Eis sein, wenn es darum ging den Titel zu holen, aber menschlich war er dann doch nicht so tief gesunken das er zuließ das eine hilflose junge Frau vergewaltigt wurde. Auch wenn er damit riskierte das das Folge mit sich ziehen würde. Die größte Konsequenz gab es eh schon. Er war nun beinahe 48 Stunden ohne seine Medikamente, übermüdet, sein Körper ausgetrocknet. Er konnte bereits sehen, wie die Halluzinationen am Rand seines Bewusstseins zerrten. Anscheinend war es sogar so offensichtlich, dass sie ihn darauf angesprochen hatte. Er biss sich auf die Lippen. Nahm vor sich zusammenzureißen und nie wieder mit Ethan solch einen Ausflug zu unternehmen und trat durch die offene Wohnungstür.

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STARDUST - 365 Tage mit dir
Mystery / ThrillerEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...